Prag:Die EU als Diktatur

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„Dieses Land gehört uns“: Tomio Okamura, Chef der rechtspopulistischen tschechischen SPD. (Foto: Milan Kammermayer/Reuters)

In Tschechien lassen sich mit Parolen gegen Brüssel sehr gut Wahlen gewinnen. Staatschef Milos Zeman hat so erst kürzlich sein Amt verteidigt.

Von Florian Hassel

Ein Präsident besucht in der Regel keine Parteikongresse, doch Ende 2017 machte Tschechiens Staatschef Miloš Zeman eine Ausnahme. Nachdem die tschechische SPD bei der Wahl Ende Oktober mit 10,6 Prozent der Stimmen ins Parlament eingezogen war, traf sie sich am 9. Dezember zum Parteitag. Dass Zeman als Ehrengast teilnahm, war nicht nur ungewöhnlich, sondern etlichen Tschechen zufolge ein Skandal: Denn SPD steht in Tschechien zwar für "Freiheit - direkte Demokratie", ist aber eine populistisch-rechtsradikale Partei, die gegen Roma und Muslime hetzt, Konzentrationslager verharmlost, den Islam verbieten, Richter der Zustimmung des Volkes überlassen und aus der EU und der Nato austreten will. Mit der deutschen SPD hat sie nichts zu tun.

Präsident Zeman ist bei der Wahl seiner Bündnisgenossen nicht zimperlich. Seit Jahren wettert er gegen eine angebliche Diktatur der EU, pflegt stattdessen den Kontakt zum Kreml und tritt in der Provinz als Schutzherr gegen eine angeblich abgehobene Prager Elite auf. Der politische Newcomer SPD haut unter dem 45 Jahre alten Tomio Okamura, Sohn eines Japaners und einer Tschechin, in die gleiche populistische, mitunter auch rassistische Kerbe. Nach seinem Abstecher zum SPD-Parteikongress wurde Zeman Ende Januar, auch mit Stimmen von SPD-Anhängern, als Präsident knapp wiedergewählt. Okamura war am Wahlabend Gast in Zemans Quartier. Den Gegenkandidaten, den Prager Akademiker Jiří Drahoš, hatten Zemans Leute ebenso wahrheitswidrig wie erfolgreich als Anhänger einer Aufnahme von Flüchtlingen in Tschechien diskreditiert: "Stoppt Immigranten und Drahoš ! Dieses Land gehört uns!"

Nicht nur Zeman und Okamura reiten in Tschechien erfolgreich die Welle des Nationalismus und Populismus. Auch der Milliardär Andrej Babiš ist darin ein Meister - und wurde Ende Oktober mit seiner Partei ANO und rund 30 Prozent der Stimmen stärkste Kraft im Parlament. Zwar brummt in Tschechien, ähnlich wie in Polen, die Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit ist gering; doch ist das Land trotzdem gespalten zwischen dem boomenden Prag und teils tristen ländlichen Gebieten. Gut ausgebildete, oft gut verdienende Städter und weniger verdienende, oft nur schlecht ausgebildete Tschechen in den Regionen trennen Welten.

Babiš-Wählern gefällt dessen populistische Anti-Establishment-Rhetorik, die an US-Präsident Donald Trump erinnert. Und ähnlich wie Trump-Wähler störten sich auch Babiš' Wähler nicht an Vorwürfen. Im Fall von Babiš ist das ein durch etliche Fakten gestützter Verdacht der Prager Justiz, dass er die EU um fast zwei Millionen Euro betrogen hat. Nur gut ein Drittel der Tschechen hat noch eine gute Meinung von der EU - in der Union der niedrigste Wert überhaupt. Vorwürfe aus Brüssel dürften Babiš dementsprechend wenig schaden. Außerdem spreche Babiš ein bei vielen Tschechen immer noch tief verwurzelte Stereotyp an, "demzufolge ein aufgeklärter Diktator nicht schlecht ist, um uns vor Gefahren von außen zu schützen", sagt Jiří Pehe, Ex-Mitarbeiter von Tschechiens erstem demokratisch gewählten Präsidenten Václav Havel. Meinungsforschern vom Pew-Zentrum zufolge glauben 27 Prozent der Tschechen, dass eine undemokratische Regierung ihre Vorteile haben kann.

Auch ein halbes Jahr nach der Wahl hat Tschechien indes keine stabile Regierung. Wahlsieger Babiš findet wegen der Betrugsvorwürfe gegen ihn unter den etablierten Parteien bisher keinen Bündnispartner. Staatspräsident Zeman empfahl ihm deshalb nun Verhandlungen mit den Kommunisten - und mit der rechtsradikalen SPD.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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