Präsidialisierung der Außenpolitik:Der zweite Mann

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Außenpolitik wird zur Chefsache: Die Kanzlerin vertritt Deutschland auf den Gipfeln. Aber was bleibt dann noch für den Außenminister? Eine Außenansicht von Volker Perthes.

Wenn im deutschen Außenministerium bisweilen geklagt wird, dass wichtige außenpolitische Aufgaben - und Auftritte - in den Machtbereich der Kanzlerin abgewandert sind, so liegen die Gründe dafür kaum an der spezifischen deutschen Situation. Gewiss, die Kanzlerin hat dem Außenminister eine Legislaturperiode an außenpolitischer Erfahrung voraus. Und natürlich haben die koalitionsinternen Machtverhältnisse sich im Vergleich zur großen Koalition, wo beide Regierungsparteien fast gleich stark waren, zugunsten der Regierungschefin verschoben.

Präsidialisierung der Außenpolitik: Kanzlerin Merkel und Präsident Obama auf dem Nukleargipfel: Wenn Außenpolitik zur Chefsache wird.

Kanzlerin Merkel und Präsident Obama auf dem Nukleargipfel: Wenn Außenpolitik zur Chefsache wird.

(Foto: Foto: dpa)

Wer aber etwa mit Diplomaten des Foreign Office in London redet, wo nur eine Partei regiert, hört ähnliche Klagen. Im Grunde geht es um eine Entwicklung, die sich als "Präsidialisierung der Außenpolitik" bezeichnen lässt: eine gewisse Annäherung des Regierens an Staaten, die - wie die USA oder Frankreich - ein starkes präsidiales Zentrum haben. Staaten, in denen die einzelnen Ressorts traditionell ausgeprägte eigene Kompetenzen besitzen, sind davon besonders betroffen, wenn sie gleichzeitig als Mittelmächte auch eine weltpolitische Rolle spielen.

Drei Entwicklungen sind hier ursächlich: Zunächst gilt für die Mitglieder der EU, dass der Lissabon-Vertrag dort neben den Parlamenten auch die Regierungen der Einzelstaaten und dabei vor allem die Regierungs- oder Staatschefs gestärkt hat. So vertreten heute die Chefs ihre Länder im Europäischen Rat allein. Für die Außenminister ist da kein Platz mehr vorgesehen. Die Zahl der Sitzungen des Europäischen Rats soll steigen - von heute vier bis fünf auf bis zu acht Treffen pro Jahr.

Der Europäische Rat hat selbst die Hohe Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, eingesetzt. Die neuen Strukturen zeigen bereits Wirkung, obwohl die Machtverhältnisse zwischen dem Präsidenten des Europäischen Rats, dem Kommissionspräsidenten und der Außenbeauftragten sich noch ausmendeln und ein Europäischer Auswärtiger Dienst erst noch aufgebaut werden muss: So gibt es eine informelle Diskussion über Synergien und über die Rollenverteilung zwischen den nationalen Außenministerien und der Hohen Vertreterin mit ihrem Europäischen Auswärtigen Dienst, bei der deutlich wird, dass künftig nicht mehr alle Außenministerien überall repräsentiert sein werden. Natürlich stellt sich die Frage, ob man langfristig Einzelbotschaften auch in kleineren außereuropäischen Staaten unterhalten will. Und ob es nicht ausreichen würde, je einen Konsularbeamten des eigenen Staates an eine dortige EU-Botschaft zu entsenden.

Zweitens nimmt die Zahl der Gipfel ständig zu: Dazu gehören die Nato- und die EU-Gipfel, themenbezogene Treffen wie die Klimakonferenz oder der Nukleargipfel, und vor allem die mittlerweile halbjährlichen Gipfel der G 20. Diese Foren stellen sicher, dass die Führer der wichtigsten Staaten regelmäßig zusammenkommen und die Agenda bestimmen. Das verschiebt auch Gewichte innerhalb von Regierungen. Schließlich liegt die Vorbereitung dieser Treffen eher in der Hand der in den Regierungszentralen angesiedelten "Sherpas" der Chefs als bei den Außenministerien.

Drittens werden außenpolitische Themen immer komplexer. "Integrierte Ansätze" sind nicht nur da gefordert, wo wie bei Auslandseinsätzen, Diplomatie, Militär und Entwicklungshilfe gemeinsam agieren müssen, sondern beim Umgang mit nahezu allen Anforderungen, die die internationale Umwelt an staatliche Akteure stellt: in der Sicherheits-, Außenwirtschafts-, Entwicklungs- oder Wissenschaftspolitik, beim Umgang mit Migration oder Klima-, Umwelt-, und Energiefragen. Fast alle Ministerien machen auf diese Weise auch Außenpolitik.

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