Süddeutsche Zeitung

Präsidentschaftswahlkampf in Iran:Fräulein Enttäuschung

Der Wahlkampf in Iran ist in vollem Gange, viele hoffen auf den früheren Präsidenten Mohammed Chatami. Doch sind diese Hoffnungen berechtigt?

Johannes Aumüller

Dieses Video, natürlich taucht es jetzt wieder auf. Ein Video, auf dem nicht viel zu sehen ist. Ein freundlicher Mann mit gestutztem weißen Bart reicht zwei Frauen die Hand - eigentlich ein alltäglicher Vorgang, doch in Iran ein großer Aufreger. Denn dieses Band zeigt nicht irgendeinen freundlichen Mann mit gestutztem weißen Bart, sondern Mohammed Chatami - den Kandidaten der Liberalen bei den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni. Und nach der Auffassung der Ultrakonservativen dürfen Männer in Iran fremde Frauen in der Öffentlichkeit nicht berühren - schon gar nicht Politiker.

Zwei Jahre ist dieses Video alt, und pünktlich zum iranischen Präsidentschaftswahlkampf haben es die Hardliner wieder ausgepackt. Zwar steht formal noch gar nicht fest, ob ihr Vorzeigemann, der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad, noch einmal antritt - da hat der Wahlkampf schon mit aller Wucht begonnen, und damit die Diskreditierung von Chatami. Er wird als "Lakai Amerikas" beschimpft, vor wenigen Tagen sperrten die Behörden zwei Internetseiten, die seine Kandidatur unterstützen.

Geborener Widerpart zum flegelhaften Ahmadinedschad

In rund drei Monaten sind die Wahlen, und die Chancen für die Herausforderer stehen gut. Denn für die meisten Iraner sind die vier Regierungsjahre Ahmadinedschads vier verlorene Jahre. Die wirtschaftliche Lage hat sich trotz der großzügigen Verteilung der Öl-Einnahmen verschlechtert, die Inflationsrate liegt bei mehr als 30 Prozent. Die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt sind düster, viele der jungen Iraner flüchten nach Amerika und Europa - oder in Alkohol und Drogen. Auf den Straßen nimmt der Kampf der Sittenwächter wieder zu. Außerdem sind es viele Iraner leid, wie Ahmadinedschad mit seinem teils rüpelhaften Auftreten das Image des Landes ruiniert.

Da wirkt Mohammed Chatami, 65, studierter Theologe und promovierter Philosoph, ehedem Direktor des Islamischen Zentrums in Hamburg und Direktor der Nationalbibliothek in Teheran, wie der geborene Widerpart zum flegelhaften Ahmadinedschad. Staatsmännisches Auftreten statt hemdsärmeligem Gejohle. Geschliffene Argumente statt krawalliger Rhetorik. Diplomatie statt Tiraden.

Schon einmal war Chatami Präsident des Landes. Von 1997 bis 2005 stand er an der Spitze, und gemeinhin gilt diese Periode als Ära des Aufbruchs. Vor allem aus dieser Zeit stammt sein Image als gewiefter Stratege und versierter Politiker. Die Kunst der Politik als Spiel des Zögerns, Lavierens und Überlistens beherrscht er so gut, dass ihm der Spitzname verliehen wurde: Fariba hanom - Fräulein Täuschung.

Unter seiner Präsidentschaft erlebte die liberale Presse im Land eine kurze Blüte. Mehr Freiheit und mehr Rechtsstaatlichkeit standen auf Chatamis Agenda. "Man hat zu Recht die Erwartung, dass sich Herr Chatami bemühen würde, im Umgang mit der eigenen Bevölkerung etwas zu ändern und mir ihr etwas ziviler umzugehen als es die jetzige Regierung tut", sagt Johannes Reissner, Iran-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Denn er ist ja früher einmal angetreten mit der Forderung nach Rechtsstattlichkeit und Transparenz. Das sind wichtige Anliegen von ihm, und insofern wäre hier mit einer gewissen Verbesserung der Verhältnisse zu rechnen."

Nicht nur in Iran, sondern auch in der westlichen Welt und speziell in Deutschland genießt Chatami viele Sympathien. Er spricht Deutsch, rezitiert gerne Goethe, Rilke oder Kant und pflegt den "Dialog der Kulturen". Als er 2008 zu einer internationalen Religionskonferenz nach Teheran rief, um über "Religion in der modernen Welt" zu diskutieren, kamen etliche frühere westliche Regierungschefs, wie zum Beispiel Romano Prodi. Auch Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan reiste an. Dass Iran schon unter Chatami im Jahr 2002 zur "Achse des Bösen" zählte, lag wohl eher daran, dass George W. Bush neben Nordkorea und Irak noch einen dritten Schurkenstaat einflechten wollte, um seine "Achse des Bösen" auch rhetorisch wirken zu lassen.

Manche sehen in Chatami nun einen "iranischen Obama" - einen Hoffnungsträger, der in Iran für eine radikale Wende sorgen könnte. Doch diese Hoffnung überschätzt den 65-Jährigen - weil in dem komplizierten politischen System des Landes die Macht des Präsidenten beschränkt ist. Dies musste Chatami auch schon in seiner ersten Regierungszeit erleben, in der Revolutionsführer Ali Chamenei und der ultrakonservative Wächterrat manche seiner Reformen sofort wieder revidierten.

"Vergleiche von Chatami mit Obama sind Unfug. Selbst wenn Chatami gewählt würde, hätte er nicht die Machtposition eines amerikanischen Präsidenten. Die Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt der oberste Religionsführer im Einvernehmen mit anderen Gremien. Große Hoffnungen auf Chatami sind kaum angebracht. Was im Iran ansteht, sind die massiven wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes. Chatami hätte allergrößte Schwierigkeiten, die bestehenden wirtschaftlichen Strukturen so zu reformieren, dass eine effektivere Wirtschaft möglich wäre", sagt Experte Reissner.

Die Rolle als "iranischer Obama" passt aber auch nicht zu Chatami als Person. Der Kleriker will keine Revolution. "Wir arbeiten innerhalb des vom System gesetzten Rahmens und wir sind loyal gegenüber Verfassung und Führung", bekannte er. Chatami spricht nicht immer nur Deutsch und mit Goethe-Zitaten, sondern meist Persisch - und manchmal mit Wendungen, die eher an Ahmadinedschad erinnern.

Bei einer Harvard-Rede im September 2006 erklärte er: "Homosexualität ist im Islam ein Verbrechen, und Verbrechen sind strafbar." Als sich im Vorfeld der Olympischen Spiele 2004 der iranische Judoka Arash Miresmaeili weigern wollte, gegen einen israelischen Sportler anzutreten, zitierten die Medien Chatami so: "Der Name von Arash Miresmaeili wird in die iranische Geschichte eingehen als ein Quelle des Stolzes für das Land. Das großartige Handeln und die Selbstaufopferung unseres Champions, der auf eine sichere Olympiamedaille aus Protest gegen Massaker, Terror und Besetzung verzichtet hat, ist eine nationale Ruhmestat." Auf ein Zitat der Washington Post, Chatami akzeptiere im Nahostkonflikt eine Zwei-Staaten-Lösung, folgte der Konter, er sei falsch zitiert worden.

Auch in der Atomfrage nimmt Chatami keine grundsätzlich anderen Positionen als die derzeitige iranische Führung ein. Unter ihm wurden die Zentrifugen verbessert, und er war es, der als Präsident davon sprach, den kompletten nuklearen Brennstoffkreislauf erreichen zu wollen. Und so wenig wie in der Atomfrage ist für den Iran-Experten Reissner auch in anderen außenpolitischen Fragen eine Zäsur zu erwarten: "Dass sich in der grundsätzlichen Ausrichtung einer sehr stark auf die Rolle Irans in der Region bedachten nationalistischen Außenpolitik im islamistischen Gewand etwas ändern würde, glaube ich nicht."

Schon in der ersten Amtsperiode verflogen viele Hoffnungen. Chatami legte sich kaum mit den Hardlinern an, sondern lavierte herum, und enttäuschte so viele Hoffnungen des Reformlagers. Von seinen Versprechungen auf mehr Freiheit und mehr Demokratie blieb nur ein Bruchteil übrig. Und ausgerechnet unter ihm, dem Reformpräsidenten, fielen die Reaktionen auf die Studentenunruhen 1999 und 2003 unverhältnismäßig hart aus. Viele Iraner hatten sich von Chatami viel mehr versprochen.

Er war nicht nur Fräulein Täuschung, sondern auch Fräulein Enttäuschung - da hilft auch nur wenig, dass seine Berater verkünden, diesmal werde Chatami anders sein.

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