Präsidentschaftswahl:Russlands Regent, Putin der III.

Der Sieger steht schon fest: Wladimir Putin, früher bereits einmal Staatschef, wird in den Kreml zurückkehren. Doch Russland hat sich verändert. Putin ist nicht mehr unantastbar, er geht so unbeliebt wie nie zuvor in eine Präsidentschaftswahl. Immer mehr Bürger wehren sich - doch mehr Demokratie zuzulassen, würde Putins gesamtes Herrschaftssystem gefährden.

Frank Nienhuysen

Es war ein Auftritt, in dem man den ganzen Wladimir Putin zu erkennen glaubte. Den machtbewussten und energischen, den patriotischen und kämpferischen, aber auch den überheblichen, verständnislosen, ja den ängstlichen Putin. Das Mikrofon fest in einer Hand, redete der russische Präsidentschaftskandidat mit einer Gruppe von Geschäftsleuten, Politologen, Journalisten und Aktivisten; wie in einer Manege stand er da und drehte sich immer wieder, umschlossen vom Publikum. An der Wand hingen auf Schildern Werbebotschaften wie "Putin2012.rf" und "Demokratie und die Qualität der Regierung".

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Wahlkampfplakat im russischen Smolenks: Putins Dominanz auf allen Kanälen kann nicht verhindern, dass der Kandidat unbeliebt wie nie in die Abstimmung geht.

(Foto: AFP)

Demokratie? Er war doch früher nicht so. Aber Russland hat sich verändert seit den Dezembertagen, seit den Massenprotesten, also muss sich auch Putin ändern - oder vielmehr, anpassen.

"Wir haben nicht den Wunsch, unsere Gesellschaft zu spalten", sagte er und versprach den Russen, dass sie mehr als bisher beim Führen des großen Landes eingebunden würden. Er redete von Referenden in den Regionen, von mehr Nähe zwischen Bürgern und Staatsbeamten, von Vertrauen in die Justiz, das er schaffen wolle.

Putin will dieses Russland nach zwei Amtszeiten im Kreml und einer als Regierungschef unbedingt noch einmal als Präsident führen, das ist klar, dann erstmals für eine sechsjährige Amtsperiode. Und doch sah man, wie es an seinen Schläfen pochte, wie sich seine Gesichtszüge spannten, die Anstrengung, mit der er seinen Zorn über seine neuen Widersacher zu unterdrücken versuchte.

Putin muss erstmals wirklich kämpfen

Putin mag vieles können, aber er kann Missfallen nicht verbergen. Dann wird er sarkastisch oder angriffslustig. Das war der Moment, als er die Opposition warnte. Als er einigen von ihnen sogar unterstellte, ein Scharmützel zu provozieren, "jemanden als Opfer auszusuchen, um die Schuld dann der Staatsmacht unterzuschieben". Er kenne solche Methoden, vor allem aus dem Ausland.

Schon vor einer Woche bei einer Kundgebung im Luschniki-Stadion redete Putin davon, das Vaterland zu verteidigen. Und doch geht es um weniger als das: nämlich um die eigene Macht und sein Netz, das er vor zwölf Jahren zu knüpfen begann. Putin muss erstmals wirklich kämpfen um seinen Sieg, und viele fragen sich, wie wird er dann sein, Putin III.?

Das Dilemma ist offensichtlich. Zwingt ihn einer seiner Gegenkandidaten in eine Stichwahl, ist er geschwächt und muss auf seinen Anspruch verzichten, "Russlands nationaler Führer" zu sein. Gewinnt Putin im ersten Durchgang, werden Zehntausende Menschen nach der Wahl an diesem Sonntag auf die Straße gehen und das Ergebnis anzweifeln. Er wird dann ein Präsident sein, dessen Legitimität von einem Teil der Bevölkerung angezweifelt wird. Darin wird sich Putin III. vom Kreml-Chef der früheren Jahre unterscheiden.

"In seiner Seele kein Demokrat"

"Putin ist in seiner Seele kein Demokrat, aber er ist gezwungen, einer politischen Mode zu folgen", sagte Vitalij Tretjakow von der von Putin geschaffenen Allrussischen Volksfront. Eine starke Demokratisierung und Machterhalt aber widersprechen einander im Fall Putin. Sein System ist auf Kontrolle von oben ausgelegt, Demokratie auf Kontrolle von unten. Je mehr er aus der Hand gibt, desto mehr schwindet sein Zugriff auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Er wird Zugeständnisse machen müssen, aber er wird sie so gering halten wie möglich.

Den Rücktritt des umstrittenen Wahlleiters Wladimir Tschurow hat er nicht zugelassen. Auch wenn dies nicht in seine Befugnis fällt, Putin hätte ihn zumindest beeinflussen können. Eine Wiederholung der Parlamentswahl lehnte Putin ebenfalls ab. Die von ihm abgeschaffte Direktwahl von Gouverneuren wird wieder eingeführt, eine Geste an das aufbegehrende Volk. Aber ein sogenannter präsidentieller Filter wird bleiben, der Präsident muss konsultiert werden. Just am Tag der ersten Lesung wurde erneut ein unbeliebter Gouverneur vom Kreml gefeuert.

Erosion der Macht

Wie Putin in den vergangenen Jahren seine Machtbasis zementiert hat, ist sehr gut in einem plakatartigen Schaubild sichtbar, das die russischsprachige New Times im vergangenen Herbst veröffentlicht hat, in einer Ausgabe mit dem Titel: "Russia, Inc." Es zeigt ein verzweigtes Imperium mit Dutzenden Köpfen, Bekannten, Freunden Putins, Weggefährten aus früheren St. Petersburger Tagen, aus gemeinsamen Zeiten beim Inlandsgeheimdienst FSB, die wichtige Stellen besetzen: nicht nur in der Regierung, auch bei den Banken, in der Gas- und Ölindustrie, der Luftfahrt, im Sport, der Telekommunikation, bis hin zum Hafenterminal von Noworossijsk.

Bis zum Ende von Putins zweiter Präsidentschaft vor vier Jahren habe Putin es geschafft, 80 Prozent der allerwichtigsten Führungsposten im Land mit "Putinskije" zu besetzen, schrieb das Magazin. Sie verkörpern die Grundideologie des voraussichtlich künftigen russischen Präsidenten: die Macht, die vom Staate ausgeht. Und die Loyalität, die dorthin zurückfließt. Eine echte Demokratie würde dieses System zwangsläufig beeinträchtigen.

Dominanz auf alle Kanälen

Warum sollte Putin dies wollen? Er wird es auch nicht wirklich müssen, ist eine der Botschaften, die er der Bevölkerung immer wieder reicht. Denn Putin bedeute ja Stabilität - dieses Mantra setzt er dem starken Reformgeist vieler Russen in den großen Städten entgegen, von denen er sich zusehends bedroht fühlt. Und in der Tat: Die Umfragewerte von Putin gingen zuletzt wieder rauf, sagten sogar einen Wahlsieg im ersten Durchgang an diesem Sonntag voraus.

Putin hat landesweit noch immer Rückhalt in der Bevölkerung, aber dass dies so ist, hat natürlich auch mit den Werkzeugen des Machtapparats zu tun. Der beschriebene Putin-Auftritt wurde in den Hauptnachrichten derart ausführlich in Szene gesetzt, dass der Zuschauer fast vergessen musste, dass es überhaupt eine Nachrichtensendung war. Der Sender gehört einem Freund Putins.

Putins Dominanz auf allen Kanälen, der dosierte Bericht über ein angeblich geplantes Attentat, angeordnete Betriebsausflüge, um Unterstützung für den Präsidentschaftskandidaten zu bekunden, von den großzügigen Wahlversprechen nicht zu sprechen - all dies hilft, die Erosion der Macht zu verzögern und kann doch nicht verhindern, dass der Kandidat unbeliebt wie nie in die Abstimmung geht.

Gorbatschow rief Putin zum Verzicht auf

"Er kann nicht mehr als der Präsident der Hoffnung antreten", schreibt der frühere Ministerpräsident Michail Kasjanow in einem Beitrag für die Moscow Times. Putin verstehe die Probleme des Landes nicht mehr und habe keine Idee, was zu tun ist. "Seine dritte Amtszeit wird eher eine Regentschaft aus Instinkt und Appetit sein denn eine aus Vernunft."

Sicher, Kasjanow, einer von Putins Vorgängern im Amt, ist längst auf die Seite von dessen Gegnern gewechselt. Andererseits ist er darin keine Rarität mehr. Michail Gorbatschow, der einst Putins Kurs der nationalen Stärke und der Wiederbelebung des komatösen Staates mitgetragen hatte, rief Putin offen zum Verzicht auf seine Kandidatur auf. Bitter für den Premier war vor allem, dass sich auch sein langjähriger Freund, der frühere Finanzminister Alexej Kudrin, von seinem Mentor gelöst hat.

Mehr als 500 Milliarden Euro versprach Putin allein in die Rüstungswirtschaft zu pumpen, den Sold hat er kürzlich deutlich erhöht. So beruhigt man grummelnde Offiziere und sichert sich Loyalität wie Stimmen von einer Million Soldaten. Woanders könnte das Geld schnell fehlen. Putin begibt sich in die Abhängigkeit hoher Energiepreise.

Immer mehr Russen aber sehen die Nachteile von "Russia, Inc.", sie haben die Dominanz der Staatsmacht satt, die fehlenden Erfolge im Kampf gegen die Korruption, die ihren Alltag beschwerlich macht und teuer. Putin nimmt den Widerstand persönlich, zu Recht. Denn die unzufriedenen Russen trauen ihm eine Wende nicht zu, weder Modernisierung noch Wettbewerb und Demokratie. Dass während der Putin-Ära aufgrund der Petrodollars die Mittelschicht gewachsen ist, dürfte Putin auf lange Sicht also kaum nutzen. "Je mehr Geld die Menschen haben, desto größer ist die Nachfrage nach Demokratie", sagt Sergej Gurijew, der Rektor der elitären Moskauer Wirtschaftsschule.

59 Jahre alt ist Putin jetzt, 65 wird er sein, wenn die nächste Amtszeit endet. Ob er auch dann noch mal antreten will, hat er jetzt bewusst offen gelassen. "Irgendwann wird er Wahlen verlieren", sagt Gurijew, "und wenn wir auch nicht wissen, wie Putin von der Politik abtreten wird: Der nächste Präsident wird ihm einen persönlichen Schutz versprechen, und sicher eine großzügige Rente."

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