Süddeutsche Zeitung

Präsidentschaftswahl:Joachim Gauck - der fremde Kandidat

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"Mann der Vergangenheit", "Brunnenvergifter": Die Linkspartei ist enttäuscht von Rot-Grün und der Nominierung von Joachim Gauck. Nun wartet man auf ein Signal der Versöhnung.

Daniel Brössler, Berlin

Eigentlich soll auf dem Weg zu rot-rot-grünen Mehrheiten an diesem Mittwoch eine kleine Etappe genommen werden. Für den Abend haben junge Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei zu einem Sommerfest geladen. In lockerer Atmosphäre möchten sie darüber plaudern, wie eines Tages, vielleicht schon 2013, gemeinsam regiert werden kann. Es hat sich indes, die Einladungen waren längst verschickt, ein anderer Termin davor geschoben - die Wahl eines neuen Bundespräsidenten.

Eben diese Wahl zeigt, wie viel Rot-Grün-Rot noch trennt. "Die Art und Weise, wie SPD und Grüne Joachim Gauck aufgestellt haben, beweist, dass der Wunsch nach einer starken, gemeinsamen Opposition mit der Linken zurücktritt hinter innerparteiliche Überlegungen", kritisierte am Dienstag Linken-Geschäftsführer Werner Dreibus. Mit der Kandidatur Gaucks hatten SPD und Grüne die Linkspartei vor vollendete Tatsachen gestellt; empört schickte diese Lukrezia Jochimsen ins Rennen.

Gauck ist so aus Sicht der Linken zur Symbolfigur geworden für das Scheitern einer rot-grün-roten Annäherung. Einen "Mann der Vergangenheit", einen "Brunnenvergifter" haben die Linken den einstigen Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde genannt. Der Beschimpfte war um Antworten nicht verlegen, bescheinigte einem Teil der Linken "reaktionäre Positionen", sprach von "verwöhnten Kindern der roten Bourgeoisie".

Am Dienstagnachmittag hätte Gelegenheit bestanden, sich das alles noch einmal ins Gesicht zu sagen. Gauck erschien auf Einladung der Linken in deren Fraktionssaal im Bundestag. Er glaube, dass seine "Botschaft von einer Freiheit, die als Verantwortung daher kommt, eigentlich von jedem Demokraten verstanden wird", verkündete er tapfer, bevor er den Clara-Zetkin-Saal betrat.

Der Empfang war reserviert, Beschimpfungen aber blieben aus. Seinem kurzen Vortrag folgten die Linken vielmehr "mit einer erstaunlichen Bereitschaft zum Zuhören", wie Gauck später lobte. Befragt wurde er zum Krieg in Afghanistan, zum Sozialstaat und natürlich zur DDR. Er habe klargestellt, sagte Gauck im Anschluss, dass er keinen sozialen Kahlschlag befürworte, dass er große Unterschiede sehe zwischen dem Afghanistan-Einsatz und früheren deutschen Kriegen, und dass er als "überzeugter Antifaschist" die NS-Diktatur nicht mit jener in der DDR gleichsetze.

Eine Annäherung aber gab es nicht. Das machte Fraktionschef Gregor Gysi klar. "Ich vermute nein", antwortete er auf die Frage, ob die Wahlentscheidung durch Gaucks Auftritt beeinflusst worden sei. Ohnehin war klar gewesen, dass Gauck bestenfalls jene Minderheit würde bestärken können, die eine Wahl des einstigen DDR-Bürgerrechtlers in einem möglichen dritten Wahlgang nicht auszuschließen mochte in der Hoffnung, dass gerade die Machtoption, von der Gauck nichts hält, doch noch eine Perspektive bekommt: rot-grün-rot nämlich.

Vor einem möglichen dritten Wahlgang wollen sich die Linken zwar noch einmal gründlich beraten, wie Gysi am Dienstag versicherte. Vor allem aber erwarten sie dann eine Geste von Rot-Grün. "Für den unwahrscheinlichen Fall, dass im ersten und im zweiten Wahlgang keine Mehrheit für einen der beiden Kandidaten zustande kommt, warte ich gespannt darauf, ob die Herren Gabriel und Özdemir den kurzen Weg zur Partei Die Linke finden", sagte Geschäftsführer Dreibus.

So kurz ist der Weg gar nicht. Die Wiederannäherung von SPD und Grünen in der Opposition verstärkt das Gefühl der Fremdheit gegenüber den Linken. Dazu passt die jüngste Attacke des SPD-Geschäftsführers im Bundestag, Thomas Oppermann. Die Linke sei "ganz überwiegend nicht in dieser Republik angekommen", sagte er und geißelte "Kaderkommunisten aus dem Westen". Die Linke wiederum fühlt sich von SPD und Grünen vorgeführt bei der Bundespräsidentenwahl und der Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen. Das rot-rot-grüne Sommerfest soll übrigens stattfinden, unabhängig vom Ausgang der Bundespräsidentenwahl.

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SZ vom 30.06.2010
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