Präsidentschaftswahl in Russland:Jetzt stellt sich die Zukunftsfrage

  • Mit einer Zustimmung von knapp 77 Prozent der Stimmen kann sich Wladimir Putin in seinem autoritären Kurs bestätigt fühlen.
  • Der Schlüssel zu seiner Popularität sind seine außenpolitischen Ambitionen. Doch in der kommenden Legislaturperiode wird er sein Augenmerk auch auf soziale Fragen im eigenen Land richten müssen.
  • Und er muss klären, wie es 2024 weitergeht. Darüber gibt es wilde Spekulationen.

Von Paul Katzenberger, Moskau

Es ist ein großer Unterschied, ob etwas sicher erwartet wird - oder, ob etwas sicher Erwartetes mehr oder weniger eintritt. Es ist vor allem ein Mehr, das Aksinja Solowjowa am Abend der Präsidentschaftswahl kurz aus der Fassung bringt. Zu erwarten war, dass Wladimir Putin bei der Präsidentschaftswahl einen sicheren Sieg einfährt. Doch als die ersten Hochrechnungen bekannt werden, bringt das die Studentin der Orientalistik aus der Fassung. 72 Prozent für Putin: "Ich krieg' die Krise. In den USA hing es an ganz wenigen Stimmen, ob Trump oder Clinton gewinnt, und bei uns gibt es solche Abstände. Das ist einer echten Wahl doch unwürdig."

Die 22-Jährige steht auf dem Manege-Platz im Zentrum Moskaus, wo an diesem Sonntagabend Putins Siegesfeier stattfindet. Solowjowa ist aus purer Neugierde hier. Insgeheim hatte die Studentin gehofft, dass es einen kleinen Dämpfer für die Feierlaune der Putin-Anhänger geben könnte, dass der Präsident vielleicht unter dem Ergebnis von 2012 bleibt - oder die Wahlbeteiligung gering ausfällt. Nichts davon ist eingetreten. Das Ergebnis - am Ende fast 77 Prozent der Stimmen für Putin - ist unerwartet hoch. Seine Konkurrenten bleiben weit zurück. "Die Demokratie entwickelt sich hier nach hinten, nicht nach vorne", stellt Solowjowa resigniert fest.

Putin kann sich mit diesem Votum bestätigt fühlen. Sein autoritärer Kurs der vergangenen 18 Jahre hat seiner Beliebtheit so wenig geschadet wie seine aggressive Außenpolitik. Sie gilt vielmehr als Erfolg. Davon zeugt auch die Dekoration auf der Bühne auf dem Manege-Platz, auf der sich Putin später am Abend für den "Beweis des Vertrauens und der Hoffnung" bedankt - umgeben von Motiven der Halbinsel Krim.

Die Präsidentschaftswahl war extra auf den vierten Jahrestag der Annexion gelegt worden. Dabei schien das Jubiläum mitunter fast wichtiger zu sein als der Urnengang selbst - aus gutem Grund: Viele Russen stehen dem Anschluss der Krim an Russland nach wie vor positiv gegenüber. Am Wahltag mit seinen arktischen Temperaturen mit bis zu minus 20 Grad sollte sich die Bevölkerung daran erinnern, wem sie das neue subtropische Staatsgebiet zu verdanken hat.

Wohlgefühl nationaler Größe

Neue außenpolitische Ambitionen waren zuletzt der Schlüssel zu Putins wiederbelebter Popularität. Sie zahlten sich für ihn nicht nur im Fall der Ukraine aus, sondern auch in der Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg.

Mit dem Einsatz im Nahen Osten präsentierte sich die russische Regierung nach vielen Jahren zum ersten Mal auf Augenhöhe mit dem Weltpolizisten USA und erzeugte ein "Wir sind wieder wer"-Gefühl im Volk, das gut ankam. Denn viele Russen trauern ihrem einstigen Weltmachtstatus nach, den sie mit dem Untergang der Sowjetunion verloren haben. Wenn ihre schlagkräftige Armee nun außerhalb der Landesgrenzen Flagge zeigt, erzeugt das ein Wohlgefühl nationaler Größe.

Doch zu einem hohen Preis. Die Ukraine-Krise hatte westliche Sanktionen zur Folge, die dem Land wehtun. Zu verflochten ist die russische Volkswirtschaft inzwischen mit der Weltwirtschaft, als dass sie ihre Isolierung einfach wegstecken könnte.

Soziale Wohltaten angekündigt

Der Präsident wird in seiner neuen Amtszeit daher abwägen müssen, ob er neue außenpolitische Abenteuer eingeht und damit weitere Sanktionen riskiert. Kriege kosten Geld. Und davon hat Putin längst nicht mehr so viel zur Verfügung, wie er eigentlich bräuchte.

Schließlich hat sich durch die Halbierung des Ölpreises im Jahr 2014 die Wirtschaftslage des von Öl- und Gasexporten abhängigen Landes verdüstert: Der Rubel verlor fast die Hälfte seines Wertes gegenüber dem Euro. Die Realeinkommen schrumpften vier Jahre lang in Folge. Der Lebensstandard vieler Russen sank - die Zahl der Armen nahm kontinuierlich zu. Heute liegt sie mit 22 Millionen deutlich höher als in den Nullerjahren.

In seiner Rede zur Lage der Nation am 1. März hatte Putin daher viele soziale Wohltaten angekündigt: Er wolle die Armut halbieren und Familien mit Kindern massiv fördern, hatte er versprochen, ohne allerdings zu erklären, wo das Geld dafür herkommen soll.

Wilde Spekulationen über Putins Zukunft

Bei der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte in Russland stellt das ein ungelöstes Problem dar. Teure Auslandseinsätze und die Beseitigung sozialer Missstände sind daher kaum gleichzeitig in großem Stil zu haben - Putin wird sich hier entscheiden müssen.

Schon bald wird der Präsident außerdem mit der Frage konfrontiert sein, wie er nach einem Vierteljahrhundert Regentschaft den Übergang managen will. Er müsste bald damit beginnen, seine Nachfolge zu regeln, da er 2024 nach der zweiten Amtszeit in Folge nicht mehr antreten darf.

Darauf ist der verfestigte Putinismus des Jahres 2018 allerdings überhaupt nicht ausgelegt. Vielmehr ist das gesamte politische System Russlands inzwischen dadurch geprägt, dass es außer Putin keinen unabhängigen Akteur von größerer Bedeutung gibt.

Deswegen kursieren bereits wilde Spekulationen darüber, ob Putin möglicherweise doch über das Jahr 2024 hinaus im Amt bleiben könnte. In Russland macht man schon Witze, ob Putin nicht sogar bei der übernächsten Wahl im Jahr 2030 antritt. Am Sonntag darauf angesprochen, schien der 65-Jährige diese Idee jedoch als "ziemlich lustig" von sich zu weisen. Man solle doch einmal nachrechnen. Ob er auf diesem Posten bleiben werde, "bis ich 100 Jahre alt bin?", fragte er der Nachrichtenagentur Tass zufolge. Und beantwortete das selbst mit einem Nein.

Es wäre Putin jedoch ein Leichtes, die Verfassung ändern zu lassen, um die Begrenzung der Amtszeiten abzuschaffen. 2008 wagte er das noch nicht. Oder er fabriziert sich ein neues hohes Amt. Alles scheint möglich. Sogar, dass er vielleicht doch einfach abtritt.

Die Zukunftsfrage betrifft aber auch die Opposition. Auf den zweiten Platz hinter Putin schaffte es der Kommunist Pawel Grudinin. Die vor allem bei der Jugend beliebte Xenia Sobtschak erhielt nur 1,6 Prozent. Doch die reine Arithmetik ist bei ihr irreführend. Sie spiegelt den Bedeutungsgewinn nicht wider, den ihr die Wahl gebracht hat.

"Wir wollen Veränderung"

Denn das Engagement der vergangenen Wochen könnte den Grundstein für eine langfristige politische Karriere gelegt haben. Drei Tage vor der Wahl hatte sie angekündigt, gemeinsam mit dem früheren Duma-Abgeordneten Dmitrij Gudkow die sogenannte "Veränderungspartei" gründen zu wollen: "Wir sind jung und frei. Wir wollen Veränderung, deshalb haben wir uns entschieden, zusammenzuarbeiten", hatte Sobtschak bei einem Wahlkampfauftritt gesagt.

Unterstützung bei der Präsidentschaftswahl bekam Sobtschak vor allem in den Großstädten. Im Moskauer Wahllokal 159 im Stadtteil Chamowniki nennen viele Anwohner am Wahltag auf Nachfrage den Namen der 36-Jährigen. "Ich unterstütze sie, weil sie allein mit ihrer Kandidatur gegen lauter Männer ein Zeichen in unserer Machogesellschaft gesetzt hat", sagt die Mathematikerin Alisja Krylowa. Diesen Geist wolle sie ihren drei Kindern vermitteln, so die 46-Jährige.

Nawalny verfügt über große Anhängerschaft

Auch Marfa Danilowa gibt an, Sobtschak das Vertrauen geschenkt zu haben: "Ich finde, sie bringt eine Zuversicht in die russische Politik, die bislang fehlte", begründet die 26-jährige Mitarbeiterin einer Werbeagentur ihr Votum.

Sobtschak will künftig nicht nur mit Gudkow zusammenarbeiten, sondern auch mit dem Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Dessen Möglichkeiten sind begrenzt. Zur Wahl durfte er nicht antreten, eine zum Wahltag geplante Kundgebung wurde verboten. Doch seine Anhängerschaft ist groß: Eigenen Angaben zufolge überwachten 33 000 Mitarbeiter in seinem Auftrag die Wahl. "Wir melden Verstöße schneller als die Zentrale Wahlkommission", schrieb er auf seiner Seite beim russischen Facebook-Pendant VKontakte.

Dort dokumentierte er Wahlfälschungen etwa in der westsibirischen Stadt Kemerowo oder in der südrussischen Region Krasnodar. Auch dass im Fernen Osten in einer Wahlurne schon vor der Öffnung des Wahllokals Stimmzettel lagen, entging dem 41-Jährigen nicht: "Die Wahlurne hat vor der Wahl versiegelt zu sein, so verlangt es das Gesetz", erläuterte Nawalny auf VKontakte.

Nawalny hat Sobtschak noch am Abend der Wahl einen Korb gegeben. Damit macht jeder in der Opposition weiterhin seins. Besser kann es für Putin nicht laufen.

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