Präsidentschaftswahl in Iran:Reformer auf dem Rückzug

Iran steckt in einer Systemkrise. Mittel- und Oberschicht wenden sich ab von der Regierung, nur die Armen stehen noch zum Kleriker-Regime. In dieser Lage versucht der geistliche Führer Chamenei jedes Risiko auszuschließen - bei der anstehenden Präsidentschaftswahl gilt nur ein Kandidat als reformorientiert.

Von Tomas Avenarius, Kairo

Ein Ahmadinedschad gibt sich nicht so schnell geschlagen. Kaum hatte der iranische Staatschef erfahren, dass sein Wunschnachfolger bei der anstehenden Präsidentenwahl nicht teilnehmen darf, trat er großspurig an die Öffentlichkeit. Der disqualifizierte Bewerber Isfandiar Rahim Maschaie sei "gläubig, rechtschaffen und nützlich für das Land", sagte Mahmud Ahmadinedschad. Doch nun sei Maschaie "das Opfer einer Ungerechtigkeit geworden".

Der Wächterrat als oberstes Aufsichtsgremium aller Wahlen in der Islamischen Republik hatte den Ahmadinedschad-Vertrauten als Bewerber ausgeschlossen. Nun will der aus dem Amt scheidende Präsident sich beim geistlichen Führer Ayatollah Ali Chamenei für seinen Schwager Maschaie persönlich verwenden. Dass dies mehr als schwierig wird, weiß der Bittsteller - der Beschluss des Wächterrats erfolgte erkennbar im Einvernehmen mit Chamenei und zielte direkt gegen Ahmadinedschad. Dennoch trompetete der Noch-Staatschef: "Ich bin zuversichtlich, dass das Problem gelöst wird."

Dass der Beschluss des Wächterrats weniger aus formalen Gründen ergangen ist, etwa wegen Zweifel an der islamisch-schiitischen Glaubensfestigkeit, zeigt sich auch am zweiten Kandidaten, dem die Bewerbung untersagt worden ist. Haschemi Rafsandschani, Veteran der Islamischen Revolution von 1979, Präsident von 1989 bis 1997 und Strippenzieher in der iranischen Politik und Geschäftswelt. Zwar wurde sein Alter von 78 Jahren als Grund vorgeschoben. Aber beiden Politikern wurde ihre Kandidatur wohl aus anderen Motiven verboten: Sowohl der Ahmadinedschad-Mann Maschaie als auch der als "der Hai" bekannte Rafsandschani hätten die Macht von Revolutionsführer Chamenei in Frage stellen können.

Die Verfassung ist das eine, die iranische Innenpolitik das andere

Das erklärt das Vorgehen des Wächterrats, eines von Revolutionsführer Chamenei mit handverlesenen Juristen und Geistlichen besetzen Kontrollorgans. Beim Zusammenstreichen der Kandidatenliste hatte der Rat von den fast 700 Kandidaten zuerst einmal erwartungsgemäß die 30 weiblichen Bewerber ausgeschlossen; eine Frau als Oberhaupt im Staat ist für Islamisten inakzeptabel. Dazu kamen unzählige angeblich "ungeeignete" Kandidaten. Politisch wurde es erst mit Rafsandschani und Maschaie.

Der Verfassung nach ist der geistliche Führer zwar das oberste Machtorgan in der Islamischen Republik, er steht über dem Staatspräsidenten. Doch die Verfassung ist das eine, die iranische Innenpolitik das andere. Das Knäuel gegensätzlicher Interessen erscheint auch Insidern als unentwirrbar. Konservative Geistliche kämpfen gegen Reformer, aber auch gegen modernistische Nationalisten. Die Sicherheitskräfte, allen voran die mächtigen Revolutionsgarden, streiten mit der Politik um den Primat und mit der Geschäftswelt um die Pfründen. Die Beschreibung der Teheraner Spitzenpolitik erinnert an Winston Churchills Beschreibung der Machtkämpfe im Kreml: Die verfeindeten Hunde zerfleischen sich gegenseitig, aber für Unbeteiligte unsichtbar, unter dem Teppich.

Zu den Teheraner Machtkämpfen hinzu kommt die Systemkrise der Islamischen Republik - eine Bevölkerung, die sich von der Politik nach 30 Jahren Gottesstaat enttäuscht abgewendet hat. Die Oberklasse lebt hinter hohen Mauern beim Whiskey ein westliches Leben und schickt ihre Kinder ins westliche Ausland zum Studieren. Die Mittelklasse leidet unter dem durch die internationalen Sanktionen verursachten Verfall der Wirtschaft und sympathisiert mit den liberalen Reformern. Diese Mittelschicht war es, die den "Grünen Aufstand" von 2009 getragen hatte, bis er unterdrückt wurde. Zahlreiche Reformern wurden inhaftiert, ihre beiden Führer Mir Hussein Mussawi und Mehdi Kharoubi stehen unter Hausarrest. Zudem setzen sich ethnisch-religiöse Minderheiten wie Kurden, Azeris oder Sunniten gegen Teheran zur Wehr, zum Teil mit Waffen.

Wie Ahmadinedschad seinen Mentor Chamenei demontiert hat

Wirklich geschlossen hinter dem Kleriker-Regime dürften nur noch die Armen in den Großstädten und die Landbevölkerung unter den 75 Millionen Iranern stehen. Sie profitieren von der Subventionspolitik des Populisten Ahmadinedschad, der trotz der Wirtschaftskrise an den teuren Staatsgeschenken für diese Schichten festgehalten hat.

Die durch den Atomstreit ausgelösten Sanktionen, der Wirtschaftseinbruch und der Aufstand von 2009 haben das Image von Revolutionsführer Chamenei angekratzt. Der Aufstand war durch eine Wahlfälschung ausgelöst worden, mit der Chamenei Ahmadinedschad im Amt gehalten und den Reformern ihren Sieg gestohlen hatte. Der nun aus dem Amt scheidende Präsident hat zur Demontage seines früheren Mentors Chamenei selbst beigetragen. Ahmadinedschad hatte von 2009 an versucht, das Machtmonopol des Revolutionsführers anzutasten und die eigene Macht auszuweiten. Deswegen verlor der einstige Günstling seine Sympathie.

Alle verbliebenen Kandidaten - klassische Systemgewächse

Es geht aber um mehr als persönliche Animositäten. Ahmadinedschad und Maschaie sind Vertreter einer neuen Politiker-Generation der Islamischen Republik. Sie sind keine schiitischen Geistlichen wie die Vertreter der Gründergeneration, zu der Chamenei und Rafsandschani zählen.

Falls die von Ahmadinedschad und Maschaie angekündigten Klagen gegen das Kandidaturverbot erwartungsgemäß abgelehnt werden, kann Chamenei der Präsidentenwahl gelassen entgegensehen. Statt neuer Proteste muss er eher eine geringe Wahlbeteiligung fürchten. Denn alle acht verbleibenden Kandidaten gelten als loyal: Unter ihnen sind ein Ex-Außenminister, zwei Atomunterhändler, ein Hauptstadt-Bürgermeister, ein Ex-Kommandeur der Revolutionsgarden - alle klassische Systemgewächse.

Nur der frühere Vize-Präsident Mohammed Reza Aref gilt als klar reformorientiert. Dass er das liberale Lager zum Sieg führen wird, ist unwahrscheinlich. Der beste Mann der Reformer, Ex-Staatschef Mohammed Chatami, hatte bewusst auf eine eigene Kandidatur verzichtet. Er und die anderen Politiker und freigeistigen Geistlichen, die seit dem missglückten Aufstand von 2009 auf dem Rückzug sind, hatten auf Rafsandschani gesetzt. Dass auch dieser Politiker vom Wächterrat ausgeschlossen wurde, zeigt, dass Chameneis Risikoanalyse durchdacht ist.

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