Süddeutsche Zeitung

Präsidentschaftswahl in Iran:Machtvoller Protest auf dem Stimmzettel

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Iran grenzt an eine Sensation. Auch wenn noch nicht alle Stimmen ausgezählt sind, ist klar: Die Menschen haben es satt, dass sich ihre Lebensbedingungen immer weiter verschlechtern. Mit der Wahl des moderaten Klerikers Hassan Rohani strafen sie das Regime auch für dessen aggressive Außenpolitik ab.

Von Paul-Anton Krüger

Noch sind nicht alle Stimmzettel ausgezählt, noch ist kein offizielles Ergebnis verkündet. Doch was sich abzeichnet bei der Präsidentenwahl in Iran grenzt angesichts der politischen Verhältnisse dort an eine Sensation.

Mit etwa der Hälfte der bislang ausgezählten 32 Millionen Stimmen liegt der moderate Kleriker Hassan Rohani nach offiziellen Zahlen des Innenministeriums eindeutig in Führung - er könnte bereits aus der ersten Runde als Nachfolger von Mahmud Ahmadinedschad hervorgehen, wenn er die absolute Mehrheit erreicht. Derzeit liegt er bei knapp 51 Prozent.

Abgeschlagener Zweiter in dem Rennen ist mit etwa 15,7 Prozent der Bürgermeister von Teheran, Mohammed Bagher-Kalibaf, ein konservativer Technokrat. Der Hardliner Said Dschalili, ein Vertrauter des Obersten Führers Ayatollah Ali Chamenei liegt mit gerade einmal 11,3 Prozent aussichtslos auf Platz vier, noch hinter dem früheren Chef der Revolutionsgarden, Mohsen Rezai.

Klare Botschaft

Diese Zahlen sind nicht so verlässlich, wie man das von Hochrechnungen bei Wahlen etwa in Deutschland gewohnt ist. Etwa 40 Millionen von 50,5 Millionen Wahlberechtigten dürften ihre Stimme abgegeben haben. Da können sich noch Verschiebungen ergeben, und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass das Regime noch an den Ergebnissen dreht, um eine Stichwahl am Freitag kommender Woche zu erzwingen.

Die Iraner haben nicht wirklich eine Wahl gehabt, aber sie haben sie dennoch genutzt. Ihre Botschaft an die Führung des Regimes ist klar: Die Menschen haben es satt, dass sich ihre Lebensbedingungen immer weiter verschlechtern. Sie sehen den Grund dafür nicht allein in der verfehlten Wirtschaftspolitik der Clique um den scheidenden Präsidenten Ahmadinedschad - dann hätten sie etwa auch Kalibaf an die Spitze setzen können. Sie sehen auch, dass die aggressive Außenpolitik, für die im Kandidatenfeld vor allem der Atomunterhändler Dschalili stand, dem Land und ihren ganz persönlichen Interessen schadet.

Sie haben nicht gegen das international umstrittene Atomprogramm gestimmt oder gegen die Beteiligung Irans am Bürgerkrieg in Syrien. Aber zumindest stimmten sie für einen Kandidaten, der, seinen Wahlkampfaussagen nach, Diplomatie der Konfrontation vorzieht und eine Annäherung mit dem Westen einleiten könnte, soweit der Oberste Führer Chamenei dies zulässt.

Hassan Rohani ist kein Oppositioneller, kein Reformer im eigentlichen Sinne. Er ist loyal zu Chamenei, wie alle anderen Kandidaten, die zur Wahl zugelassen worden sind. Er stellt nicht das System der Islamischen Republik infrage. Aber er ist noch immer der Kandidat, der in den Augen der Iraner am ehesten für Wandel steht.

Er hat die Unterstützung von Ex-Präsident Mohammed Chatami, dem immer noch einflussreichsten Vertreter des Reformflügels in Iran. Und auch Haschemi Rafsandschani, ebenfalls früher einmal Präsident, der vor allem eine andere Wirtschaftspolitik aber auch eine pragmatischere Außenpolitik befürwortet, hatte sich hinter ihn gestellt, nachdem der Wächterrat ihn selbst als Bewerber ausgeschlossen hatte.

Die Revolutionsrhetorik, die Said Dschalili im Wahlkampf angeschlagen hat, verfängt in Iran allenfalls noch bei den Bassidsch, den revolutionären Fußtruppen des Regimes. Der Mehrheit der Menschen aber geht es nicht um den angeblichen Widerstand gegen Amerika und Israel, um die paranoide Auslegung der islamistischen Ideologie, die Chamenei dem Land aufzwingt.

Das Regime und Chamenei an seiner Spitze werden die hohe Wahlbeteiligung als Bestätigung ihrer Legitimität werten; und sie können mit Rohani leben - immerhin hat der Wächterrat ihn als einen von ursprünglich acht handverlesenen Kandidaten zur Wahl zugelassen. Die Konservativen mögen sich selbst geschwächt haben, weil sie sich nicht auf eine Kandidaten einigen konnten.

Doch im Rahmen dessen, was das System zulässt, haben die Iraner deutlich gemacht, dass sie vor allem eines wollen: einfach nur besser leben. Viele hoffen darauf, dass ihnen ein Stück mehr persönliche Freiheit zugestanden wird. Vor allem aber geht es ihnen darum, dass sie ihre Tomaten wieder bezahlen können, ihr Hühnchen, ihre Pistazien. Die große Frage aber bleibt, ob sich Chamenei davon beeindrucken lässt. Er muss sich keiner Wahl durch das Volk stellen.

Die Herrschaft der Rechtsgelehrten, das Verfassungsprinzp der Islamischen Republik, das Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini einst geschaffen hatte, um sich die absolute Herrschaft bis zu seinem Tod zu sichern, enthebt ihn der Rechenschaftspflicht. Das erklärt wohl am Besten, warum er sein Land in eine solch miserable Situation manövriert hat.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1697314
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/segi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.