Süddeutsche Zeitung

Präsidentschaftswahl in Frankreich:Sarkozy macht den Schröder

Frankreichs Präsident gerät im Wahlkampf immer mehr in die Bredouille. Nun setzt er den Steuerplänen des Sozialisten Hollande einen Reform-Cocktail entgegen, der nach der deutschen Agenda 2010 schmeckt. Sarkozy bleibt auch nicht viel mehr als eine Blut-Schweiß-Tränen-Strategie, um sein Amt zu retten.

Jeanne Rubner

Nicolas Sarkozy ist ein Kämpfer. Knapp drei Monate vor der Wahl und 15 Prozentpunkte hinter seinem gefährlichsten Herausforderer, dem Sozialisten François Hollande, setzt Frankreichs Präsident aufs Ganze. Den Steuersenkungs- und Umverteilungsversprechen von Hollande hält er einen Reform-Cocktail entgegen, der nach der deutschen Agenda 2010 schmeckt. Sarkozy steht das Wasser bis zum Hals, und ihm bleibt nicht viel mehr als eine Blut-Schweiß-Tränen-Strategie, um sein Amt zu retten. Doch wird sie ihm nützen?

Dutzende Male hat Sarkozy bei seinem Fernsehinterview am Sonntagabend Deutschland erwähnt. Sein großes Vorbild war dabei aber nicht Kanzlerin Angela Merkel, die ihm Wahlkampfhilfe versprochen hat, sondern deren Vorgänger Gerhard Schröder, der Vater der Agenda 2010. Die Ironie der Geschichte will, dass der konservative Präsident Anleihen macht beim sozialdemokratischen Bundeskanzler. Nun haben Sarkozy und Schröder durchaus ein paar Dinge gemeinsam. Auch Schröder war ein Kämpfer und auch er ist mit seinen Reformen ein extrem hohes Risiko eingegangen. Doch die Unterschiede überwiegen.

Gleich drei entscheidende Vorteile konnte der SPD-Kanzler gegenüber dem UMP-Präsidenten für sich verbuchen. Als Sozialdemokrat konnte Gerhard Schröder auf die Unterstützung der Gewerkschaften setzen, die hierzulande ohnehin eher Partner als Gegner der Politik sind. Sarkozy dagegen muss mit heftigem Widerstand der Arbeitnehmer rechnen. Zweitens hat Schröder die Agenda 2010 zu Beginn seiner (zweiten) Amtszeit umgesetzt und nicht wie Sarkozy gegen Ende seiner ersten. Trotzdem konnte Schröder die Früchte nicht mehr ernten, dies tat die schwarz-gelbe Koalition. Drei Monate vor Torschluss kann Sarkozy kaum damit rechnen, dass er von Reformen profitiert. Drittens konnte Schröder darauf bauen, dass Staat und Wirtschaft trotz damals hoher Arbeitslosenzahlen in weitaus besserer Verfassung waren, als Frankreich mit seiner gigantischen Staatsverschuldung und einem erheblichen Handelsdefizit es heute ist.

Sarkozys Pläne: zu spät, zu unentschieden, zu oberflächlich

Sarkozy hat es heute also ungleich schwerer als Schröder damals. Angesichts dessen ist schon fast egal, was der Präsident vorschlägt. Eine "soziale" Mehrwertsteuer? Die Steuererhöhung soll Arbeitgeber entlasten, doch sie wird bei weitem nicht ausreichen, um Sozialabgaben nennenswert zu verringern. Eine Lockerung der 35-Stunden-Woche? Die verspricht Sarkozy seit er Präsident ist, geschehen ist nichts und ohnehin würden die Gewerkschaften eine grundlegende Reform nie akzeptieren. Mehr Lehrstellen? Das klingt gut, doch vier statt fünf Prozent Lehrlinge in einem Betrieb ändern nichts daran, dass Frankreichs Ausbildungssystem zu wenig praxisorientiert ist und der Arbeitsmarkt für Berufseinsteiger zu unflexibel. Eine Finanztransaktionssteuer? Sie ist populär, bringt aber angesichts des globalisierten Geldmarkts kaum etwas.

Zu spät, zu unentschieden, zu oberflächlich sind Sarkozys Pläne. Sollte er sie überhaupt umsetzen können, dann werden sie in den verbleibenden Monaten seiner Präsidentschaft kaum etwas bewirken. Zumindest nichts, was ihm den Nimbus des entschiedenen Reformers zurückgäbe. Frankreich braucht Reformen, aber sie müssen sehr viel tiefer gehen und die Strukturen verändern.

Einstweilen bleibt Nicolas Sarkozy nur der Bonus des Amtsinhabers. Noch hat er den Kampf nicht verloren. Mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen, dem Zentrumskandidaten François Bayrou und der zersplitterten Linken hält Frankreichs Wahl Unwägbarkeiten und Überraschungen bereit. Der Präsident wird bis zur letzten Minute kämpfen, so viel ist sicher. Sollte er verlieren, will er aus der Politik aussteigen und viel Geld verdienen. Dann hätte er zumindest etwas gemeinsam mit seinem Vorbild Gerhard Schröder.

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SZ vom 31.01.2012/ros
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