Süddeutsche Zeitung

Herausforderer Hollande:Die Angst des Favoriten auf den letzten Metern

Vorsprung ja, doch Zuversicht sieht anders aus: Herausforderer François Hollande liegt in Umfragen vor der Stichwahl gegen Präsident Sarkozy zwar immer noch vorne. Siegerallüren sind ihm aber fremd, im Gegenteil: Bei seinem letzten Auftritt hält er die vielleicht ängstlichste Rede des ganzen Wahlkampfs. Sarkozy hingegen zeigt sich zuversichtlich.

Lilith Volkert, Paris

Alison Uddin übt sich im Häuserkampf. Sobald eine Tür vor ihr aufgeht, packt die 18-jährige Französin ihr strahlendes Lächeln aus: "Bonsoir, ich bin für den sozialistischen Kandidaten François Hollande unterwegs, kennen Sie denn schon sein Programm?" Um ihr Handgelenk trägt die Medizinstudentin ein pinkfarbenes Band mit der Aufschrift "Der Wandel kommt jetzt", an ihrem Mantel einen großen roten "Freiwillige für François Hollande"-Anstecker.

Mit der Gemeinderätin Sylvie Poulain und drei anderen Freiwilligen ist sie am frühen Freitagabend in Charenton-le-Pont unterwegs. In der südlich von Paris gelegenen Gemeinde wird traditionell eher rechts gewählt. Immer zu zweit klingeln sie an den Türen eines 15-stöckigen Sozialwohnungsbaus in der Rue Victor Hugo und fragen die Bewohner, ob sie denn am Sonntag zur Wahl gehen und welchen Kandidaten sie bevorzugen.

"Wir machen das nicht, um Sarkozy-Wähler umzustimmen, das kostet zu viel Zeit", erklärt Loïc Rambaud auf dem Weg ins nächste Stockwerk. "Unser Ziel ist es, Nichtwähler dazu zu bringen, dass sie am Sonntag ihre Stimme abgeben. Am besten natürlich für François Hollande." Deswegen sind sie seit Tagen in Gegenden mit auffällig niedriger Wahlbeteiligung unterwegs. Gewissenhaft führen sie eine Strichliste, an wie vielen Türen sie klingeln und wie viele davon geöffnet werden. Wo niemand zu Hause ist, hängen sie einen Zettel an die Türklinke, der an die Wahl und an Hollandes Internetauftritt erinnert.

Der direkte Kontakt zum Wähler ist Hollande besonders wichtig

An mehr als fünf Millionen Türen in ganz Frankreich haben Freiwillige in den vergangenen Wochen geklopft, meldet die Sozialistische Partei am Freitagabend stolz. Weil in einem Land, in dem der Wahlkampf zum großen Teil in intellektuellen Zeitungsartikeln und TV-Diskussionen stattfindet, der direkte Kontakt zum Wähler besonders wichtig ist, haben die Sozialisten zur Präsidentschaftswahl erstmals eine großflächige "porte à porte"-Aktion organsiert. "Unser großes Vorbild ist Barack Obama und sein Wahlkampf 2008" sagt Loïc.

Tatsächlich hat François Hollande neben dem "Häuserkampf" einiges von dem US-Präsident übernommen. Er gibt vergleichsweise viel - ein Zehntel seines Etats - für den Online-Wahlkampf aus. Ein Team von 30 Mitarbeitern kümmert sich um die Seiten françoishollande.fr und toushollande.fr sowie um Radio Hollande, das täglich zwischen 18 und 19 Uhr aus der Wahlkampfzentrale sendet. Beraten werden sie von der Agentur Blue State Digital, die 2008 auch schon Obamas Netzkampagne auf die Beine gestellt hat.

Auch Hollandes Slogan "Le changement, c'est maintenant" ("Der Wandel kommt jetzt") erinnert verdächtig an Obamas "Change". Und an seinem Auftreten arbeitet der Sozialist zumindest. Zwar kann er dem charismatischen Amerikaner nicht ansatzweise das Wasser reichen, doch wenn Hollande nun mit weit ausgebreiteten Armen auf einer Bühne steht, wirkt das schon weniger ungelenk als noch vor wenigen Monaten.

"Die Sache steht auf Messers Schneide"

Am Freitagabend hütet sich der sozialistische Kandidat aber bewusst vor Siegerallüren. Bei seinem letzten Wahlkampfauftritt im südostfranzösischen Périgueux warnt er seine jubelnden Anhänger vor zu großem Optimismus. "Ihr seid zuversichtlich, doch ich muss euch sagen, dass der Sieg noch ungewiss ist", ruft er mit heiserer Stimme. "Noch ist nichts entschieden." Für Kommentatoren hält der Sozialist an diesem Abend die am wenigsten optimistische, wenn nicht sogar die ängstlichste Rede seines ganzen Wahlkampfes.

"Die Sache steht auf Messers Schneide", sagt auch Sarkozy bei seinem letzten Auftritt in Sables d'Olonne, einem Badeort an der Atlantikküste. Der Präsident, der in den letzten Umfragen zwischen vier und sechs Prozent zurückliegt, zeigt sich aber betont zuversichtlich: Er sehe gerade eine Wählermobilisierung, wie er sie noch nie in diesem Land erlebt habe.

Trotzdem kann er es nicht lassen, die Medien zum wiederholten Mal für ihre Arbeit zu kritisieren. Besonders ärgert er sich über einen Fernsehjournalisten, der seinem Sender während Sarkozys Rede eine Live-Einschätzung gibt. "Wenn ihr Freund, der mir gerade den Rücken zudreht, damit aufhören könnte, würde mir das sehr entgegenkommen", schnauzt der Amtsinhaber von der Bühne.

Knapp 500 Kilometer nordöstlich versuchen Alison Uddin und Yvan Rodolphe unterdessen einen unentschiedenen Wähler zu überzeugen, der einige Fragen zu Hollandes Programm hat. Nach einem zehnminütigen Gespräch verabschieden sie sich von dem immer noch nicht ganz überzeugten Bahnangestellten. "Wissen Sie was, Sie können ja Sarkozy wählen, wenn seine Leute vorbeikommen und Ihnen bessere Argumente liefern", sagt Yvan und grinst. Er weiß, dass diese Leute nicht kommen werden.

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