Präsidentschaftswahl in Frankreich:Didier Eribon: "Wer Macron wählt, wählt Le Pen"

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Den bekannten französischen Soziologen irritiert die deutsche Euphorie gegenüber Emmanuel Macron. Er sagt: Wird der frühere Sozialist zum französischen Präsidenten gewählt, folgt in fünf Jahren Le Pen.

Von Dorothea Grass

Didier Eribon hat mit seiner persönlichen Sozialstudie "Rückkehr nach Reims" im vergangenen Jahr in Deutschland einen großen Erfolg gelandet - sieben Jahre, nachdem das Buch in Frankreich erschienen war. 2017 ist der autobiografische Essay des Soziologen aktueller denn je. Denn er erklärt, warum die Linke in Frankreich ein großes Problem hat, der rechtsradikale Front National hingegen seit Jahren eine stetig wachsende Wählerschaft verbuchen kann.

Das Interesse an Eribon in Deutschland ist riesig. Jeden Tag, so der Autor, erhalte er mehrere Anfragen aus deutschen Medien. Dementsprechend voll ist der Lesesaal im Literaturhaus in München am Mittwochabend. Mehrere hundert Hälse recken sich, als Eribon in Mantel und Schal die Bühne betritt, weil er anders den deutschen Kälteeinbruch im April nicht erträgt.

Die Leute wollen hören, wie der Erklärer der französischen Arbeiterseele, Kind eines Arbeiters aus Reims, Universitätsprofessor aus Amiens und homosexueller Großstadtintellektueller die aktuelle Situation in seinem Land analysiert. Wie es gekommen ist, dass nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa eine mögliche Front-National-Präsidentin fürchten muss.

Um es auf den Punkt zu bringen: Es seien die Linken selbst, die sich ihrer Wählerschaft beraubt haben, so Eribon, und zwar in ganz Europa. Die Schröders und Blairs, die mit ihrer Verbeugung vor dem Neoliberalismus die Grundsätze von Sozialismus und Sozialdemokratie verraten hätten. Die damit das Band zwischen der Arbeiterklasse und den linken Parteien zerschnitten hätten und den Raum frei machten, der dann von den Rechtsradikalen besetzt werden konnte.

Eribon sieht Le Pen nicht siegen

Eribon berichtet vom Phänomen der Deindustrialisierung, das ganzen Arbeiterregionen wie Nord-Pas-de-Calais das Gefühl des Abgehängtseins überstülpte. Kollektive Strukturen seien damit in sich zusammengefallen; Gewerkschaften als sozialer Rahmen ihres Sinnes beraubt worden. Eribon schreibt in seinem Buch, dass so viele Arbeiter vom linken Lager in das extrem rechte gewechselt seien, sei "politische Notwehr der unteren Schichten" gewesen.

Trotz allem Aufwind für den Front National ist der Soziologe davon überzeugt, dass Marine Le Pen die Wahl nicht gewinnen wird. Er, der für den linken Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon stimmen will, kenne keine einzige Person in Frankreich, die an einen Sieg der Front-National-Chefin glaube, sagt er - und belässt es erstaunlicherweise bei dieser Begründung. Le Pen werde "deutlich" verlieren im zweiten Wahlgang.

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