Süddeutsche Zeitung

Präsidentin Kirchner:Das Erbe der argentinischen Clintons

  • Wenn Ende des Jahres die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner abtritt, geht auch die Ära "Kirchner" zu Ende, die ihr verstorbener Mann Néstor Kirchner begründet hatte.
  • Die Verfassung von Argentinien erlaubt nur zwei Amtszeiten. Fernández de Kirchner darf nicht erneut antreten.
  • Auch nach ihrem Rückzug aus der Politik wird Fernández de Kirchner weiter im Hintergrung Einfluss ausüben. Einer ihrer Vertrauten ist Kandidat für die Vizepräsidentschaft.
  • Die anderthalb Jahrzehnte "Kirchnerismus" waren eine Zeit ungewohnter politischer Stabilität in dem krisenerprobten südamerikanischen Land.
  • Zu Beginn der Ära "Kirchner" lag das Land wirtschaftlich am Boden, in der Bervölkerung gab es schwere Unruhen.

Von Sebastian Schoepp

Als Cristina Fernández de Kirchner kürzlich ein erstes Resumée ihrer Präsidentschaft zog, war sie wie üblich voll des Lobes - für sich selbst. Was habe man nicht alles geschafft, sagte sie vor jubelnden Anhängern auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires: Man habe dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die Stirn geboten, das Schweigen über die Verbrechen der Diktatur beendet, sogar in den eigenen Reihen; und vor allem habe man dem Land das Selbstbewusstsein zurückgegeben, das Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg sei. Dabei fehlte in ihrem Vortrag niemals die Referenz auf "ihn", dessen Namen Fernández de Kirchner nie ausspricht, es weiß eh jeder Argentinier, wer gemeint ist: ihr verstorbener Ehemann und Amtsvorgänger Néstor Kirchner, in dessen Sinne sie stets zu handeln betont.

Ende des Jahres tritt Cristina Fernández de Kirchner ab. Dann geht der "Kirchnerismus" zu Ende, anderthalb Jahrzehnte, in denen ein Ehepaar die Politik eines Landes geprägt hat wie sonst nur die Clintons in den USA - auf die Néstor Kirchner zu Lebzeiten mitunter Bezug nahm. Es waren anderthalb Jahrzehnte ungewohnter politischer Stabilität in dem krisenerprobten südamerikanischen Land, aber auch radikaler Polarisierung zwischen den Anhängern der Kirchners und ihrer Gegner.

Als Néstor Kirchner 2002 die Präsidentschaft übernahm, lag Argentinien am Boden, war pleite, die Straßen waren voller Demonstranten, die riefen: "Alle sollen abhauen". Gemeint waren Politiker, Wirtschaftslenker, Generäle, alle eben, die das Land in die Misere gerissen hatten. Kirchner wies immerhin dem IWF die Tür (was Griechenland nun gerne nachmachen würde), speiste Anleger mit einem Drittel ihres Geldes ab und führte das Land in einen Aufschwung, der allerdings auf Rohstoffeinnahmen gebaut war. Und der nun angesichts sinkender Preise bröckelt.

2010 starb Kirchner, seine Witwe gewann zweimal die Präsidentenwahl. Im Oktober kann sie nicht mehr für eine dritte Amtszeit antreten, obwohl sie gewollt und wohl auch keine schlechten Chancen gehabt hätte. Doch die Verfassung erlaubt nur zwei Amtszeiten. Gerne hätte Frau Kirchner sie geändert, doch die dafür nötige Zweidrittelmehrheit versagte ihr das Parlament trotz Mehrheit des Regierungslagers.

Vorwurf der Bereicherung im Amt

Fernández de Kirchner hat nun zur Überraschung vieler erklärt, kein politisches Amt mehr anzustreben, nicht mal einen Sitz im supranationalen Parlament der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur, der ihr parlamentarische Immunität gewährt hätte. Darauf hatten viele Kritiker gewettet, denn ihre Gegner im Justizapparat wetzen schon die Messer. Bereicherung im Amt ist ein Vorwurf, mit dem sie sich womöglich wird auseinandersetzen müssen.

Heil überstanden hat sie hingegen die Nisman-Affäre. Von der Unterstellung, sie sei mitverantwortlich für den Tod eines regierungskritischen Staatsanwalts ist nichts Seriöses übrig geblieben. Kirchner scheint also gelassen zu sein, politischen Einfluss wird sie eh weiter ausüben, über Strohmänner im Parlament, darunter ihr Sohn Máximo, der aus der Jugendbewegung La Cámpora stammt, einer Art kirchneristischer Nachwuchsschmiede.

Kandidat für die Vizepräsidentschaft ist Kirchners Vertrauter Carlos Zannini. Er ist Nummer zwei hinter dem Kandidaten der linksperonistischen Regierungspartei "Frente para la Victoria", Daniel Scioli. Der Gouverneur der Provinz Buenos Aires ist derzeit Favorit für die Wahl im Oktober. Er ist sehr viel gemäßigter als Kirchner, weshalb sie ihn nur mit halber Kraft unterstützt. Es wird erwartet, dass Scioli im Falle seiner Wahl den Autarkiekurs Kirchners abschwächen und korrigieren würde. Dieser Kurs hatte den Argentiniern viele Opfer abverlangt. Gerade Wähler aus ärmeren Schichten danken der Präsidentin hingegen ihre Sozialpolitik. Die haben den Staat viel Geld gekostet, weshalb Argentinien unter Inflation ächzt. Allerdings ist sie dieses Jahr zurückgegangen, was sich günstig auf die Wahlchancen Sciolis auswirken dürfte.

Agro-Industrielle und Sojabarone

Kirchners Gegner ätzen, die Präsidentin habe die Armen mit Sozialgeschenken gekauft, ein typisches Argument der Marktliberalen in Lateinamerika. Deren Vertreter in Argentinien ist Mauricio Macri, der aussichtsreichste Kandidat der Opposition. Der Bürgermeister von Buenos Aires war mal Präsident des Fußballclubs Boca-Junior und hat seine Anhänger vor allem in der urbanen Mittelschicht. Macri setzt auf Marktwirtschaft und den Erfolg des Individuums. Doch außerhalb von Buenos Aires kann er nur auf die Agro-Industriellen und Sojabarone zählen, auf deren Produktion sich Argentiniens Wohlstand stützt. Ob das für den Sieg reicht, ist fraglich.

Immerhin kann Macri auf die Kirchner-kritische Presse hoffen. Clarín, größte Zeitung spanischer Sprache, ist der scheidenden Präsidentin in herzlicher Feindschaft verbunden, seit Kirchner die Herausgeber beschuldigt hat, Diktaturverbrechen nicht nur verschwiegen, sondern sogar von der Militärherrschaft (1976 bis 1982) profitiert zu haben. Seitdem lässt Clarín keine Gelegenheit aus, gegen Kirchner zu schießen, zuletzt im Fall Nisman. Bei Menschenrechtsgruppen jedoch genießt die Präsidentin gerade wegen solcher Worte hohes Ansehen, kamen in den Kirchner-Jahren doch erst die Prozesse gegen Folterer und Diktatoren in Gang. Das dürfte als eine der größten Errungenschaften des Kirchnerismus historisch stehen bleiben.

So wäre der "Frente para la Victoria" und ihrem Kandidaten Scioli der Sieg wohl sicher - wenn Kirchner sich in ihrer konfrontativen Art nicht mit vielen ehemaligen Getreuen angelegt hätte, wie ihrem einstigen Kabinettschef Sergio Massa. Heute ist er einer der heftigsten Kritiker der Regierung und weiterer Präsidentschaftskandidat, der wohl nicht gewinnen, aber Scioli Stimmen bei den Armen und Linken abnehmen wird. Trotzdem zweifeln viele nicht an einem Sieg Sciolis und einer Fortführung des Kirchnerismus. Denn auf die rhetorische Frage der Präsidentin bei der Kundgebung auf der Plaza de Mayo - "geht's euch nicht ein bisschen besser als 2003?" - muss eine Mehrheit der Argentinier trotz der enormen Probleme des Landes wohl klar mit Ja antworten.

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SZ vom 26.06.2015/dayk
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