Präsidentenwahlen in der Ukraine:"Wichtig ist, wer die Stimmen zählt"

Ministerpräsident Janukowitsch hat sich zum Sieger der Stichwahl erklärt. Zehntausende protestieren auf den Straßen, die OSZE spricht von Wahlfälschung. Und die wurde schon lange vor der Abstimmung systematisch vorbereitet.

Von Thomas Urban

Warschau - Aus allen Landesteilen der Ukraine sind Manipulationen bei der Stimmauszählung gemeldet worden. Diese Machenschaften beginnen allerdings schon Monate vor dem eigentlichen Wahltermin.

Demonstration in Kiew - Reuters

Zehntausende Anhänger des Oppostionsführers Viktor Juschtschenko protestierten am Abend in Kiew gegen die manipulierte Wahl.

(Foto: Foto: Reuters)

Dabei kommen zahlreiche Behörden zum Einsatz, von der Polizei und der Feuerwehr über die Justiz und die Presseaufsicht bis zu den Finanzämtern. Sie überziehen oppositionelle Kandidaten und ihre Unterstützer mit Straf- und Steuerverfahren.

Die Feuerwehr kann wegen angeblicher Verstöße gegen feuerpolizeiliche Bestimmungen Redaktionen oder Parteibüros schließen. Es ist bezeichnend, dass an die Spitze zahlreicher Steuerbehörden ehemalige KGB-Offiziere getreten sind. Wo dennoch die Opposition bei der Wahl gewinnt, gibt es Entlassungen.

So hat der scheidende Präsident Leonid Kutschma nach der ersten Wahlrunde die Chefs von 13 Gebietsverwaltungen, in denen der pro-westliche Oppositionskandidat Viktor Juschtschenko vorne lag, abgesetzt.

Stadtstreicher vorgeführt

Eine zentrale Rolle spielen die staatlich kontrollierten Fernsehkanäle, die den Regierungschef lobten, den Oppositionsführer aber so gut wie überhaupt nicht zu Wort kommen ließen. Stattdessen wurden Punks, Stadtstreicher sowie Neonazis als Anhänger Juschtschenkos vorgeführt. Die ukrainische Führung kopiert dabei Methoden, die im Russland Wladimir Putins angewandt werden.

Am Wahltag selbst wurde nach Berichten der Opposition an vielen Orten versucht, Wahlzettel mit dem angekreuzten Namen Janukowitschs in die Urnen zu schmuggeln oder Wahlzettel einfach auszutauschen. Beispielsweise scheiterte im Bezirk Poltawa der Versuch, gleich 9000 Stimmen für den Regierungschef zur Auszählung zu bringen.

In der Ukraine darf man seine Stimme an jedem beliebigen Ort abgeben, nicht nur, wie in westlichen Demokratien üblich, am Heimatort - mit der Briefwahl als Alternative. Am Sonntag gab es im ganzen Land organisierte Busfahrten für Janukowitsch-Anhänger, die dann zu mehreren Orten fuhren, um vorbereitete Stimmzettel in den dortigen Wahllokalen abzugeben.

Wahltourismus

Das ukrainische Parlament hatte zwar im Eilverfahren per Gesetz die Abschaffung dieses zu Missbrauch einladenden Systems beschlossen, doch hat Kutschma das Gesetz nicht unterzeichnet.

Schon bei der ersten Wahlrunde am 31. Oktober wurde bekannt, dass auch die Namen von Verstorbenen nach wie vor in den Registern aufgeführt waren. Der "Wahltourismus" und die "toten Seelen" erklären auch die extrem hohe Wahlbeteiligung in der Ostukraine, wo Juschtschenkos Wahlkampfstab vielerorts an der Kontrolle der Abstimmung gehindert wurde.

Wahlen à la Stalin

Unabhängige Beobachter schätzen, dass in den Janukowitsch-Hochburgen im Osten mindestens ein Viertel der örtlichen Wahlkommissionen nur schwach oder überhaupt nicht beaufsichtigt wurde.

In der demokratischen Opposition wird gern der Vers des sowjetischen Diktators Josef Stalin zitiert: "Genossen, es ist nicht wichtig, wie das Volk wählt, es ist wichtig, wer die Stimmen zählt." Die Staatliche Wahlkommission wurde mit Gefolgsleuten Kutschmas besetzt.

Schon bei der ersten Runde hat sie wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten die kompletten Abstimmungen in drei Gebieten, in denen Juschtschenko mit großem Vorsprung gewonnen hatte, für ungültig erklärt. Schließlich lässt die Übertragung von Daten aus der Provinz zur Zentrale Manipulationsmöglichkeiten vielfältiger Art zu.

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