Präsidentenwahl: Wulff gegen Gauck:Der Sanfte und der Redner

Eine Woche vor der Entscheidung um das Präsidentenamt nutzt Joachim Gauck sein größtes Talent: Reden. Im Kampf um Medienpräsenz bleibt Favorit Wulff nur, den Softie für alle zu geben. In ihrem "Wahlkampf" vertrauen beide auf "Spin Doctors".

Dana Hoffmann

Sie haben wenig Zeit, die Zielgruppe ist klein und eigentlich soll es ja überhaupt kein Wahlkampf sein - und doch erregt ihr Duell die Deutschen. Christian Wulff gegen Joachim Gauck, der CDU-Politiker gegen den Parteilosen, der Funktionär gegen den Bürgerrechtler, der 51-Jährige gegen den 70-Jährigen. Das ist ein ganz besonderer Wettstreit.

Kinderdienst: Christian Wulff tritt gegen Joachim Gauck fuer das Amt des Bundespraesidenten an

"Die Zukunft gehört den Sanftmütigen", meint Christian Wulff. DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck schwingt im Gegensatz zu dem Niedersachsen gerne große Reden.

(Foto: ddp)

Die Kontrahenten verbringen die Zeit bis zur Wahl des Bundespräsidenten am 30. Juni mit öffentlichen Reden, Besuchen von Abgeordneten, Polit-Tourismus und Interviews. Eine Woche noch bis Buffalo, bis Schloss Bellevue. Es gilt, die Stimmung des Tages zu nutzen, das politische Momentum - damit Favorit Wulff wirklich im Ziel landet oder am Ende doch Joachim Gauck die Außenseiterchance nutzt. Alles kommt auf die 1244 Wahlleute an, die in Berlin abstimmen werden. Werden sie sich bei der geheimen Wahl doch von den Medien beeinflussen lassen?

Hier, in der veröffentlichten Meinung, liegt der Kandidat von SPD und Grünen vorn. "Der bessere Präsident" titelte der Spiegel, "Yes, we Gauck" freute sich Bild am Sonntag und Welt am Sonntag dichtete: "Gauck fliegen liberale Herzen zu".

Wahlkampf-Experte Matthias Machnig hat eine Erklärung für die einhellige Wahl der Medien: "Das liegt an der Lage, in der wir uns befinden. Die Art und Weise, wie Horst Köhler aus dem Amt ausgeschieden ist, das ist die eine Erklärung. Die andere ist, dass wir uns in einer wirtschaftlich und vielleicht auch innenpolitisch sehr schweren Situation befinden." Machnig hat einst Gerhard Schröders SPD-Wahlkämpfe ersonnen und ist heute thüringischer Wirtschaftsminister. Er verweist auf die gesellschaftliche Verunsicherung, der Gauck mit seiner Lebenserfahrung entgegentrete - für die Medien ein dankbarer Aufhänger.

Die Angst vor Abweichlern

Thymian Bussemer, 2004 und 2009 Sprecher von Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan, relativiert: "Was den Wahlerfolg angeht, ist die Berichterstattung eher von sekundärer Bedeutung", so der heutige VW-Manager. "Die Bundesversammlung besteht sowieso zu 90 Prozent aus politischen Profis. Die lassen sich bei der Wahl weniger von schönen Berichten in der Süddeutschen Zeitung beeinflussen als vielleicht das Schwabinger Bürgertum."

Mag ja sein. Aber auch Wahlmänner und Wahlfrauen bekommen mit, wie die Bürger denken - und schließlich soll das Volk ja bald wieder bei Wahlen der jeweiligen Partei die Stimme geben. Sicher könne man sich auch derer nicht sein, die ein Parteibuch in der Tasche hätten, räumt Bussemer ein. "Es gibt immer Unwägbarkeiten. Man weiß nicht, aus welchem Grund Leute ihr Kreuz für einen Kandidaten machen." Das könne aus Begeisterung für den einen oder Ablehnung des anderen sein.

So geschehen 2004: Gloria von Thurn und Taxis, damals Wahlfrau der CSU, hatte ihre Stimme der SPD-Kandidatin Gesine Schwan gegeben und sich öffentlich dazu bekannt. 2009 wurde sie nicht mehr entsandt.

Die Angst vor Abweichlern treibt auch Christian Wulff um. Bloß kein falsches Wort sagen, nichts Böses über Gauck und immer schön als softer Mister Zukunft positionieren - das ist seine Strategie.

Yes, we Gauck?

Seine seit langem geplante Sommerreise durch Niedersachsen mit bis zu fünf Terminen am Tag wird nunmehr zur Ich-kann-Präsident-Show, bei der ein Tross von Reportern jedes Detail notiert. Weitere Publicity-Auftritte kommen hinzu - selbst die Tatsache, dass sich Bettina Wulff ein Spielzimmer im Schloss Bellevue vorstellen kann, ist in Bild ein seitenfüllendes Thema. Da kann Gauck mit der News, er werde seine langjährige Lebensgefährtin womöglich bald heiraten, kaum mithalten. Das Springer-Blatt feiert ihn trotzdem, wie andere hauseigene Zeitungen. Pikanterweise gehört Verlegerin Friede Springer der CDU an und ist als Wahlfrau der Partei nominiert. Yes, we Gauck?

Sommerreise von MP Wulff durch Niedersachsen

Auf Sommerreise: Christian Wulff besuchte in der niedersächsischen Provinz unter anderem einen Wurst-Hersteller.

(Foto: ddp)

Vom Medienrummel um seinen Konkurrenten scheinbar unbeeindruckt reist Christian Wulff nach Frankfurt, Stuttgart oder Nürnberg, wo immer Wahlmänner und Wahlfrauen auffindbar sind. Er ist der nette Herr Jedermann, der sich um alles kümmern will. Verantwortlich für die Revue guter Nachrichten in Wulffs Revier ist sein "Spin Doctor", Regierungssprecher Olaf Glaeseker. Seine Aufgabe: Dafür sorgen, dass Wulffs mediale Präsenz stets den richtigen Dreh ("Spin") hat. Der ausgebildete Lokaljournalist hat den Empfang für Pop-Sternchen Lena nach dem Eurovision Songcontest inszeniert, seinen Ministerpräsidenten ohne größeren Schaden durch die Zeit nach dessen Scheidung manövriert und überhaupt den "Wohlfühl-Wulff" maßgeblich mitgestaltet - ein Politiker, der entspannt wirkt und sich den Medien öffnet.

Als Christian Wulff einst wirtschaftspolitischer Sprecher der Union werden sollte und Kanzlerin Angela Merkel die Konkurrenz fürchtete, zog Kommunikator Glaeseker den verhinderten Kanzleraspiranten aus der Schusslinie. CDU-Mann Wulff verbreitete pflichtgemäß im Stern, ihm fehle der "unbedingte Wille zur Macht", er sei halt kein "Alphatier". Da haben sie im Zirkus Berlin kurz gelacht.

Nun muss Glaeseker seinem angeblich machtscheuen Schützling die nötige präsidiale Aura verleihen. Ob das Schwiegersohn-Image mit Wulff nach Berlin ziehen soll, bleibt offen.

Das Amt komme seinen Fähigkeiten entgegen, versichert Wulff in der ZDF-Interviewsendung Was nun?: "Ich habe ja nie polarisiert, ich war ja nie so ein Lautsprecher und habe immer mehr auf die Zwischentöne geachtet", referiert Wulff auf die Frage, ob er die Alphatier-Aussage von damals wiederholen würde. Daraus macht er seine persönliche Agenda 2010: "Die Zukunft gehört den Sanftmütigen, den Friedfertigen." Also ihm.

"Die Zukunft gehört den Sanftmütigen"

Wulff wiederholt im ZDF gerne, dass Gauck eine "beeindruckende Biographie" habe. Darüber hinaus fällt ihm nicht viel Lobenswertes ein. Auf beiden Seiten will man von Wahlkampf nichts wissen, lädt sich vorsorglich gegenseitig zum Sommerfest auf Schloss Bellevue ein. Es gab schon ein intimes Kaffeekränzchen.

Der amtierende Ministerpräsident hat die besseren Bellevue-Gastgeber-Chancen: Schließlich genießt er einen Amtsbonus. Es kommt Termin auf Termin, bei dem sich der CDU-Politiker zeigen kann, sei es bei der Eröffnung des neuen Savannen-Gartens im Zoo seiner Heimatstadt Osnabrück, sei es beim Bummel durch den Betrieb eines Wurst-Produzenten in Ronnenberg-Empelde sowie bei der Inspektion eines Moorschnuckenhalters in Rehden.

Das gibt jedes Mal schöne Bilder und erinnert die Zielgruppe der Wahlmännerfrauen daran, dass hier Muttis Liebling zum Votum ansteht, der Auserkorene von Kanzlerin Merkel. Wulff entschied zunächst vorsorglich, bis zum Wahltermin im Amt und damit in der Hannoveraner Staatskanzlei zu bleiben, um nicht jeden Termin als Wahlkampf rechtfertigen zu müssen. Bei der Eröffnung des Tanzfestivals "Movimentos" in Wolfsburg betonte er zwar: "Einen Wahlkampf schließe ich aus." Die Zurufe aus dem Publikum genoss er dennoch sichtlich: "Wulff for President".

Du hast keine Chance, also nutze sie!

German presidential candidate Joachim Gauck delivers a speech in Berlin

Ein Mann der großen Worte: Joachim Gauck bei seiner Rede im Deutschen Theater in Berlin.

(Foto: Reuters)

Joachim Gauck hat kein Amt, das ihm Präsentationsanlässe frei Haus liefert - er hat nur seine Reputation. Er muss grandiose Reden halten wie am Dienstag im Deutschen Theater in Berlin, um zu zeigen, was er kann und der andere nicht. Und er hat aufrechte Konservative wie den CDU-Altministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, die sich gegen die Verhackstückelung der Präsidentenwahl durch die aktuelle Machtpolitik wehren. Das macht Gauck zur Inkarnation des Guten.

In Hannover durfte er sich nicht im repräsentativen Leibniz-Saal des Landtags den Abgeordneten vorstellen, es gab für ihn nur die Wandelhalle - dafür sorgte der Landtagspräsident von der CDU. Von wegen kein Wahlkampf! Gauck ist gefährlich gut geworden in den Tagen nach der Nominierung. Die Christdemokraten und die Liberalen ignorierten denn auch den Besuch des Gegenkandidaten, alles gemäß der bekannten Devise: Und führe uns nicht in Versuchung!

Auch bei Gauck wirken Medien-Helfer im Hintergrund. An der Spitze seines achtköpfigen Teams steht mit Johann Legner ein alter Bekannter, der von seinem Job als Chefredakteur der Lausitzer Rundschau kurzzeitig freigestellt ist. Er war unter Gauck jahrelang Sprecher der Stasi-Unterlagenbehörde. Mit an Bord sind außerdem der ehemalige BND-Chef Hansjörg Geiger, Ex-Gauck-Behördensprecher David Gill und die Publizistin Helga Hirsch. Sie und Gauck waren einmal ein Paar, seine jüngst erschienene Autobiographie schrieben sie zusammen.

Zwei Tage nach der Nominierung Gaucks verkündete Zeitungsmann Legner in seinem Twitter-Account: "Dabei im Team Gauck - und das ist gut so." Der nächste Eintrag nur vier Tage später: "Noch immer dabei im Team Gauck - und das macht sogar Spaß." Das provisorische Büro in der SPD-Zentrale ist inzwischen eingerichtet.

Zahlen, die Eindruck schinden

Mit den erfolgreichsten Kampagnen hat Politik-Journalist Legner jedoch nichts zu tun: Die Internetgemeinde steht hinter Joachim Gauck. Auf der Website www.mein-praesident.de haben bereits etwa 1400 Fans ein Bild von sich hochgeladen und in 160 Zeichen erklärt, warum der DDR-Bürgerrechtler ihr Favorit ist. 9500 Gauck-Anhänger bekannten sich auf www.wir-fuer-gauck.de zum ostdeutschen Theologen. Und immerhin 1200 junge Freunde hat Gauck auf www.studivz.de. Eine Petition an den Deutschen Bundestag mit der Bitte um die Wahl Gaucks haben knapp 9000 User virtuell unterschrieben. Und schließlich zählt eine Facebook-Gruppe namens "Joachim Gauck als Bundespräsident" mehr als 34.000 Mitglieder, deren Gründer Christoph Giesa der FDP angehört.

Der Liberale hat auch www.demos-fuer-gauck.de initiiert: Hier werden Gauck-Solidaritätskundgebungen in vielen deutschen Städten organisiert. Der Zuspruch auf öffentlichen Plätzen ist gering, was FDP-Mann Giesa auf die relativ kurze Vorlaufzeit schiebt. Das "Volk" entschied sich von zu Hause aus mehrfach per Abstimmung auf diversen Internetseiten pro Präsident Gauck. Der Rivale aus Hannover findet in den Medien hingegen kaum statt. Nils Minkmar, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, im NDR-Magazin Zapp: "Sie müssen ja dann mit so einem Bundespräsidenten auch eine Weile leben, und was wollen Sie über Christian Wulff fünf Jahre lang schreiben?"

Die Weisheit der vielen im Netz konterte Wulff mit einem Video-Chat im Internet. Er versucht sich an Beschwörungen: "Wenn sich die drei Parteien CDU, CSU und FDP von Anfang an auch für den ersten Wahlgang auf einen Kandidaten verständigen, ist das ein hohes Gut, eine Chance für Geschlossenheit, und das sollte jedem Beteiligten bewusst sein." Bei Facebook hat der wackere Christdemokrat allerdings erst 3600 Fürsprecher.

Gaucks Online-Erfolge machen Eindruck, am Ende aber sind sie für die Präsidentenwahl unerheblich. Sicher, der Rhetor aus Ostdeutschland absolviert mit Bravour seine Vorstellungsrunde in den Fraktionen der Landtage, doch er gibt bereits vorsorglich zu Protokoll, rechnen zu können.

Rechnerisch haben die anderen die Mehrheit. Also gilt die alte Sponti-Devise: Du hast keine Chance, also nutze sie!

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: