Präsidentenwahl in Tunesien:Letzter Schritt zur Demokratie

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Wahlbüro in Tunis: Zum ersten Mal finden in Tunesien freie Präsidentenwahlen statt. (Foto: dpa)

Mit der ersten freien Wahl eines Präsidenten besiegeln die Tunesier den Übergang von der Diktatur zur Demokratie. Die Stimmabgabe verläuft friedlich. Wahrscheinlich kommt es im Dezember zur Stichwahl zwischen den zwei Favoriten.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Mit der ersten freien Wahl eines Präsidenten haben die Tunesier am Sonntag den letzten Schritt beim Übergang von der Diktatur zur Demokratie vollzogen. Die mehr als 5,2 Millionen registrierten Wähler konnten unter 27 Bewerbern aussuchen - es trat aber nur eine Frau an, die 55 Jahre alte Richterin Kalthoum Kannou.

Béji Caïd Essebsi, der 87 Jahre alte Chef der säkularen Sammlungsbewegung Nidaa Tounes, zieht nach von tunesischen Medien am späten Abend verbreiteten Prognosen erwartungsgemäß mit den meisten Stimmen in die für Ende Dezember geplante Stichwahl ein. Der bisherige Übergangspräsident Moncef Marzouki, 69, liegt demnach an zweiter Stelle. Dass Essebsi bereits in der ersten Runde die absolute Mehrheit erreichen würde, galt als unwahrscheinlich, auch wenn ein Sprecher von Nidaa Tounes mitteilte, er habe die dafür nötige absolute Mehrheit nur knapp verfehlt. Die Prognosen unterschieden sich noch erheblich. Um 16:30 Uhr, eineinhalb Stunden vor der Schließung der meisten Wahllokale, lag die Beteiligung bei knapp 54 Prozent. Die Stimmabgabe verlief nach Angaben von internationalen Beobachtern ohne größere Zwischenfälle. 100 000 Polizisten und Soldaten sicherten den Wahlgang, da Störungen und auch Anschläge radikaler Islamisten befürchtet wurden.

Vertreter der mit Islamisten durchsetzten Liga zum Schutz der Revolution hatten mit einem Blutbad gedroht, sollte Essebsi gewählt werden. Dessen Partei hatte schon bei der Parlamentswahl vor vier Wochen die meisten Stimmen geholt und 86 der 217 Sitze erobert. Auch Marzouki hatte im Wahlkampf immer wieder vor einer Dominanz von Nidaa Tounes gewarnt - und vor einer Rückkehr des alten Regimes, gar der Diktatur. Die islamistische Ennahda-Partei hatte keinen eigenen Kandidaten aufgestellt und auch keinen der Bewerber offiziell unterstützt. Doch war ihren Anhängern klar, dass die Präferenz Marzouki gelten würde. Essebsi hatte ihn wegen seiner Nähe zu den Islamisten scharf attackiert.

Vielen Tunesiern stieß die Polarisierung im Wahlkampf übel auf, fürchten sie doch wenig mehr, als dass auch ihr Land destabilisiert werden und politischer Gewalt anheim fallen könnte. Marzoukis Attacken auf Essebsi, der unter Diktator Zine el-Abidine Ben Ali noch bis 1991 Präsident des Marionetten-Parlaments war, empfand manch einer als populistisch, wurden in der neuen Verfassung doch die Kompetenzen des Präsidenten beschnitten. Er muss sich die Exekutivgewalt mit dem Premier teilen, den allerdings die größte Fraktion stellt, also Nidaa Tounes.

© SZ vom 24.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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