Präsidentenwahl in Russland:Putin muss lernen, die Macht zu teilen

Bei allen Klagen über Wahlmanipulationen bezweifeln nicht einmal die Demonstranten Putins Sieg. Doch die Dynamik der Opposition ist beachtlich und deshalb muss Russlands gewählter Präsident eine politische Versöhnung anstreben, ansonsten emigrieren die besten Köpfe des Landes - oder sie radikalisieren sich.

Julian Hans

Niemand wird behaupten, dass die Präsidentschaftswahl in Russland einen überraschenden Ausgang genommen hätte. Vier Kandidaten hatte der Kreml erlaubt, sich mit dem amtierenden Premier Wladimir Putin zu messen - Konkurrenten waren es nicht wirklich.

Da gab es den blassen Opportunisten Sergej Mironow, geprüfte Verlierer wie den Kommunisten Gennadij Sjuganow oder Wladimir Schirinowskij, der nur vordergründig provokant auftritt, aber bei entscheidenden Abstimmungen zuverlässig auf der Seite des Kreml auftaucht. Nicht zu erwarten war auch, dass ein Milliardär wie Michail Prochorow beim russischen Volk auf Begeisterung stoßen würde.

Wird sich Wladimir Putin über diesen Sieg freuen können? Vermutlich nicht lange. Denn er weiß, dass die eigentlichen Gegner gar nicht auf den Wahllisten standen. In seiner Triumphrede vor hunderttausend Anhängern auf dem Manegenplatz verlor er dann auch kein Wort über seine Mitbewerber sondern sprach unter Tränen (der Rührung über sich selbst?) von einem Sieg über all jene, die versucht hätten, mit "politischen Provokationen" die russische Staatlichkeit zu zerstören. Aber: Wenn diese Gegner an der Wahl nicht teilnehmen konnten, dann sind sie auch nicht besiegt.

Um Sieg oder Niederlage dürfte es Putin jetzt auch gar nicht gehen. Vielmehr muss der alte neue Präsident einen Weg finden, die Opposition einzubinden und für den Staat zu gewinnen, eine Opposition, die seit Dezember immer wieder zu Hunderttausenden auf die Straßen geströmt ist. Nach den rhetorischen Ausfällen in der aufgeheizten Zeit zwischen Duma- und Präsidentschaftswahl erscheint das fast unmöglich. Aber Putin muss es versuchen, denn davon hängen nicht weniger als seine eigene und Russlands Zukunft ab.

Bei allen Klagen über Manipulationen bei der Abstimmung und der Auszählung - eines bezweifeln nicht einmal die Demonstranten: Hinter Wladimir Putin steht tatsächlich eine Mehrheit des Volkes: Lehrer, Ärzte, Offiziere und Rentner. Sie alle wurden für die großen Pro-Putin-Veranstaltungen in Bussen nach Moskau gefahren und winkten dort zum Teil etwas lustlos mit ihren Wimpeln.

Budschetniki werden sie genannt, Beamte oder Angestellte staatlicher Betriebe, die ihr Gehalt aus der Staatskasse bekommen. Sie sind die Gewinner der Putin-Ära. Nachdem in den 90er Jahren der Staat über Monate gar keine Gehälter mehr zahlte, fließt der Rubel heute zuverlässig. Vor der Wahl hat Putin noch einen ordentlichen Zuschlag versprochen.

Das System und seine Gegner - eigentlich verfolgen sie dieselben Ziele

Möglich war das nur dank üppiger Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas, die den russischen Haushalt füllen. Sollten irgendwann die Energiepreise sinken oder die Ölquellen nicht mehr sprudeln, wird Russland mit aller Härte auf seine wahren Probleme stoßen: die geringe Innovationskraft und die mangelnde Rechtssicherheit.

Wer seit Dezember auf die Straße ging, der würde daran auch etwas ändern können: junge Menschen, gut ausgebildet und weltgewandt. Sie sind nicht nur zornig, weil abstrakte demokratische Prinzipien nicht eingehalten werden. Sie spüren jeden Tag am eigenen Leib, dass es für ihr Engagement in Russland keinen Platz gibt.

Junge Wissenschaftler, die sich dem korrupten Apparat der Universitäten nicht unterwerfen wollen. Junge Unternehmer mit guten Geschäftsideen, die jederzeit damit rechnen müssen, dass ihnen nicht nur ein Teil vom Gewinn abgepresst wird, sondern mitunter auch gleich das ganze Unternehmen.

Das System und seine Gegner - eigentlich verfolgen sie dieselben Ziele. Innovation und Korruptionsbekämpfung waren zentrale Themen während der Präsidentschaft des künftigen Premiers Dmitrij Medwedjew.

Auch im Programm von Putin spielen sie eine wichtige Rolle. Aber es blieb bisher weitgehend bei Ankündigungen, was nicht zuletzt mit der Beharrungskraft von Putins ureigener Klientel zu tun hat. Beamte und Pensionäre treiben selten die Modernisierung voran. Außerdem verlangt das auf persönlicher Loyalität gebaute System seinen Preis: Die Gefolgsleute erwarten, dass sich ihre Loyalität auch einmal auszahlt.

Der Kreml hat mehrfach versucht, die Jungen und Gewitzten für sich zu gewinnen. Nach dem Muster der gelenkten Demokratie haben Medwedjew und Putin künstliche Organisationen geschaffen und sie als "Bewegungen" getarnt. Eine Dynamik konnten diese Gruppen nie entfalten. Nun gibt es eine echte Bewegung aus dem Milieu der Opposition, und ihre Dynamik ist beachtlich. Noch wäre es Zeit, sie einzubinden, bevor die besten Köpfe des Landes radikalisiert werden oder emigrieren.

Die politische Versöhnung kann nur in kleinen Schritten gelingen. Putin muss zunächst seine Rhetorik dämpfen - immerhin hat er die Demonstranten als Affenbande und Verräter denunziert. Dann muss neues Vertrauen gebildet werden.

Medwedjew hat es vorgemacht, indem er Oppositionelle an den runden Tisch lud und nun anordnete, das Urteil gegen Michail Chodorkowskij zu überprüfen und das Verbot der liberalen Parnas-Partei zu überdenken. Putins schwierigste Aufgabe aber wird sein, die Macht zu teilen. Denn Versöhnung bedeutet nicht unbedingt Gefolgschaft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: