Präsidentenwahl in Polen:Kaczynski macht's doch

Jaroslaw Kaczynski will das politische Erbe seines verstorbenen Zwillingsbruders Lech antreten und Polens Präsident werden - in seiner Erklärung demonstriert er grenzenloses Pflichtbewusstsein.

Corinna Nohn

"Polen ist unsere gemeinsame, große Verpflichtung. Das verlangt (...), trotz persönlicher Tragödien, Aufgaben zu übernehmen. Deshalb habe ich mich entschieden, für das Amt des Präsidenten der Republik Polen zu kandidieren."

Jaroslaw Kaczynski, AP

Viele meinen, es schon lange gewusst zu haben, nun ist es offiziell: Jaroslaw Kaczynski will seinem verstorbenen Zwillingsbruder ins Präsidentenamt folgen.

(Foto: Foto: AP)

Mit diesen Worten hat Jaroslaw Kaczynski auf der Homepage seiner Partei Prawo i Sprawiedliwosc (PiS, Recht und Gerechtigkeit) am Montagnachmittag klargestellt, dass er nun doch das politische Erbe seines verstorbenen Zwillingsbruders Lech antreten möchte. Er kandidiert bei der vorgezogenen Präsidentschaftswahl am 20. Juni.

PiS wollte es noch einmal spannend machen - nur bis 16:15 Uhr hatte sie Zeit, der polnischen Wahlkommission den Namen eines Kandidaten sowie die nötigen Dokumente zu übermitteln. Immer wieder hieß es: Die Entscheidung ist bereits gefallen, wird aber noch nicht verkündet.

Weder Jaroslaw Kaczynski noch andere Parteimitglieder hatten sich in den Wochen nach dem Flugzeugabsturz von Smolensk, bei dem der amtierende Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere Menschen ums Leben gekommen waren, verbindlich zur Zukunft der Partei geäußert.

Für viele Kommentatoren stand schon kurz nach dem Unglück am 10. April fest: Nur der 60-jährige Parteichef Jaroslaw kommt als Kandidat für die PiS in Frage. Der einstige Ministerpräsident, in dessen Regierungszeit 2006 und 2007 das deutsch-polnische Verhältnis deutlich abkühlte, steht seit 2003 an der Spitze der Partei, die er vor knapp neun Jahren mit seinem Zwillingsbruder Lech gründete.

"Kaczynski als Kandidat der PiS", titelte bereits vor der offiziellen Verlautbarung die linksliberale Gazeta Wyborcza, die größte Tageszeitung Polens. "Es gibt keine Zweifel, dass er 'ja' sagt", schrieb das Blatt und berief sich auf Menschen, die dem Politiker nahestehen. Jaroslaw Kaczynski habe seinen Bruder, seine Schwägerin, viele Freunde verloren, das sei persönlich eine wahnsinnig schwere Situation für ihn. Doch er sei zäh - und die Politik sei nun wie nie zuvor Motivation für ihn, weiterzumachen.

Pflichtbewusstsein und fast Selbstaufgabe für die Partei demonstriert Jaroslaw Kaczynski in seiner Erklärung zur Kandidatur: "Das tragisch beendete Leben des Präsidenten der Republik Polen, der Tod der patriotischen Elite Polens, das bedeutet für uns: Wir müssen ihre Mission beenden. Das sind wir ihnen und unserem Vaterland schuldig", schreibt er.

Außerdem gibt es laut Gazeta Wyborcza ganz pragmatische Gründe für Jaroslaw Kaczynski, sich als Kandidat aufstellen zu lassen: Aus den Umfragewerten lasse sich klar ablesen, dass die von ihm aufgebaute Partei einzig mit ihm selbst an der Spitze eine Chance habe, den Kampf ums höchste Staatsamt aufzunehmen.

Jaroslaw Kaczynski ist unverheiratet, hat keine Kinder und machte nie einen Hehl daraus, dass sein Bruder, mit dem er oft mehrmals täglich telefonierte, und seine Mutter die wichtigsten Menschen in seinem Leben sind. Immer wieder tauchen auch Gerüchte auf, der Junggeselle sei homosexuell - was er vehement bestreitet. Die PiS-Partei vertritt eine scharfe Homosexuellen-feindliche Position; es machen dazu auch viele Witze die Runde, etwa dass die Kaczynski-Zwillinge aus Abneigung gegen Schwule keinen Käse aus homogenisierter Milch essen.

Lesen Sie mehr über den Kandidaten Jaroslaw Kaczynski und den Wahlkampf in Polen.

Komorowksi liegt in Umfragen vorne

In der Öffentlichkeit trat der Jurist seit dem Unglück nur im Zusammenhang mit den Trauerfeierlichkeiten für den verunglückten Bruder, dessen Frau Maria und die anderen Opfer auf. Die Bilder von ihm und seiner Nichte Marta, die um ihre verstorbenen Angehörigen weinen, gingen um die Welt. Eine Kulisse, aus der ein Präsidentschaftskandidat Kapital schlagen könnte, waren sich zumindest Kaczynski-skeptische Medien einig.

Allerdings trauten es ihm viele Politikexperten nach diesem Schicksalsschlag nicht zu, für die PiS-Partei in einen schweren Präsidentenwahlkampf zu ziehen. Denn trotz der Sympathiewelle, die den zuvor oft verspotteten Jaroslaw Kaczynski nach dem Tod seines Bruder nun umspült, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er sich im Rennen um das höchste polnische Staatsamt durchsetzen kann.

Allen Prognosen zufolge liegt Bronislaw Komorowski, der Kandidat der regierenden Platforma Obywatelska (PO, Bürgerplattform), trotz seiner kühlen Art weit vorne. Der 57-Jährige hat als Präsident des polnischen Parlaments Sejm nach dem Tod Lech Kaczynskis geschäftsführend die Aufgaben des Staatsoberhaupts übernommen und in dieser Funktion gute Chancen, seine Popularität auszubauen. Zudem gilt Jaroslaw Kaczynski als ein Mann des politischen Tagesgeschäfts, als ein eiskalter Kämpfertyp - wie soll so jemand eine gute Figur als Staatsoberhaupt machen?

Jaroslaw Kaczynski hätte eigentlich an jenem 10. April auch in der Maschine nach Smolensk sitzen und an der Trauerfeier für die Toten von Katyn teilnehmen sollen. Weil er sich jedoch um die schwer kranke Mutter kümmerte, die laut polnischen Medienberichten bislang nichts vom Tod ihres Sohnes Lech und der Schwiegertochter weiß, verzichtete er darauf.

Außerdem befürchten Kritiker, dass Jaroslaw Kaczynski die Politik von Premier Donald Tusk, den er abgrundtief hassen soll, noch stärker blockieren würde, als es bislang Lech Kaczynski tat. Das würde Polen lähmen und könnte dem Land insbesondere in dieser Situation schwer schaden.

Spannend wird nun auf jeden Fall der Wahlkampf. Wird Kaczynski die Tragödie von Smolensk ausschlachten? Schließlich sprach er bereits kurz nach der Katastrophe von einem "Märtyrertod" seines Bruders. Werden die Parteien nun wieder schärfere Töne anschlagen, nachdem in Polen in den Wochen nach dem Unglück eine etwas versöhnlichere Atmosphäre geherrscht hat? "Wird der Wahlkampf ruhig, aus Hochachtung für die Verstorbenen, oder brutal?", fragt auch die Gazeta Wyborcza.

Auf jeden Fall werde der Kandidat der PiS "Sprache und Stil des Wahlkampfes bestimmen", von ihm hänge ab, ob es einen Umbruch im Umgang der Parteien gebe oder ob die alten Gräben wieder aufbrechen, sagte Präsidentschaftskandidat Komorowski in einem Interview mit der Gazeta Wyborcza. Seine von Patriotismus geprägten Erklärung schließt Jaroslaw Kaczynski aber mit versönlichen Tönen: "Alle, die das Werk der Opfer von Smolensk weiterführen möchten, (...) lade ich zur Zusammenarbeit ein. Lasst uns zusammenstehen. Für Polen. Polen ist das Wichtigste."

Lesen Sie auf Seite 3 mehr über die anderen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl.

Die anderen Kandidaten

Bereits vor einigen Tagen hat auch die Partei Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD, Bund der Demokratischen Linken) ihren Kandidaten nominiert: den erst 36 Jahre alten Grzegorz Napieralski. Ursprünglich wollte die Partei mit Ex-Verteidigungsminister Jerzy Szmajdzinski bei dem Urnengang antreten. Er saß jedoch am 10. April ebenfalls in der verunglückten Präsidentenmaschine.

Außerdem stehen sieben weitere Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im Juni fest - sie gelten zwar als chancenlos, doch einige von ihnen sind auch schon auf internationaler Bühne aufgefallen:

So schickt die an der Regierung beteiligte Bauernpartei PSL ein bekanntes Gesicht ins Rennen: Waldemar Pawlak. Der 50-jährige studierte Maschinenbauer ist derzeit stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister.

Und für die populistische Samoobrona (Selbstverteidigung) - eine gesellschaftspolitisch national-konservativ, wirtschaftlich links ausgerichtete Partei - tritt erneut Andrzej Lepper an. Der 55-Jährige hat zum einen mit verbalen Ausfällen großes Aufsehen erregt - so nannte er etwa den früheren Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski einmal "den größten Faulpelz der Nation" und Arbeiterheld Lech Walesa einen "Hochstapler". Außerdem gab es um ihn Wirbel wegen diverser Korruptionsvorwürfe und Missbrauchsvorwürfe.

Die rechtskonservative und euroskeptische Partei Wolnosc i Praworzadnosc (Freiheit und Rechtsstaatlichkeit) hat den 67-jährigen Janusz Korwin-Mikke nominiert. Der passionierte Bridge-Spieler tritt offen für die Wiedereinführung der Monarchie ein und war bereits drei Mal als Kandidat fürs Präsidentenamt nominiert. Die Partei Libertas Polska schickt den Geschäftsmann Bogdan Szpryngiel ins Rennen. Er kandidierte bereits im vergangenen Jahr bei der Europawahl und erhielt in seinem Stimmkreis 286 Stimmen.

Für die christlich-konservative Partei Prawica Rzeczypospolitej (Die Rechte der Republik) kandidiert der 49-jährige Marek Jurek, und die Solidarnosc Walczaca (Kämpfende Solidarität) hat ihren 68 Jahre alten Parteigründer und -vorsitzenden Kornel Morawiecki nominiert. Der Kandidat Boguslaw Zietek schließlich ist Vorsitzender der Polnischen Arbeiterpartei und Chef der parteinahen und für ihre radikalen Aktionen bekannten Gewerkschaft "August '80".

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