Präsidentenwahl in Polen:Drachentöter auf Stimmenfang

Der vorgezogene Präsidentenwahlkampf in Polen hatte viel Ungewöhnliches zu bieten, und der Urnengang am Sonntag wird spannender als anfangs vermutet. Fest steht lediglich, dass der Name des künftigen Präsidenten mit K beginnen wird.

Corinna Nohn

Etwa 30 Millionen Polen sind am Sonntag aufgerufen, für fünf Jahre einen neuen Präsidenten zu bestimmen, der weitaus einflussreicher ist als das deutsche Staatsoberhaupt. Eigentlich hätten die Wahlen turnusgemäß im Herbst stattfinden sollen.

Kaczynski, presidential candidate from Law and Justice Party (PiS), speaks to media in front of Fiat Auto Poland factory in Tychy

Der Bruder des verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski, Jaroslaw, liegt in den Umfragen zur Präsidentenwahl hinter seinem Kontrahenten Bronislaw Komorowski. Doch er kann sich noch Chancen ausrechnen.

(Foto: Reuters)

Doch der Flugzeugabsturz von Smolensk, bei dem am 10. April der amtierende Staatspräsident Lech Kaczynski und alle anderen 95 Passagiere ums Leben kamen, brachte die Pläne aller Parteien zu Fall.

Die Wahl musste vorgezogen werden, und Parlamentspräsident Komorowski, der der regierenden Bürgerplattform (PO) angehört, fiel das höchste Amt im Staat zumindest übergangsweise kampflos in die Hände. Wie Kaczynskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatten andere Parteien hingegen Spitzenpolitiker und potentielle Kandidaten bei dem Unglück verloren und mussten sich neu orientieren.

Erst gut zwei Wochen nach der Katastrophe verkündete PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der Zwilling des verstorbenen Lech, die "Mission" seines Bruders vollenden zu wollen und als Kandidat anzutreten. Der 61-Jährige entschied sich dazu, obwohl selbst seine Anhänger bezweifelten, dass er gegen den in Umfragen weit vorne liegenden Komorowski eine Chance haben könnte. Andererseits wusste jeder: Wenn es einen gibt, der es schaffen kann, dann Jaroslaw.

Die nach dem Absturz keimende Hoffnung, die Tragödie werde das Land einen und die Parteien in einem kurzen Wahlkampf von Attacken auf den politischen Gegner abhalten, hat sich nicht erfüllt. Zwar ersetzten vielerorts Benefizkonzerte für die Flugzeugopfer die typischen Wahlkampfauftritte der Kandidaten, bei Fernsehauftritten riefen die Politiker zu Dialog und Kompromiss auf, und selbst der scharfzüngige Kaczynski präsentierte sich zuweilen milde und freundlich gesonnen.

Doch die Tage vor dem Wahlsonntag werfen ein Licht darauf, was hinter den Kulissen abläuft: Das öffentliche polnische Fernsehen TVP muss erklären, warum es laut einer Analyse der anerkannten Stefan-Batory-Stiftung über Komorowski meistens negativ berichtet. Auch die links-liberale und größte polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza hat ermittelt, das öffentliche Fernsehen stelle nahezu in jeder Angelegenheit eine negative Verbindung zu Komorowski her.

Gleichzeitig erlitt Kaczynski eine herbe Schlappe vor Gericht: Warschauer Richter befanden ihn für schuldig, über die gesundheitspolitischen Pläne Komorowskis gelogen zu haben. Kaczynski muss seine Aussagen nun öffentlich widerrufen und sich entschuldigen. Er hatte im Wahlkampf behauptet, Komorowski wolle als Präsident das Gesundheitswesen privatisieren.

Ob diese richterliche Bescheinigung, gelogen zu haben, Kaczynski schaden wird, ist unklar. In den vergangenen Wochen hat er in Umfragen stark zugelegt, doch noch führt der Konkurrent: Je nach Marktforschungsinstitut unterstützen 41 bis 48 Prozent der Wähler Komorowski und 29 bis 34 Prozent Kaczynski. Keiner der übrigen acht Kandidaten hat Aussicht, die Wahl für sich zu entscheiden. Die Umfragen sagen lediglich dem erst 36 Jahre alten Grzegorz Napieralski vom Bund der Demokratischen Linken (SLD) ein respektables Ergebnis von acht bis zwölf Prozent voraus.

Die Aussagekraft dieser Werte wird durch den Umstand geschwächt, dass sich die Wahlbeteiligung in Polen auf niedrigem Niveau bewegt: Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2005 lag sie in beiden Wahlgängen nur bei etwa 50 Prozent. Laut Gazeta Wyborcza sind viele Polen der Meinung, dass es auf ihre Stimme nicht ankommt. Kurioserweise behaupteten in Umfragen zudem immer auffällig mehr Bürger, dass Wählen wichtig ist und sie selbst wählen gehen, als es laut tatsächlicher Statistik sein können.

Voraussichtlich wird keiner der Kandidaten am Sonntag auf Anhieb mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Wer sind also die drei Politiker, die eine Chance haben, auch am wahrscheinlichen zweiten Wahlgang am 4. Juli teilzunehmen?

Die Kandidaten

Bronislaw Komorowski

Der 58 Jahre alte Komorowski galt von vornherein als Favorit: Der frühere Verteidigungsminister stand bereits vor dem Unglück von Smolensk als Kandidat der bürgerlich-liberalen Regierungspartei PO fest, weil Parteichef und Premier Donald Tusk auf die Kandidatur verzichtete. Doch dass Parlamentspräsident Komorowski das höchste Amt im Staat nach dem Tod Lech Kaczynskis zumindest kommissarisch ein halbes Jahr früher als geplant übernahm, war kein Vorteil für ihn. Es gelang ihm nicht immer; seine überparteilichen Pflichten als polnischer Präsident und Sejm-Präsident mit den Ambitionen des Wahlkämpfers in Einklang zu bringen.

Der als bodenständig geltende "Bronek" ist ein enger Vertrauter Tusks und hält es wie dieser für richtig, den Schwerpunkt der polnischen Außenpolitik auf die EU und nicht die USA zu setzen. Auch die deutsch-polnische Annäherung ist dem einstigen Solidarnosc-Aktivisten sehr wichtig. So hat er sich zuletzt auch intensiv darum bemüht, die Wogen im Streit um das Zentrum gegen Vertreibung zu glätten, und mit Bundestagspräsident Norbert Lammert tauscht er sich regelmäßig aus.

Komorowski, der sich im Internet mit einer detailliert und vielseitig gestalteten Homepage präsentiert, möchte aber auch in der Innenpolitik einen versöhnlichen Kurs einschlagen. Sein Wahlspruch lautet: "Eintracht baut auf". Er ist verheiratet und hat fünf Kinder.

Jaroslaw Kaczynski

Auch der 61 Jahre alte Vorsitzende der rechtskonservativen PiS-Partei gibt sich kompromissbereit: "Beenden wir den polnisch-polnischen Krieg", appelliert er an die Konkurrenten, sein Wahlspruch klingt ganz patriotisch: "Am wichtigsten ist Polen." Tatsächlich hat sich der Jurist, der nach dem Tod seines Bruders und seiner Schwägerin einige Tage abgetaucht war, wohl aus Pflichtbewusstsein zur Kandidatur überreden lassen. Es war klar, dass nur er das Ruder für die von ihm und seinem Bruder Lech gegründete Partei herumreißen könnte.

Tatsächlich scheint die Taktik aufzugehen, denn seine Popularität stieg zuletzt von Woche zu Woche. Anfang des Jahres war der frühere Premier wegen seiner scharfzüngigen Attacken auf politische Konkurrenten und in Richtung EU im Volk noch unbeliebter als sein Zwilling Lech, der als Präsident viele Gesetze blockiert oder verzögert hatte. Doch seit dem Unglück und Jaroslaws Entschluss, in die Fußstapfen seines Bruders zu treten, beobachten die polnischen Medien eine Veränderung: Kaczynski, der ebenfalls in der antikommunistischen Opposition und der Solidarnosc aktiv war, versucht offensichtlich, weniger zu polarisieren. Statt über die Hegemonie Deutschlands und der EU herzuziehen und Russland zu verdammen, bekundet er plötzlich Sympathie für den östlichen Nachbarn und preist die soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard.

Seine Anhänger setzen Kaczynski, der ledig und kinderlos ist und bei der schwer kranken Mutter lebt, gar mit dem Heiligen Georg gleich. Der Drachentöter ist in Polen eine sehr beliebte Figur. Wie Georg soll Kaczynski das Böse dieser Welt, insbesondere alle ehemaligen Kommunisten und korrupten Oligarchen, besiegen.

Grzegorz Napieralski

In Deutschland, wo der Präsident mindestens 40 Jahre alt sein muss, könnte sich der 36-Jährige nicht als Kandidat aufstellen lassen. Doch das polnische Staatsoberhaupt muss nur das 35. Lebensjahr vollendet haben.

Der Politologe Napieralski war bereits in den neunziger Jahren politisch aktiv, seit 2004 sitzt er im polnischen Parlament. Vor zwei Jahren gewann er überraschend den Kampf um den Vorsitz der SLD. Er hofft zwar nicht wirklich darauf, die Wahl zu gewinnen. Doch dass er sich deutlich von den restlichen sieben Kandidaten absetzt, die nur mit einem oder zwei Prozent der Stimmen rechnen können, scheint ihm Mut zu machen. In einer Talkshow sagte er, sein Ziel sei es, einer der beiden Kandidaten zu sein, die am zweiten Wahlgang teilnehmen.

Daran glauben außer dem verheirateten Vater von zwei Töchtern nur wenige. Doch sein Einfluss auf den Ausgang der Wahl ist trotzdem erheblich. Sowohl Komorowski als auch Kaczynski buhlen um seine Gunst: Denn am Ende wird wohl derjenige das Rennen machen, der in der zweiten Runde die Stimmen Napieralskis bekommt.

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