Präsidentenwahl:Ein Ultrarechter verführt Brasilien

Seine Tiraden gegen Frauen, Schwule, Indigene und "all den linken Müll" haben ihm nicht geschadet: Jair Messias Bolsonaro geht als klarer Favorit in die zweite Runde der Präsidentenwahl.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Präsidentenwahl: Wahlmaschinen sind für Anhänger von Jair Bolsonaro eher unnützer demokratischer Klimbim. Daher verbrennen sie sie gerne. Wenn ihr Kandidat nicht gewinnt, war es sowieso Betrug.

Wahlmaschinen sind für Anhänger von Jair Bolsonaro eher unnützer demokratischer Klimbim. Daher verbrennen sie sie gerne. Wenn ihr Kandidat nicht gewinnt, war es sowieso Betrug.

(Foto: Alexandre Schneider/AFP)

Die Wahl läuft in Brasilien elektronisch ab. Es geht nicht um das Kreuzchen an der richtigen Stelle, man muss die Kennziffer seines Wunschkandidaten in einen Apparat eintippen, der einem alten Festnetztelefon ähnelt. Die Zwölf für Ciro Gomes, die Dreizehn für Fernando Haddad, die Siebzehn für Jair Bolsonaro, jeder Brasilianer kennt diese Zahlen. Und deshalb haben auch alle verstanden, was der frühere Weltmeister und Weltfußballer Ronaldinho sagen wollte, als er am Morgen des ersten Wahlgangs ein Foto verbreiten ließ, das ihn im brasilianischen Nationaltrikot mit der Rückennummer 17 zeigte: Wählt Bolsonaro! Man hätte Ronaldinho gerne als Dribbelkünstler in Erinnerung behalten. Nun wird er als Wahlhelfer für einen Rechtsextremen in die Geschichte eingehen.

Es war fast nur noch eine Randnotiz, als sich im Lauf des Sonntages auch Rivaldo, ebenfalls Weltmeister und Weltfußballer, der Bolsonaro-Kampagne anschloss. Bei der Frage, wie Brasilien nach ultrarechts kippte, die sich nun immer drängender stellt, werden die Historiker der Zukunft wohl auch im Milieu der Fußballfans forschen müssen. Schwer begreiflich ist die Empfehlung von Ronaldinho und Rivaldo auch deshalb, weil beide afrobrasilianische Wurzeln haben - und Bolsonaro unlängst über Afrobrasilianer gesagt hatte, sie seien zu faul, um sich fortzupflanzen.

Fernando Haddad braucht jetzt einen Schulterschluss aller Demokraten

Geschadet hat ihm das so wenig wie seine menschenverachtenden Tiraden gegen Frauen, Schwule, Indigene und "all den linken Müll". Jair Messias Bolsonaro, 63, gewann den ersten Durchgang mit deutlich größerem Vorsprung als die Demoskopen vorhergesagt hatten. 46 Prozent der Wahlberechtigten, Reiche und Arme, Schwarze und Weiße, Männer und Frauen stimmten für den Hauptmann der Reserve. Er verpasste die absolute Mehrheit nur denkbar knapp. Bolsonaro trifft nun in der Stichwahl am 28. Oktober auf Fernando Haddad, 55, von der linken Arbeiterpartei PT, den Ersatzmann des inhaftierten Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Haddad bekam im ersten Durchgang 29 Prozent der Stimmen.

Gleich in seinem ersten Statement nach der Auszählung stellte Bolsonaro seine chronische Allergie gegen demokratische Spielregeln unter Beweis. Die fehlenden Prozentpunkte zur absoluten Mehrheit erklärte er mit "Problemen beim elektronischen Wahlsystem", es sei nicht vertrauenswürdig. Diesen Diskurs hatte er in sozialen Netzwerken seit Wochen vorbereitet. Klarer Tenor: Falls er nicht gewinnen sollte, war es Wahlbetrug. Bolsonaros designierter Vizepräsident, der Reservegeneral Hamilton Mourão, hat auch schon öffentlich darüber sinniert, was dann passieren könnte: Zur Not müsse eben das Militär ausrücken, um "die Ordnung herzustellen".

Die elektronischen Urnen funktionieren seit über zwei Jahrzehnten ziemlich tadellos. Auch Bolsonaro selbst war auf diese Weise mehrmals in den Kongress gewählt worden, genau wie seine Söhne Flávio und Eduardo an diesem Sonntag. Schlecht ist dieses System aus Sicht des derzeit populärsten Familien-Clans des Landes nur dort, wo das Ergebnis nicht ganz stimmt.

Was definitiv nicht funktioniert in Brasilien, ist die Demoskopie. Unabhängig davon, dass die Umfragen schwer daneben lagen, hatten sie einen nicht mehr zu rechtfertigenden Einfluss auf den Wahlausgang. Im 24-Stunden-Takt wurden in der zurückliegenden Woche neue Erhebungen präsentiert, der gesamte politische Diskurs drehte sich um dieses bizarre Zahlenspiel. Viel zu kurz kamen ernsthafte Reflexionen darüber, wer oder was hier eigentlich zur Wahl steht. Da die Zuspitzung auf ein Stechen zwischen der linkspopulistischen PT und dem rechtsextremen Bolsonaro praktisch unausweichlich erschien, stimmte offenbar ein Großteil der gemäßigt eingestellten Brasilianer strategisch ab - also nicht für ihren Kandidaten, sondern gegen das aus ihrer Sicht größere Feindbild. Das erklärt die unterirdischen Ergebnisse des gemäßigt Linken Ciro Gomes (12,5 Prozent), des liberal-konservativen Geraldo Alckmin von der einstigen Volkspartei PSDB (4,8) sowie der früheren Umweltministerin Marina Silva (1,0).

Bolsonaro, der für eine bislang unbedeutende Splitterpartei antritt, ist jetzt der eindeutige Favorit für die Stichwahl. Seit der knapp überstandenen Messerattacke von Anfang September surft er auf einer Welle der Zuneigung, die sich mehr und mehr zu einem reißenden Strom entwickelt. Viele regionale Kandidaten, die ihn unterstützten, feierten am Sonntag fast schon sensationelle Wahlsiege. Die PT, die größte linke Partei Lateinamerikas, erlebte dagegen in weiten Teilen des Landes ein Debakel. Allen voran die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff, die als Vertreterin ihrer Heimatregion Minas Gerais in den Senat einziehen wollte und dieses Ziel klar verpasste.

Gemessen daran hat Fernando Haddad sogar ordentlich abgeschnitten. Aber wenn er Staatschef werden und Bolsonaro verhindern will, dann genügt es jetzt nicht mehr, die linke Stammklientel zu mobilisieren. Haddad braucht einen Schulterschluss aller Demokraten, von ganz links bis fast ganz rechts. Er muss seinen Diskurs mildern, das Zentrum erobern, historische Rivalen der PT überzeugen. Und vielleicht finden sich im Land des fünfmaligen Weltmeisters auch noch ein paar Fußballer, die ihn dabei unterstützen.

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