Süddeutsche Zeitung

Designierter Präsident Wladimir Putin:Wenn ein Sieg kein Sieg ist

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Putin wird Russlands neuer Präsident. Aber was ist das für ein Erfolg, der von weit mehr als 2000 Beschwerden begleitet ist, von Zweifeln und Protesten? Seinen Anspruch, allseits bewunderter Anführer der Nation zu sein, hat Putin verwirkt. Schon am Wahltag zeigte sich die wachsende Unversöhnlichkeit zwischen dem Staat und dessen Kritikern.

Frank Nienhuysen, Moskau

Wladimir Putin hat gezeigt, dass man klar gewinnen und doch zugleich verlieren kann. Seine Machtmaschinerie, sorgsam aufgebaut in mehr als einer Dekade, hat ihm bereits in der ersten Wahlrunde den Sieg gebracht. Aber was ist das für ein Erfolg, der von weit mehr als 2000 Beschwerden begleitet ist, von Zweifeln und Protesten?

Dabei ist der Wahltag selber nicht einmal entscheidend für die Qualität dieser Abstimmung. Putins dauerhafte Mediendominanz, eingeschüchterte Staatsangestellte, der Ausschluss eines liberalen Oppositionsbewerbers und im Eilverfahren ausgeschüttete Renten- und Solderhöhungen haben weit vor der Wahl bereits ein Klima geschaffen, mit dem dieses Ergebnis erst möglich wurde. Putin wird im Mai als Präsident vereidigt, seinen Anspruch, allseits bewunderter Anführer der Nation zu sein, hat er dennoch verwirkt.

Grund ist jener nennenswerte Teil des Volkes, der sich aus der Apathie vergangener Jahre erhoben und seine Politikverdrossenheit überwunden hat. Zehntausende Russen haben an diesem Wahlsonntag nicht nur ihre eigene Stimme abgegeben, sondern sahen als freiwillige Beobachter den Behörden auf die Finger, dokumentierten Wahlfälschungen und meldeten sie weiter. Eine derartige Form der russischen Bürgerbeteiligung hat es noch nicht gegeben. Wenigstens darin hat diese Wahl auch einen Fortschritt in der Geschichte Russlands gebracht.

Das Volk ist also aufgewacht, von den Machthabern in Moskau lässt sich das nicht sagen. Denn das System staatlicher Kontrolle zu erhalten und zugleich im Kern zu reformieren, ist schwer möglich. Wahlsieger Putin dürfte sich nun allenfalls zu einigen Gesten an seine Gegner bereit zeigen, doch nur, um anschließend seinen alten Kurs fortzusetzen. Zwölf machtvolle Putin-Jahre haben bisher den mangelnden Reformwillen eines Mannes bewiesen, für den der Begriff Kompromiss nur ein Fremdwort ist für Schwäche. So stehen Russland und seinem alten und neuen mächtigsten Mann eine schwierige Zukunft bevor.

Schon am Wahltag zeigte sich die wachsende Unversöhnlichkeit zwischen dem Staat und dessen Kritikern. Hinweise der Opposition auf Wahlfälschungen wurden vom Innenministerium postwendend bagatellisiert. Ignoranz auf der einen Seite, Zorn auf der anderen - so treibt das Land auf eine gefährliche Lage zu, in der sich die russische Gesellschaft immer deutlicher in Putin-Gegner und Putin-Befürworter spaltet. Erst die nächsten Tage werden verraten, wie groß tatsächlich die Kluft zwischen Staat und Volk ist, ob der Dampf sich verzieht und die Russen sich letztendlich doch mit dem Ergebnis arrangieren können.

Wenn nicht, bleibt nur eines: eine Neuwahl des Parlaments, eine weitere Wahl des Präsidenten oder echte Reformen. Die Chancen dafür sind gering. Andererseits ist Russland zu groß, der Berg an Problemen zu gewaltig, als dass es sich eine Spaltung der Gesellschaft leisten kann. Der Kremlchef hat die Wahl.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2012
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