Dass er am ehesten Mario Monti zutraut, Italien aus dem Schlamassel zu führen, daraus macht Staatspräsident Giorgio Napolitano kein Geheimnis. Befehlen kann er dem Parlament nicht, den früheren EU-Kommissar zum Regierungschef zu wählen.
Aber wohin es im Interesse des Landes gehen sollte, dafür findet Napolitano auch im Strudel der Finanzkrise Worte und Zeichen, deutlich wie immer: Am Mittwochabend hat er Monti zum Senator auf Lebenszeit ernannt. Das ist kein politisches Amt, auch wenn es einen Sitz in der Parlamentskammer bedeutet: Verdiente Persönlichkeiten können als Senatori a Vita geehrt werden, wie beispielsweise die Medizin-Nobelpreisträgerin Rita Levi-Montalcini.
Alle Augen richten sich derzeit auf Präsident Napolitano. Der zarte, alte Herr hält das Land zusammen. Wie ein Pfeiler steht der 86-Jährige im politischen Sturm. Am Donnerstag hat er erneut gemahnt: "Europa erwartet dringend wichtige Signale dafür, dass eines seiner Gründerländer seine Verantwortung übernimmt. Ich bin sicher, Italien, seine gesellschaftlichen und politischen Kräfte, werden sich als dieser Aufgabe gewachsen erweisen." Das war kein höflicher Ausdruck der Hoffnung, sondern eine Order an die Parteien. Die waren währenddessen weiter am Streiten.
Deutlich besorgt hat Giorgio Napolitano seit Monaten dringend und in immer schnellerem Takt verlangt, dass die Regierung endlich ihre Pflicht tut: endlich die von Europa verlangten Maßnahmen zur Schuldenbekämpfung auf den Tisch legt. Hätten Ministerpräsident Silvio Berlusconi und seine Minister darauf gehört, wären sehr viele Milliarden weniger an den Börsen verbrannt. Napolitano will nun keinem Politiker mehr erlauben, auch nur einen Tag mehr mit Gezocke um die Macht zu vertändeln.
Die Macht des italienischen Staatspräsidenten ist vor allem die Moral. Aber er kann das Parlament auflösen. In normalen Zeiten hat er, ähnlich wie der deutsche Bundespräsident, repräsentative Aufgaben. Einschreiten muss der auf sieben Jahre gewählte Präsident aber, wenn im Parlament keine klaren Mehrheiten vorhanden sind.
Er kann dann einen aussichtsreichen Kandidaten beauftragen, eine neue Regierung zu bilden. Besteht darauf keine Chance, beschließt er, das Parlament aufzulösen und neu wählen zu lassen. Das wäre nicht die beste Lösung, wegen des Machtvakuums von zwei, drei Monaten, das der Wahlkampfs erzeugen würde. Deshalb will der Präsident lieber Monti oder einen anderen als neuen Premier. Aber wenn schon gewählt werden muss, so hat Napolitano klargemacht, dann möglichst schnell.
Napolitanos Autorität hat sich bei ausländischen Regierungen längst herumgesprochen. Während sie den skandalverbrannten Berlusconi mieden, kamen Regierungschefs und Staatsoberhäupter immer wieder gerne zu Napolitano. Sie wissen, dass er der einzige unparteiische, absolut zuverlässige Gesprächspartner in Italiens Politik ist. Auch Kanzlerin Angela Merkel konsultierte ihn vor dem G-20-Gipfel in Cannes, um sich über die wahre Lage Italiens zu informieren. Auch sonst wirkt der 2006 gewählte Napolitano mit seinem stets würdevollen, aber persönlich bescheidenen Auftreten wie das Gegenteil Berlusconis.
Der hatte sich lange Hoffnungen gemacht, Napolitano als Präsident zu folgen. Er träumte davon, sich hinter den Mauern des Quirinals-Palasts vor der Justiz verstecken zu können. Vielen Italienern erschien diese Vorstellung als das Maximum an Peinlichkeit: dass ein so mit Skandalen belasteter Mann auch noch ihr höchstes Staatsamt erklimmen könnte und womöglich Sexparties im Präsidialpalast feiert.
Oft genug hat Berlusconi den Präsidenten als Hüter der Verfassung ohne Respekt vor Person und Institution attackiert. Unendlich wütend war Berlusconi, wenn Napolitano signalisierte, die Regierung brauche Gesetzesentwürfe, die Berlusconi Immunität schenken sollten, gar nicht weiter zu verfolgen: Sie seien nicht verfassungsgemäß, also werde er sie nicht unterschreiben.
Napolitano, der sonst ziemlich humorvoll und ironisch sein kann, kommuniziert oft in sachlichen Noten. Wenn es ihm nötig erschien, zum Beispiel als Berlusconi ein gar zu wüstes Vokabular der politischen Auseinandersetzungen vorgab, dann rief der Mann aus Neapel auch mal dazwischen.
Die Italiener lieben und vertrauen Napolitano schon längst, seine Zustimmungswerte liegen um die 90 Prozent. Er findet den richtigen Ton für Schulkinder in Apulien genauso wie für Staatsoberhäupter oder Witwen gefallener Soldaten, denen er kondolieren muss. Napolitano hat die gesellschaftlichen Probleme stets angesprochen, für die die Regierung kaum ein Wort fand. Die Jugendarbeitslosigkeit zum Beispiel. Napolitano machte sich zum Anwalt der jungen Generation. Sie und die Zukunft Europa bezeichnet er als seine Herzensanliegen. Auch für sie muss er jetzt in Italien alles auf den Weg bringen.