Die Kritik an Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen wird zunehmend schärfer. Politiker verschiedener Parteien sind mit seinem Vorgehen nach den Ausschreitungen in Chemnitz nicht einverstanden. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte als Gastrednerin beim Landesparteitag in Hessen, wenn Maaßen seine Aussagen nicht belegen könne, "hat er zur politischen Aufheizung beigetragen".
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wenn Menschen in Chemnitz berichten, dass sie eingeschüchtert und angegriffen wurden, dann hilft es nicht, in Frage zu stellen, dass das passiert ist." Straftäter müssten konsequent verfolgt werden, fügte sie hinzu. "Es muss klar sein, dass auf den Rechtsstaat Verlass ist." Es müsse zudem denen der Rücken gestärkt werden, die sich vor Ort für die Demokratie und ein friedliches Miteinander einsetzten. "Jetzt, aber vor allem auch dauerhaft." Wichtig sei, dass "etwas bleibt, wenn die Kameras wieder abgezogen sind".
Chemnitz-Video:Maaßens zweifelhafter Zweifel
Der Verfassungsschutzpräsident stellt die Echtheit des weltweit geteilten Chemnitz-Videos infrage. Die SZ hat den Weg der Aufnahmen nachverfolgt.
Sie selbst arbeite daran, sagte Giffey und kündigte an, in den kommenden Wochen abermals nach Chemnitz zu fahren. Giffey war nach der tödlichen Messerattacke auf einen Deutschen und den fremdenfeindlichen Protesten danach als erste Bundespolitikerin nach Chemnitz gefahren, um sich vor Ort ein Bild zu machen und am Tatort Blumen niederzulegen.
SPD-Chefin Andrea Nahles stellt die Eignung von Hans-Georg Maaßen als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz infrage. Maaßen hatte am Freitag die Echtheit eines Videos von einer möglichen Hetzjagd auf Migranten in Chemnitz in Zweifel gezogen und steht seither massiv in der Kritik. Nahles sagte dem Tagesspiegel, Maaßens Äußerungen zu Chemnitz ließen daran zweifeln, ob er geeignet sei, "unsere Verfassung und damit unsere Demokratie zu schützen".
Ähnliche Bedenken äußerte sie über Maaßens Vorgesetzten, Innenminister Horst Seehofer (CSU). Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hatten das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesinnenministerium sich vor Maaßens Äußerungen abgesprochen: Es habe zwar keine Weisungslage gegeben, wohl aber eine Abstimmung, bevor das Interview von Maaßen autorisiert wurde.
Malu Dreyer: Maaßen "zerstört Vertrauen in unseren Staat"
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer von der SPD und ihr Amtskollege aus Thüringen, Bodo Ramelow von der Linken, sprachen sich für eine Entlassung Maaßens aus. Der Bild am Sonntag sagte Malu Dreyer: "Herr Maaßen stellt die Glaubwürdigkeit von Politik, Medien und den vielen Augenzeugen infrage. Er schafft weitere Verunsicherung und zerstört damit Vertrauen in unseren Staat."
Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sehen die Vorgänge als Beleg dafür, dass es mittelfristig tiefergreifende Veränderungen brauche: "Der Verfassungsschutz braucht einen Neustart", sagten sie. Nötig sei ein personell und strukturell völlig neues "Bundesamt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr", das klar abgegrenzt von polizeilichen Aufgaben arbeite. Daneben müsse es ein Institut zum Schutz der Verfassung geben, um "die Strukturen und Zusammenhänge demokratie- und menschenfeindlicher Bestrebungen wie Faschismus oder Islamismus zu beobachten und zu analysieren".
Der Zentralrat der Juden in Deutschland ruft die Politik zum Handeln auf. "Die rassistischen Ausschreitungen und der Anschlag auf das koschere Restaurant in Chemnitz zeigen, wie stark der Rechtsextremismus in der Region verwurzelt ist", sagte Zentralrats-Präsident Josef Schuster. Beschwichtigungsversuche und eine mangelnde Distanzierung von Rechtspopulisten spielten genau diesen Kräften in die Hände. Indirekt auf Maaßen Bezug nehmend, sagte Schuster: "Die Bestrebungen der Verfassungsbehörden, die Vorfälle offensichtlich zu bagatellisieren, lassen mich ernsthaft an der Arbeit dieser Behörden zweifeln."
FDP sieht Merkel in der Pflicht, Maaßen bekräftigt seine Position
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Volker Kauder mahnte zu mehr Sachlichkeit in der Diskussion. Es müsse "endlich ein umfassendes und nachprüfbares Lagebild" der Vorkommnisse von Chemnitz vorgelegt werden, sagte der CDU-Politiker der Zeitung Welt am Sonntag.
Die FDP sieht in der Sache Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Pflicht. Merkel müsse eine Erklärung abgeben, forderte der innenpolitische Sprecher der Liberalen, Konstantin Kuhle, im Handelsblatt. "Die Bundeskanzlerin muss am Mittwoch in der Generalaussprache zum Bundeshaushalt klarstellen, ob die Bundesregierung dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz noch vertraut", sagte er der Zeitung. Die Diskussion über Maaßen sei "ein Symptom für einen Entfremdungsprozess zwischen Sicherheitsbehörden und Politik". "Das ist eine extrem gefährliche Entwicklung", fügte der FDP-Politiker hinzu.
Maaßen hatte in einem Interview über das Video gesagt, es sprächen "gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken". Damit bezog er sich auf das Tötungsdelikt an einem 35-Jährigen, das zwei jungen Männern aus Syrien und dem Irak angelastet wird und das zu Demonstrationen auch rechter Gruppierungen geführt hatte, die teilweise in Ausschreitungen mündeten.
Das Video gilt als einer der zentralen Belege dafür, dass am 26. August ausländisch aussehende Menschen durch Chemnitz gejagt worden sind. Es gibt nach derzeitigem Stand der Recherchen keinerlei Anzeichen dafür, dass die Aufnahme gefälscht oder manipuliert ist. Dennoch soll Maaßen seine Position am Samstag noch einmal bekräftigt haben. Bei einem Treffen mit Innenstaatsekretär Stephan Mayer von der CSU und anderen Ministeriumsvertretern argumentierte er einem Bericht des Focus zufolge damit, dass umgekehrt auch niemand die Authentizität des Videos bestätigen könne.