Süddeutsche Zeitung

Pränataldiagnostik:Die Eltern sind nicht das Problem

Anstatt Schwangeren den Zugang zu Bluttest zu erschweren, muss sich die Politik fragen, warum eine Behinderung heute noch so vielen Menschen Sorgen bereitet - und Betroffene besser unterstützen.

Kommentar von Kristiana Ludwig

In der zehnten Woche einer Schwangerschaft ist ein Embryo noch nicht viel größer als eine Fingerkuppe. Frauen dürfen bis zu diesem Zeitpunkt straffrei abbrechen, mit einer Tablette zum Beispiel oder mit einem zehnminütigen Eingriff. Einen Grund müssen sie dann noch nicht vorweisen, nur ein Gespräch. Für jene zehnte Woche gibt es nun einen unkomplizierten Bluttest, der zeigt, ob ein Kind sehr wahrscheinlich ein Downsyndrom bekommt. Er schafft Fakten zu einem Zeitpunkt, an dem sich Frauen scheinbar leicht gegen dieses Kind entscheiden können. Ist es ethisch vertretbar, ihnen so ein Wissen kostenlos zur Verfügung zu stellen? Ja, das ist es.

Welch ein Menschenbild liegt der Vorstellung zugrunde, dass ein Test auf Kosten der Kasse zu einem Aussortieren jeden Lebens führt, das nicht einer gesellschaftlichen Norm entspricht? Es ist die Idee von Paaren, die so lange testen und abtreiben, bis sie endlich ein makelloses Baby erwarten können. Von Schwangerschaften unter Vorbehalt. Mit der Marktreife jedes neuen Gentests müsste man sich künftig dieselbe Frage stellen: Zerstören Eltern mit diesen Informationen die Vielfalt unserer Gesellschaft?

So ein Bild ist nicht nur deshalb eindimensional, weil es davon ausgeht, dass die meisten Eltern von ihrem Nachwuchs Perfektion erwarten. Es spricht ihnen auch ab, eigenständig über ihre Familienplanung zu entscheiden. Zwar ist tatsächlich zu beobachten, dass Paare, die Bescheid wissen, sich eher gegen ein beeinträchtigtes Kind entscheiden. Doch der Weg zu einer Gesellschaft, in der Menschen mit und ohne Behinderung ihren Platz haben, führt nicht über die Unwissenheit der Eltern. Es ist falsch, sie absichtlich vom Fortschritt fernzuhalten, sodass sie Geld investieren oder eine gefährliche Fruchtwasseruntersuchung auf sich nehmen müssten. Dies zeigt weder Respekt vor ihnen noch vor dem Kind, das es demnach gut zu verstecken gilt. Der Weg kann nur sein, dass sich Paare künftig bewusst für ein Kind mit Behinderung entscheiden. Weil sie sich eine Familie mit ihm gut vorstellen können.

Die Politik muss sich die Frage stellen, warum eine Behinderung heute noch so vielen Menschen Sorgen bereitet. Zwar mag die Realität der Familien, die sich um ein beeinträchtigtes Kind kümmern, erfüllt und voller Liebe sein. Doch sie benötigen dafür auch viel Geld und Zeit. Meist sind es die Mütter, die sich aus ihrem Beruf und auch aus ihrem Freundeskreis zurückziehen müssen. Sie benötigen ihre Kraft nicht nur für das Kind, sondern auch für die Bürokratie des deutschen Gesundheitswesens. Diese Frauen bräuchten dringend mehr Hilfe.

In den Schulen, die je nach Bundesland mal mehr und mal weniger in die Inklusion der Kinder investieren, fehlen oft gut ausgebildete Pädagogen. Noch immer besuchen viele dieser Kinder spezielle Fördereinrichtungen, abseits der regulären Schulen. Sie bekommen im Schnitt schlechtere Abschlüsse und sind später häufiger arbeitslos als Menschen ohne Beeinträchtigung. Deswegen sind sie und auch ihre Eltern ihr ganzes Leben lang eher von Armut bedroht.

Nicht Eltern verändern mit ihrer Entscheidung die Gesellschaft, sondern es funktioniert genau umgekehrt. Am Ende zählt der Umgang mit den Menschen, auch mit jenen, die ihre Behinderung erst nach der Geburt bekommen haben. Diese bilden schließlich die absolute Mehrheit.

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SZ vom 12.04.2019/eca
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