PR für die Europawahl:"Wir treffen uns vor den Hühnchen"

Mit aller Kraft will die EU ihre Bürger am 7. Juni in die Wahlkabinen locken. PR-Experte Lutz Meyer über Axtmörder, Plastikhühner und ernsthafte Argumente.

Irene Helmes

Zwischen dem 4. und 7. Juni 2009 sind etwa 375 Millionen Menschen in den 27 EU-Staaten zur Wahl des neuen Europaparlaments aufgerufen. Die Beteiligung enttäuscht seit Jahrzehnten - und auch diesmal sind die Prognosen schlecht. Die großangelegte Kampagne "Your Choice/Deine Entscheidung" soll das ändern. Dr. Lutz Meyer war im Bundestagswahlkampf 2002 Bürochef des Wahlkampfmanagers der SPD und leitet inzwischen das Brüsseler Büro der Kommunikationsagentur Scholz & Friends, die die Strategie für die EU entwickelt hat.

PR für die Europawahl: Die Verbraucher schützen - aber wie? Ein Motiv aus der Plakatkampagne "Deine Entscheidung".

Die Verbraucher schützen - aber wie? Ein Motiv aus der Plakatkampagne "Deine Entscheidung".

(Foto: Foto: Scholz & Friends Group)

sueddeutsche.de: Der Bundestagswahlkampf und politische Duelle wie Obama gegen McCain leben von polarisierenden Kandidaten, Slogans und sorgsam inszenierten Auftritten. Beweist umgekehrt die Europawahl, dass Politik ohne Show und Personalisierung kaum jemanden interessiert?

Lutz Meyer: Der Europawahlkampf leidet daran, dass die Zuspitzung nicht so erfolgen kann wie bei Wahlen auf nationaler Ebene. Das ist ein großes Problem: Die nationalen Spitzenkandidaten sind kaum bekannt und es fehlt die polarisierende Auseinandersetzung. Deshalb ist die Mobilisierung der Wähler über originär europäische Inhalte schwer.

sueddeutsche.de: Ihre Plakate stellen vor die Wahl: Festung Europa oder durchlässige Grenzen, Atomkraft oder alternative Energien, Finanzmärkte als Löwen oder zahme Katzen. Ist es wirklich nötig, den Wählern die großen Themen der EU noch so plakativ vor Augen zu führen?

Meyer: Ja, absolut, und genau das ist die Idee der Kampagne: Wir versuchen zu zeigen, warum Europa und die Wahl zum Europäischen Parlament Relevanz haben. Relevanz hat zwei Dimensionen. Erstens: Etwas muss mich in meinem persönlichen Leben betreffen. Zweitens: Ich muss Optionen haben. Deshalb stellen wir zum Beispiel nicht nur die Frage, wo unsere Lebensmittel in Zukunft herkommen sollen, sondern wir bringen die konkreten Alternativen aufs Plakat, Gen-Food, konventionell oder Bio. Das haben wir für insgesamt zehn Themen getan. Jeder Mitgliedsstaat pickt sich davon vier Themen heraus, die für die nationale Diskussion besonders wichtig sind.

sueddeutsche.de: Das ist die ernste Seite Ihrer Strategie. Zugleich stellen Sie Filme ins Internet, in denen eine vor dem Axtmörder fliehende Blondine einen Abstecher in die Wahlkabine macht - nach dem Motto "There's always time to vote".

Meyer: Am liebsten hätten wir eine Kampagne gemacht, die in allen Medien durch Witz und Kreativität auffällt. Aber es ist sehr schwierig, etwas zu finden, was ein Brite, ein Slowake, ein Schwede und ein Spanier gleichermaßen lustig finden. Deswegen haben wir die Plakate sachlich gestaltet. Die TV-Spots, die auf 114 Sendern in ganz Europa gezeigt werden, sind schon humoriger. Die Online-Videos sollen vor allem lustig sein und zeigen: Wenn es selbst Tour-de-France-Fahrer, Bankräuber und Axtmörder zur Wahl schaffen, sollte es für den Rest der Menschheit auch nicht so schwierig sein.

sueddeutsche.de: Kommt das bei den Wählern an?

Meyer: Die Videos sind sehr erfolgreich: Sie sind an der Spitze der französischen Youtube-Charts, Frau Merkel hat sie in ihr Facebook-Profil eingebunden und wir hatten in den ersten zehn Tagen mehr als 200.000 Viewer - das ist Europa-Rekord bei viraler Kommunikation dieser Art. Selbst Barack Obamas wöchentliche TV-Ansprache bringt es bei Youtube auf "nur" 60.000 Zuschauer.

sueddeutsche.de: Solche Erfolgsmeldungen sind im Wahlkampf bislang rar. Was hat die EU bislang falsch gemacht, um mit so viel Desinteresse bestraft zu werden?

Meyer: Das große Problem der europäischen Politik ist ihre Darstellung. Zum einen gibt es viel mehr nationale Politiker, die sich zu Wort melden. So entsteht in den Medien der Eindruck, die nationalen Entscheidungen seien wichtiger. Dabei ist das Gegenteil richtig: In Deutschland regeln 10.279 Gesetze aus Brüssel unser Leben, aber nur 2391 aus dem Bundestag in Berlin. Zum Zweiten konzentriert sich die EU meist auf die Prozesse ihrer Arbeit. Relativ selten gelingt es, zu sagen: Seht her, dies ist das Ergebnis unserer Arbeit. Da sind nationale Regierungen viel näher am Bürger. Und der Bürger interessiert sich nun mal für Ergebnisse.

Wie im Supermarkt: Wenn Sie etwas über eine Wurstsorte wissen möchten, wollen Sie nicht mühsam vom Verkäufer erklärt bekommen, in welchen Zerlege- und Verarbeitungsprozessen sie hergestellt wurde, sondern konkret etwas über die Eigenschaften hören, die dieses Produkt hat. Übertragen auf die Politik heißt das, Europapolitik muss sich dringend stärker über Ergebnisse profilieren.

sueddeutsche.de: Nur 52 Prozent der EU-Bürger vertrauen dem Parlament in Straßburg, die Parteien müssen fast um die Stimmabgabe betteln - kann eine Kampagne kurzfristig gegen so viel Skepsis und Gleichgültigkeit ankommen?

Meyer: Man muss zwei Dinge auseinanderhalten. Sehr viele Menschen in Europa stimmen der europäischen Idee grundsätzlich zu. Wir leben in einem Raum von Frieden, Sicherheit und Wohlstand, und gerade weil dies so ist, wird häufig vergessen, was die Grundlage dafür ist. Zweitens kann die Kampagne nur einen Ausschnitt der Wahrnehmung beeinflussen, ein kleines Korrektiv sein, Aufmerksamkeit schaffen. Es ist eine David-gegen-Goliath-Situation.

Alle Bürger erreichen, in allen Sprachen

sueddeutsche.de: Welches Budget steht Ihnen zur Verfügung?

Meyer: Die EU-weite Kampagne hat pro Wahlberechtigten fünf Cent zur Verfügung. Das sind zusammen immerhin 18 Millionen Euro - viel Geld, aber im Vergleich zur Summe aller nationalen Partei-Kampagnen eher bescheiden. Wir setzen daher so viel wie möglich auf nicht gekaufte Kommunikation. Wie Filme im Internet und kostenlose TV-Spots für private und öffentliche Sender. Unsere sechs Meter hohen 3-D-Installationen wie die Hecke und die Mauer oder die nackten Hühnchen touren über die Marktplätze Europas - und die Leute stehen tatsächlich vor ihnen und fragen sich, was das bedeutet. Wir haben es in Dublin einen halben Tag lang selbst beobachtet: Gerade weil es so merkwürdig ist, merken die Leute es sich und sagen am Telefon: Wir treffen uns in der Stadt, gegenüber der EU-Hühnchen. Und während sie auf die anderen warten, lesen sie den Text durch.

sueddeutsche.de: Ihre Kampagne soll auf einen Schlag fast 375 Millionen Wahlberechtigte erreichen. Welche Wählergruppen bereiten Ihnen am meisten Kopfzerbrechen?

Meyer: Wir haben zwei Teilzielgruppen, die besonders schwierig zu erreichen sind. Die osteuropäischen Länder, in denen die Wahlbeteiligung zum Teil unter 20 Prozent liegt. Deshalb haben wir dort einen besonderen Schwerpunkt, etwa mit Radiowerbung. Außerdem versuchen wir bei den jungen Wählern aktiv zu sein - etwa durch die Online-Videos. Oder man kann sich bei Facebook aus unseren Symbolen einen Button mit einer politischen Botschaft erstellen, die dann im eigenen Profil sichtbar ist. So kann man herausfinden, wer eine ähnliche Meinung hat und auch passende Abgeordnete entdecken.

Aber im Grunde müssen wir alle Bürger in Europa erreichen, in allen Sprachen. Das ist eine gewaltige Aufgabe. Wir tun dies mit Radio-, Online- und TV-Werbung, mit Plakaten und mit interaktiven Video-Boxen, in die sich die Bürger hineinsetzen und ihre Wünsche für Europa nennen können. Die Antworten werden dann in Brüssel Tag und Nacht auf Riesenleinwände projiziert werden und erreichen so die Politiker im Parlament und der Kommission. Zusätzlich gibt es pro Land eine eigene nationale Kampagne. Das ist hier eine Roadshow durch Diskotheken, dort sind es Infostände, Kino-Spots oder Diskussionsveranstaltungen.

sueddeutsche.de: EU-Skeptiker haben 2005 in Frankreich und den Niederlanden sowie 2008 in Irland erfolgreich Wähler gegen den Reformvertrag mobilisiert. Lernt die EU aus diesen Niederlagen?

Meyer: Ja, sie lernt. Vor allem Irland hat Brüssel und auch uns als Agentur bei der Vorbereitung der Kampagne sehr beschäftigt. In Irland hatten wir das Problem, dass die EU-Gegner sehr klar und früh kommuniziert haben, während die irische Regierung die Strategie verfolgte, besser gar nicht über das Thema EU zu reden. Sie haben am Ende gemerkt, dass das falsch war und auf den letzten Metern versucht, doch noch Pro-Argumente auf den Markt zu bringen. Aber da war die Agenda schon gesetzt und die Abstimmung in den Brunnen gefallen. Die Lehre aus Frankreich und Irland lautet: Man kann sehr wohl eine Kampagne für Europa machen. Man muss sie nur hinreichend früh beginnen, zugespitzt auf die Lebensrealität der Menschen - und man darf den Gegnern nicht das Feld überlassen.

sueddeutsche.de: Sie haben die Online-Elemente Ihrer Kampagne bereits beschrieben - inwieweit schöpft die EU insgesamt die Möglichkeiten des Internets aus?

Meyer: Für die EU kann es eigentlich nur ein Kommunikationsmedium geben - und das ist das Internet. Broschüren, CDs, Faltblätter, Stifte ... das ist alles nett, aber nicht das, was man heute braucht. Die EU muss sich deshalb nicht nur auf ihren eigenen Websites präsentieren, sondern konsequent überall dort mit Informationen präsent sein, wo im Internet über Themen berichtet und gestritten wird. Die Websites der Kommission und des Parlaments selbst sind bereits sehr viel moderner geworden. Allerdings muss man sich zunächst immer durch eine Sprachenauswahl hindurchfummeln - weil wir eben ein 23-sprachiges Europa haben. Die Gestaltung einer solchen Website ist zwangsläufig schlechter als bei einsprachigen Auftritten. Aber ich finde, die EU ist hier auf einem guten Weg und offen für Neues.

sueddeutsche.de: Gerade die Vielsprachigkeit bleibt aber ein wesentliches Hindernis für politische Verständigung in und über Europa.

Meyer: Tatsächlich gibt es wegen der Sprachbarrieren keinen europäischen Debattenraum. Über einen Spanier wird hauptsächlich in spanischen Medien berichtet, die wiederum auch hauptsächlich Spanier erreichen. Würden wir alle dieselbe Sprache sprechen, und gäbe es Medien, die sowohl in Frankreich als auch in Deutschland und Dänemark gleichermaßen große Reichweiten hätten, gäbe es eine ganz andere Wahrnehmung der europäischen Ebene. Aber wir müssen mit der Realität leben, und bei aller Kritik muss man doch sagen: Europa funktioniert im Grunde sehr gut.

sueddeutsche.de: Welche Wahlbeteiligung versprechen Sie sich nach Ihrer Kampagne?

Meyer: Meine Hoffnung ist, dass wir in Deutschland und anderen Ländern einen weiteren Rückgang der Wahlbeteiligung verlangsamen oder gar stoppen können. Die Kampagne kann einen kleinen Beitrag dazu leisten, aber entscheidend ist die nationale Mobilisierung durch die Parteien, die Darstellung in den Medien und nicht zuletzt das Wetter. Der optimale Wahltag ist mäßig warm, nicht regnerisch, aber bewölkt: Das Wetter hat am Ende sicher einen viel höheren Einfluss als unsere Kampagne.

sueddeutsche.de: Sofern der Lissabon-Vertrag die letzten Hürden nimmt, erlangt auch das EU-Parlament deutlich mehr Kompetenzen. Werden Aufmerksamkeitskampagnen wie "Deine Entscheidung" bei der nächsten, übernächsten Wahl noch nötig sein?

Meyer: Aktionen für einzelne Zielgruppen werden nie überflüssig - auch für die Bundestagswahl sucht der Bundestag gerade nach einer Kampagne, die junge Wähler in die Wahlkabinen locken soll.

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