Potsdam:Versuch einer europäischen Wiederbelebung

Steinmeier und Johnson

Weißes Hemd, dunkler Anzug, kein Schlips - die Gemeinsamkeiten zwischen Boris Johnson und Frank-Walter Steinmeier beschränken sich auf Äußerlichkeiten.

(Foto: John Macdougall/dpa)

Außenminister Steinmeier lädt zum Treffen der OSZE-Außenminister nach Potsdam. Das Ziel: Lösungen für ein gespaltenes Europa zu finden. Doch damit sind sie spät dran.

Von Stefan Braun, Potsdam

Natürlich gibt es ein schönes Begleitprogramm. Es wäre ja auch zu unhöflich gewesen, mal eben 40 Außenminister nach Potsdam zu lotsen und ihnen dann nur einen der üblichen Konferenzsäle zu präsentieren. Also hat Frank-Walter Steinmeiers Außenministerium am Nachmittag eine kleine Stadttour organisiert. Beginnend mit einer Fahrt in einer historischen Straßenbahn dürfen die Gäste später aufs Schiff, um über die Havel zu tuckern. Und am Abend wird am Wasser, fernab vom Rest der Welt getafelt. Den Gästen soll es gefallen; die Debatten drumherum sind ohnehin nicht sonderlich heiter.

Denn die Einladung, mit welcher der deutsche Außenminister am Donnerstag die Chefdiplomaten zahlreicher OSZE-Mitglieder nach Potsdam gelotst hat, ist ein Notarzteinsatz. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa lebt zwar noch. Aber sie hat an Kraft und Einfluss verloren. Angst macht sich breit, dass die einst stolze OSZE, die 1994 aus der noch von Willy Brandt mit initiierten KSZE hervorging, überflüssig werden könnte.

Die OSZE läuft Gefahr, sich lächerlich zu machen

Am stärksten spiegelt sich das dort wider, wo sie seit Langem um Entspannung, Vertrauen und Konfliktlösung bemüht ist. In den sogenannten eingefrorenen Konflikten. Gemeint sind jene seit Jahrzehnten ungelösten Auseinandersetzungen um die russisch umklammerten Abchasien und Südossetien in Georgien, um das armenisch besetzte Berg-Karabach in Aserbaidschan und das von Moskau-Freunden besetzte Transnistrien in Moldawien. Dort ist die OSZE als Kontroll- und Vermittlungsforum nie wirklich weiter gekommen.

Im Gegenteil läuft sie Gefahr, sich mit immer neuen Anläufen lächerlich zu machen. Nicht weil diese Versuche falsch wären, sondern weil die Konfliktparteien ihr auf der Nase herumtanzen. Während die OSZE unermüdlich ihre Bemühungen fortsetzt, verharren sie im Stillstand. Zunächst sagen sie zu jeder neuen Idee leise Ja, um dann, wenn es konkret wird, Nein zu rufen. Steinmeier konnte das als OSZE-Vorsitzender selbst studieren. Im Frühjahr reiste er zu jedem Konflikt; und jedes Mal erlebte er Gesprächsbereitschaft, gepaart mit Kompromisslosigkeit.

Diese Erfahrung hat erheblich zu seinem Entschluss beigetragen, das Potsdamer Treffen auszurichten. Informell ist es geworden, weil Steinmeier eine Diskussion anstrebt und vorgefertigte Manuskripte ablehnt. Entsprechend ist das Format gehalten: keine Mitarbeiter und keine Untersassen als Ministervertreter. So sollte ein Rahmen geschaffen werden, in dem sich alle ohne fesselnde Rituale austauschen. Steinmeier weiß, dass eine Organisation wie die OSZE auch eine Ehre zu verteidigen hat. Deshalb will er die üblichen Bedingungen wenigstens einmal aufbrechen.

In der Ostukraine ist die OSZE als Brandlöscher gefragt

Ob ihm das gelungen ist, ließ sich am Abend nicht wirklich klären. Außer ein paar freundlichen Worten drang zunächst nichts nach außen. Steinmeier erklärte in einer Sitzungspause lediglich, die Gespräche würden ziemlich offen und konstruktiv verlaufen. Entsprechend zufrieden sei er mit dem "Zwischenstand". Im Übrigen bemühte sich der amtierende OSZE-Vorsitzende zu betonen, dass die Organisation - anders als vor wenigen Jahren befürchtet - heute "vielleicht so wichtig sei wie nie".

Dies freilich gilt vor allem für jene Region, in der die OSZE unmittelbar als Brandlöscher gefragt ist: in der Ostukraine. Ihr Beobachter-Einsatz dort ist zum zahlenmäßig größten, finanziell aufwendigsten und technisch modernsten Engagement in der Geschichte der OSZE geworden. Und in diesem Konflikt ist sie die einzige Instanz, die wenigstens einigermaßen für Transparenz sorgt. Deshalb gibt es nicht wenige, die sie jedenfalls seither wieder für einigermaßen unersetzlich halten.

Der russisch-ukrainische Konflikt um den Donbass ist denn auch weit mehr als ein neuer eingefrorener Konflikt. Er ist der gravierendste Beleg dafür, dass Europa, dem großen Europa von Russland bis Irland, die wichtigste Basis der KSZE-Schlussakte von Helsinki abhanden gekommen ist: das Gefühl nämlich, dass es die Sicherheit aller erhöht, wenn alle Staaten Grenzen akzeptieren und sich zu Beschränkungen und Kontrollen bereit erklären. Im Europa des Jahres 2016 ist mit der Annexion der Krim durch Russland nicht Kontrolle, nicht Selbstbeschränkung, nicht Vertrauen, sondern Aufrüstung das Wort, das in den meisten Köpfen eine Art Hauptrolle einnimmt. Potsdam kam deshalb keine Sekunde zu früh.

Eine dauerhafte Wirkung wird das Treffen gleichwohl nur dann entfalten, wenn es als Startpunkt für mehr gedacht ist. Steinmeier betonte in Potsdam, er hoffe sehr, dass man nach dem Austausch hier beim formalen OSZE-Treffen im Dezember in Hamburg konkrete Beschlüsse erreichen werde. Dafür muss er freilich auch US-Außenminister John Kerry und seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow noch gewinnen. Beide fehlten in Potsdam. Unklar blieb außerdem, ob Steinmeier seine Idee einer neuen Rüstungskontrollinitiative derzeit nur einfach testet. Oder ob er bereit ist, dafür zu kämpfen, selbst wenn er am Ende damit scheitert. Mit einem Testballon alleine lässt sich die angespannte Lage in Europa nicht beruhigen.

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