Es ist schon eine ziemlich paradoxe Situation, die Portugal gerade erlebt: Da fahren einerseits die Sozialisten um António Costa einen Wahlsieg ein, der andere Sozialdemokraten in Europa neidisch werden lässt: absolute Mehrheit mit fast 42 Prozent der Stimmen, 117 von 230 Sitzen im Parlament - und das trotz Pandemie und Krise. Und dennoch rückt Portugal mit dieser Wahl andererseits ein Stück nach rechts.
Das Ergebnis kennt zwei große Sieger, Costa auf der einen Seite und die Rechtspopulisten von Chega auf der anderen. Keine Partei hat nach diesem Sonntag so große Zugewinne zu verzeichnen wie die Rechtsaußen-Formation, deren Name auf Deutsch "Es reicht" bedeutet. Von bisher einem Abgeordneten im Parlament, dem Parteigründer André Ventura, vergrößert sich die Fraktion auf künftig zwölf Sitze. Ventura hat sein Ziel erreicht, Chega wird damit drittstärkste Kraft nach dem konservativen PSD mit 71 Sitzen.
Sieben Prozent der Stimmen hat Chega geholt, das ist in Portugal, wo das Wahlsystem die beiden Volksparteien in der Mitte traditionell begünstigt, ein erstaunliches Ergebnis. Drüben in Spanien erhielt die rechte Vox bei der letzten Wahl 2019 zwar noch mehr Stimmen, aber Vox wurde vor allem wegen des Katalonienkonflikts so stark, inszenierte sich als Hüterin der spanischen Einheit. In Portugal gibt es keinen solchen offenen Konflikt, der Chega hätte helfen können.
Chega bedient Stereotype über Minderheiten
Stattdessen dürften viele derer, die der Formation ihre Stimme gaben, Protestwähler sein, vermutet die Politikwissenschaftlerin Marina Costa Lobo von der Universität Lissabon. "Das Wahlprogramm von Chega hatte nur ein paar wenige Seiten", sagt sie. Konkrete Zielsetzungen und stringente Forderungen hat die Partei nicht. Chega war eine Ein-Mann-Protest-Show des Anwalts und früheren Sport-Kommentators André Ventura. Nun sammelte die Partei vor allem in den größeren Städten Stimmen. Dort, wo die Kluft zwischen dem niedrigen Einkommen und den hohen Lebenshaltungskosten am schmerzhaftesten ist.
Manchen Unzufriedenen bietet Chega-Chef Ventura eine Projektionsfläche: Immer wieder fährt der Rechtspopulist Attacken gegen Minderheiten wie Roma, die in seiner Darstellung von Sozialleistungen und auf Kosten der Allgemeinheit lebten. Es sind gängige Stereotype, die Chega da bedient. Portugal, das erst Mitte der Siebzigerjahre demokratisch wurde und seither immun erschien gegen rechtes Gedankengut, zeigt mit dieser Wahl, dass es das nicht ist. Auch deshalb braucht Costa nun dringend Erfolge bei der Bewältigung von Portugals strukturellen Problemen.
Portugal ist eines der ärmsten Länder Europas, der Mindestlohn ist kaum halb so hoch wie in Deutschland und auch die mittleren Einkommen der Portugiesen sind unterdurchschnittlich. Ein weiteres Problem ist die zunehmende Überalterung der Gesellschaft: Seit dreizehn Jahren in Folge sterben in Portugal schon mehr Menschen als geboren werden.
Rui Rio, Spitzenkandidat des konservativen PSD, hatte versprochen, diese Probleme anzugehen. Eine Zeit lang sah es so aus, als könnte er Costa überholen. Am Ende erhielt Rio aber nur 29 Prozent der Stimmen. Er hat bereits seinen Rücktritt als Parteivorsitzender angeboten. Die Konservativen verloren Wähler an die liberale Kleinpartei Iniciativa Liberal, vor allem aber an Chega, die offenbar zudem Protestwähler von links außen anzog.
Die Mehrheit wählte pragmatisch
Portugals marxistischer Linksblock und das Parteienbündnis CDU, bestehend aus Kommunisten und Grünen, hatten in der letzten Legislaturperiode noch Costas sozialistische Minderheitsregierung gestützt. Dass wegen ihrer Weigerung, den Haushalt für 2022 abzusegnen, die Regierung zerbrach, haben ihnen viele Wähler nicht verziehen.
Viele von denen, die 2019 Linksaußen gewählt hatten, stimmten diesmal für António Costa, den Mann der Mitte. Von bisher 31 Abgeordneten auf künftig nur noch 11 Parlamentssitze schrumpften die beiden linken Formationen. Ein Tiefschlag besonders für Portugals traditionsreiche Kommunisten, die vier Jahrzehnte Diktatur des Estado Novo im Untergrund überstanden hatten und bis zuletzt hofften, erneut "entscheidende Kraft" in Portugal zu werden. So stand es auf ihrem Wahlplakat, das sie direkt gegenüber der sozialistischen Parteizentrale am Rato-Platz in Lissabon aufgehängt hatten.
Doch die Mehrheit der Portugiesen wählte an diesem Sonntag pragmatisch: António Costa warb im Wahlkampf damit, krisenerprobt zu sein. Für die europäischen Partner bedeutet sein Sieg vor allem Verlässlichkeit. Groß war die Sorge, dass ein Regierungswechsel ein Ende der Haushaltsdisziplin bedeuten könnte. Costa war es in seinen ersten vier Jahren im Amt gelungen, das Defizit von 4,4 Prozent im Jahr 2015 so weit zu drücken, dass Portugal auf einen ausgeglichenen Haushalt kam.
Die Portugiesen, von denen fast ein Zehntel in anderen EU-Staaten lebt, haben an diesem Sonntag somit auch für Europa gestimmt: Mit einer Wahlbeteiligung, die mit 58 Prozent erstmals wieder auf das Niveau vor zehn Jahren gestiegen ist, erteilten sie den Auftrag zur Regierungsbildung dem Kandidaten, der Brüssel an seiner Seite weiß.