Am größten Verkehrsknotenpunkt von Lissabon war bereits vor mehreren Tagen eine riesige Bühne aufgebaut worden. Das wichtigste Ereignis des Wochenendes sollte dort gewürdigt werden. Doch dieses Ereignis waren nicht etwa die für Sonntag angesetzten Nationalwahlen. Nein, die Bühne war bereitet, um den diesjährigen Fußballmeister zu feiern.
So kam es, dass am Kreisverkehr Praça do Marquês de Pombal in der Nacht zum Sonntag die Fans von Sporting Lissabon ihre Mannschaft und den Triumph über Benfica bejubelten. Sogar am Wochenende der Nationalwahlen weckte der Fußball mehr Emotionen als die Politik. Das war dieser Tage auch spürbar in Gesprächen mit Menschen auf der Straße, im Bus, in Gaststätten. Oft war zu hören, dass sich sowieso nichts ändere, dass es niemanden gebe in diesem Land, der die wichtigen Dinge anpacke, Wohnungsnot, Gesundheitssystem, Gehälter und neuerdings auch die Einwanderung.
Die Wahlbeteiligung war unerwartet hoch
Wählerumfragen verströmten zusätzlichen Gleichmut. Sie sahen ähnliche Ergebnisse vorher wie bei der vorangegangenen Wahl, die erst vor gut einem Jahr stattgefunden hatte. Nicht nur war die Bevölkerung innerhalb von 14 Monaten zum zweiten Mal zu den Urnen gerufen worden. Es war auch das dritte Mal seit 2022.
Als dann am Sonntag gewählt wurde, gab es doch Überraschungen: Die Beteiligung war mit rund 64 Prozent höher als in den vergangenen Jahren. Der Sieg des konservativen Bündnisses Aliança Democrática fiel deutlicher aus, als es Wahlforscher vermutet hatten. Aber vor allem hatten die Auguren den weiteren Aufstieg der Rechtspopulisten nicht vorhergesehen.
Das konservative Bündnis der Partei des bisherigen (und wohl künftigen) Premierministers Luís Montenegro PSD mit einer Splitterpartei errang nach bisherigem Stand gut 32 Prozent der Stimmen – mehr als bei der letzten Wahl im März 2024. Die Partei Chega der Rechtspopulisten (portugiesisch für: „Es reicht“) konnte mehr als 22,5 Prozent der Stimmen und damit mindestens 58 der 230 Parlamentssitze erringen. Erwartet wird, dass diese Zahl nach Auszählung der im Ausland abgegebenen Stimmen sogar noch steigt. Damit wäre Chega die zweitstärkste Kraft im Parlament.
Totenstille bei der Wahlparty der Sozialisten
Die Sozialdemokraten des Partido Socialista (PS), die das Land bis 2023 acht Jahre lang regiert hatten, mussten eine herbe Niederlage einstecken. Sie blieben mit rund 23,4 Prozent fast fünf Punkte hinter ihrem bereits dürftigen Ergebnis von 2024. Sie kommen bei etwas mehr Stimmen als Chega nur auf 58 Parlamentssitze. Über Totenstille und leere Sitzreihen berichteten Journalisten von der Wahlparty der Sozialisten am Sonntagabend. PS-Parteichef Pedro Nuno Santos hat mittlerweile seinen Rücktritt erklärt. Die Sozialisten suchen nun einen Nachfolger, der die Partei in die Kommunalwahlen im September führt.
Leichte Zugewinne konnten die Parteien IL (Liberale Initiative) verzeichnen, die etwa mit der deutschen FDP vergleichbar ist, sowie die junge Partei Livre (Frei), die links der Sozialisten steht und soziale Themen anspricht, aber anders als andere europäische Linksparteien Nato, Ukraine und EU unterstützt.
Luís Montenegro, der bisherige Premier und Anführer des siegreichen Bündnisses AD, versprach noch am Wahlabend „Stabilität“. Ein Bündnis mit den Rechtspopulisten, vergleichbar einer Koalition aus Union und AfD in Deutschland, schließt er weiterhin aus. Allerdings zwingt ihn das in eine Minderheitsregierung, denn auch ein Bündnis mit den Liberalen reicht nicht für eine gemäßigt-konservative Mehrheit unter den 230 Abgeordneten der Assembleia da República.
Der Sieger Luís Montenegro schüttelt einen Korruptionsverdacht ab
Für Montenegro ist das Wahlergebnis indes nicht nur ein politischer, sondern auch ein persönlicher Erfolg. Er hat damit eine Korruptionsaffäre abgeschüttelt, die ihn in den vergangenen Monaten in Bedrängnis gebracht hatte. Eine von ihm gegründete Beratungsfirma, zu deren Kunden eine Casino-Betreibergesellschaft gehört, hatte er vor seinem Amtsantritt an seine Frau und seine Kinder überschrieben. Doch die Beraterhonorare flossen weiter, obwohl seine Angehörigen mit dem Geschäft nichts zu tun haben. Die Firmenanschrift blieb seine Privatwohnung.
Einen von der Opposition geforderten Untersuchungsausschuss hatte Montenegro verweigert und es stattdessen im März im Parlament zur Nagelprobe kommen lassen: Er verlor sehenden Auges eine Vertrauensabstimmung. Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa rief die Neuwahl aus. „Es war Montenegros einzige Option“, sagt der Lissabonner Politologe António Costa Pinto. Die Taktik, sich per Neuwahl von den Verstrickungen zu befreien und neu zu legitimieren, ist an diesem Sonntag aufgegangen. Auch mögliche weitere Enthüllungen zu Montenegros Geschäften dürften damit uninteressant geworden sein. „Zudem ist seine Partei fest um ihn geschart“, sagt Costa Pinto.
Dass Schmutzeleien, wie man solche Kontakte und Geschäfte in Bayern gelegentlich nennt, die Portugiesen nicht nachhaltig empören, haben mittlerweile auch die Rechtspopulisten gemerkt. Im vergangenen Jahr hatten sie die vermeintliche Korruption der etablierten Parteien zu ihrem wichtigsten Wahlkampfthema gemacht. In diesem Jahr setzten sie vor allem auf Einwanderung und Xenophobie. „Portugal retten“, war ihr Slogan in einer Kampagne, die sowohl die tatsächlich stark zugenommene Migration aus Ländern wie Pakistan und Bangladesch angriff als auch die Roma-Gemeinden im Land. Letztere hatten mit Demonstrationen reagiert.
Staatspräsident Rebelo de Sousa hatte die Bevölkerung gemahnt, an der Wahl teilzunehmen, da die Welt „komplexer und unvorhersehbarer“ geworden sei. Nicht zu wählen sei wie den Kopf in den Sand zu stecken. Die Rückkehr von Trump an die Macht und die neue Weltlage habe ein Szenario der „Unvorhersehbarkeit in der internationalen Wirtschaft“ geschaffen. Das verlange von Europäern und somit auch Portugiesen eine größere Verantwortung.
Doch ist fraglich, ob Portugals Bevölkerung ihre Entscheidung am Sonntag von der Weltlage abhängig gemacht hat. „Außenpolitik ist in Wahlkämpfen selten ein Thema“, sagt Patricia Daehnhardt, Expertin für Internationale Beziehungen der Neuen Universität Lissabon. Themen wie die Wohnungsnot lägen den Portugiesen näher, so auch die massenhafte Umwandlung traditioneller Wohnungen in Ferien- oder Luxusimmobilien reicher Ausländer.