PortugalParlament stürzt die Regierung in Lissabon

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Er versucht sein politisches Überleben mit Neuwahlen zu retten: Portugals Premier Luís Montenegro nach der verlorenen Vertrauensabstimmung im Lissabonner Parlament.
Er versucht sein politisches Überleben mit Neuwahlen zu retten: Portugals Premier Luís Montenegro nach der verlorenen Vertrauensabstimmung im Lissabonner Parlament. (Foto: PATRICIA DE MELO MOREIRA/AFP)

Portugal steuert auf die dritten Neuwahlen in vier Jahren zu. Regierungschef Luís Montenegro verliert das Vertrauen des Parlaments, weil dubiose Geschäfte mit einer familieneigenen Beratungsfirma ans Licht gekommen sind.

Von Patrick Illinger, Madrid

Nach dem Sturz der Regierung von Portugals Premierminister Luís Montenegro steuert das Land auf Neuwahlen zu. Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa hat am Mittwoch die Parteispitzen zu Konsultationen einbestellt. Am Donnerstag will er sich mit dem Staatsrat beraten und danach vermutlich für Mai Nationalwahlen ausrufen. Es wären die dritten Wahlen in Portugal in weniger als vier Jahren.

Regierungschef Montenegro hatte nach wochenlangen Querelen um dubiose Honorarzahlungen an seine familieneigene Beratungsfirma die Vertrauensfrage gestellt und das Votum im Parlament mit 142 zu 88 Stimmen verloren. Den Zusammenbruch seiner erst elf Monate alten Minderheitsregierung nahm der Regierungschef dabei billigend in Kauf. Er war in den vergangenen Wochen derart unter Druck geraten, dass er sein politisches Überleben nun mit Neuwahlen zu retten versucht.

Medien hatten aufgedeckt, dass Montenegro neben seinem Amt als Premierminister monatlich mehrere Tausend Euro Honorar mit einer Beratungsfirma namens Spinumviva kassierte, die er selbst gegründet hatte. Zwar hatte er das Unternehmen vor seinem Amtsantritt seiner Ehefrau sowie seinen Kindern überschrieben, aber die Beraterhonorare flossen weiter.

Der Sitz der umstrittenen Firma ist die Privatwohnung des Premiers

Montenegro beharrte in den vergangenen Wochen auf der formalen Rechtmäßigkeit der Übertragung, doch sei die Firma „eng verbunden mit seiner Aktivität als Politiker“, sagt der Lissaboner Politikwissenschaftler António Costa Pinto. Der Transfer auf seine Frau ändere nichts, sagt Costa Pinto, zumal der Firmensitz in Montenegros Privatwohnung angesiedelt sei. Sämtliche Klienten von Spinumviva seien „verknüpft mit lokalen Netzwerken des PSD“, Montenegros Partei, die der Union in Deutschland entspricht. Zur Kundschaft von Spinumviva gehörte eine Casino-Betreibergesellschaft.

Seit seiner Wahl zum Vorsitzenden der konservativen Volkspartei PSD habe Luís Montenegro den Übergang vom privaten ins öffentliche Leben „auf katastrophale Weise bewältigt“, kommentierte ein Kolumnist von Expresso, der Zeitung, die wesentliche Aspekte von Montenegros Beratungsdeal ans Licht gebracht hatte.

Montenegro versuche nun, „sein persönliches Problem in ein politisches zu verwandeln“, sagt Costa Pinto, „die Neuwahlen sollen ihm dazu dienen, sich neu zu legitimieren.“ Dabei kann er auf die Unterstützung seiner Partei zählen. Diese lastet das Scheitern der Regierung den Sozialisten an, die am Dienstag gegen Montenegro stimmten.

Die Strategie hat Risiken. Aber geht sie auf, verrauscht der Skandal

Montenegros Strategie, sich erneut zur Wahl zu stellen, hat ihre Risiken. Möglicherweise wenden sich manche Wähler von seiner Partei PSD anderen zu, beispielsweise der Liberalen Initiative IL, die Ähnlichkeit mit der FDP hat. Doch selbst dann könnte es für Montenegros Konservative in einer Koalition mit der IL und weiteren Splitterparteien für eine Regierungsmehrheit reichen. Sollte dieser politische Stunt gelingen, wäre der dubiose Beraterdeal zu einem Hintergrundrauschen verkümmert.

Ein Bündnis des PSD mit den Rechtspopulisten der Partei Chega ist  indes nicht in Sicht. Ein solches hatte Montenegro bereits bei den Wahlen vor einem Jahr kategorisch ausgeschlossen. Davon wird er nun kaum abrücken, womöglich aber stärker rechte Positionen vertreten.

Die größte Oppositionspartei fährt im Schlingerkurs

Die größte Oppositionspartei, der Partido Socialista (PS), hat sich in dieser Gemengelage für einen seltsamen Schlingerkurs entschieden. Als zweitstärkste Kraft hatten die Sozialisten Montenegros Minderheitsregierung in den vergangenen Monaten geduldet, Haushaltspläne mitgetragen, und dem Premier nach Bekanntwerden der Vorwürfe bei zwei Misstrauensanträgen (der Kommunisten und der Rechtspopulisten) die Stange gehalten. Zugleich kündigte die PS-Führung jedoch einen Untersuchungsausschuss an, um die Affäre um Montenegros Beratungsfirma klären zu lassen.

Als Montenegro am Dienstagabend im Parlament während der Debatte um die Vertrauensfrage versuchte, über den Umfang des Untersuchungsausschusses zu feilschen, votierte der PS gegen ihn. An Neuwahlen schienen die Sozialisten dabei wenig interessiert zu sein. Deren Partei PS, die bis November 2023 Portugal mit absoluter Mehrheit regiert hatte, konzentriert sich aktuell auf die im Herbst anstehenden Regionalwahlen. Unter anderem will der PS das Rathaus von Lissabon zurückerobern.

Die vielleicht größte Gefahr besteht nun darin, dass die in Portugal weitverbreitete Politikverdrossenheit weiter wächst. Davon profitierten bei den Wahlen im vergangenen Jahr die Rechtspopulisten. Mit dem Wahlkampfthema Korruption hatten sie 18 Prozent der Stimmen geholt. Man könnte also vermuten, Chega sei nun der Hauptprofiteur der gescheiterten Regierung Montenegros. Tatsächlich jedoch fällt es auch den Rechtspopulisten derzeit schwer, sich als Saubermänner zu präsentieren.

Vor gut sechs Wochen war ein Chega-Parlamentarier am Flughafen von Lissabon verhaftet worden. In dessen Wohnung wurden bergeweise Kleider, Gegenstände und Koffer gefunden. Koffer, die ihm nicht gehörten. Der Politiker hatte sie von Gepäckbändern des Flughafens Lissabon gestohlen, um den Inhalt online zu verkaufen.

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