Süddeutsche Zeitung

Vorgezogene Wahl:Portugals Premier António Costa darf weiterregieren

Die rechtspopulistische Chega-Partei könnte drittstärkste Kraft in Lissabon werden. Überschattet wird der Wahltag von Omikron - und einem mutmaßlichen Hackerangriff.

Von Karin Janker, Madrid

Die Ernüchterung war groß auf der Wahlparty von Rui Rio, der in einem Hotel im Zentrum Lissabons PSD-Unterstützer zusammengerufen hatte, um an diesem Sonntagabend zu feiern. Erst riefen die Sprechchöre, die man noch von den letzten Tagen des Wahlkampfs im Ohr hatte, ihr rhythmisches "PSD", die Abkürzung von Rios konservativem Partido Social Democrata. Doch dann verstummte der Saal, berichtete die Público-Journalistin Leonete Botelho am Wahlabend. Schon in den ersten Prognosen direkt nach Schließung der Wahllokale zeichnete sich ab: Nicht Herausforderer Rui Rio, sondern der bisherige portugiesische Premierminister António Costa hat diese Wahl gewonnen. Und zwar nicht knapp, wie es die Umfrageinstitute vor dem Wahltag noch vorausgesagt hatten, sondern ziemlich deutlich.

Die gemäßigte, eher sozialdemokratisch orientierte PS von Costa erhielt am Sonntag gut 41,6 Prozent der Stimmen und kam damit auf mindestens 117 der insgesamt 230 Sitze in der Lissabonner Assembleia da República. Damit erobert sie die absolute Mehrheit. Und das, obwohl sich die meisten politischen Beobachter in Portugal und auch der bisherige Premier selbst einig waren: Absolute Mehrheiten mögen die Portugiesen nicht.

Doch selbst wenn Costa einen oder mehrere Partner zum Regieren gebraucht hätte, hätten ihm dafür einige zur Auswahl gestanden. Dass er sich erneut mit Linksblock und Kommunisten eingelassen hätte, die seit 2015 die sozialistische Minderheitsregierung in Portugal geduldet hatten, erschien bereits vorab als eher unwahrscheinlich. Die Wähler ließen schließlich auch in ihrem Abstimmungsergebnis erkennen, dass sie den beiden bisherigen Partnern Costas übel nehmen, mit ihrem Nein zum Haushalt für das laufende Jahr die Regierung gesprengt und die vorgezogene Neuwahl überhaupt erst notwendig gemacht zu haben. Das Wahlergebnis, das Linksblock und Kommunisten an diesem Sonntag eingefahren haben, liegt jedenfalls weit unter dem Ergebnis bei der letzten Wahl im Herbst 2019.

Profitiert haben vor allem die Rechtspopulisten

Profitiert hat von der Neuwahl vor allem die rechtspopulistische Chega-Partei. Die bisher als Ein-Mann-Protestpartei wahrgenommene Formation des Ex-Sportkommentators André Ventura wird künftig wohl als drittstärkste Kraft in der Assembleia da República in Lissabon vertreten sein. Der Wahlerfolg von Chega, die vor allem mit einem Wahlkampf gegen Minderheiten wie Roma Stimmung gemacht hatten, ging ebenso zulasten von Rui Rios Konservativen wie auch der Zugewinn der erst 2017 gegründeten liberalen Kleinpartei Iniciativa Liberal, die bislang mit nur einem Abgeordneten im Parlament vertreten war.

Das portugiesische Wahlsystem, in dem keine Fünf-Prozent-Hürde vorgesehen ist, begünstigt tendenziell die großen Traditionsparteien der Mitte. Denn viele der eher ländlichen Wahldistrikte im Norden und Osten des Landes schicken nur eine einstellige Anzahl an Abgeordneten ins Parlament nach Lissabon. Hier konnten diesmal vor allem die Sozialisten überzeugen. Allerdings entfallen 88 der insgesamt 230 Sitze auf die beiden größten Wahlkreise Lissabon und Porto, wo sich an diesem Sonntag wie schon 2019 viele der Klein- und Kleinstparteien behaupten konnten.

Ein weiterer Trend, der sich in den vergangenen Jahren abzeichnete, scheint vorerst gestoppt: Die Wahlbeteiligung sank an diesem Sonntag erstmals seit 17 Jahren nicht mehr. Bei der letzten Parlamentswahl 2019 hatten nur 48,6 Prozent der wahlberechtigten Portugiesen ihre Stimme abgegeben. Bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Frühjahr, die ebenfalls unter pandemischen Bedingungen stattgefunden hatte, waren es sogar nur 39,5 Prozent. Diesmal hat die Omikron-Welle zwar zumindest jenen knapp eine Million Portugiesen, die sich aktuell in Quarantäne befinden, die Wahl etwas unbequem gemacht. Doch man fand eine Lösung: Wer sich in Isolation befand, durfte ausnahmsweise abends für eine Stunde das Haus verlassen und zum Wahllokal gehen.

Überschattet wurde der Wahltag von der Mitteilung einer Hackergruppe, die nach eigenen Angaben die Webseite des portugiesischen Parlaments gehackt und eine "große Menge an sensiblen Daten" sowie Regierungsinformationen, Personendaten und Passwörter gestohlen haben soll. Die Gruppe, die sich selbst "Lapsus" nennt, hatte vor wenigen Wochen einen Hackerangriff auf einen Zeitungsverlag und einen portugiesischen Privatsender bekannt gegeben. Wer hinter dem Pseudonym steckt und ob es wirklich einen Angriff auf die Datenbank des Parlaments gegeben hat, ist bislang nicht bekannt und von Seiten der Behörden nicht bestätigt.

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