Porträtserie "Sie sind das Volk":"Warum gibt es nicht genug Betten für Obdachlose?"

Porträtserie "Sie sind das Volk": Frank möchte nicht darüber sprechen, wie er obdachlos wurde, und er möchte auch nicht erkannt werden. Aber wenn er Politiker wäre, er würde einiges ändern.

Frank möchte nicht darüber sprechen, wie er obdachlos wurde, und er möchte auch nicht erkannt werden. Aber wenn er Politiker wäre, er würde einiges ändern.

(Foto: Benedikt Peters)

Früher schlief Frank in einem Zelt im Tiergarten, heute kämpft er um eine Wohnung. Was er anders machen würde, wenn er Politiker wäre, erzählt er in einer neuen Folge von "Sie sind das Volk".

Von Benedikt Peters, Berlin

Die Wochenenden sind schwierig für ihn. Da kann er nicht aufstehen und losgehen wie sonst, in den "Warmen Otto", wo es Frühstück gibt, eine Dusche und ein paar Leute, mit denen er ein bisschen quatschen kann. Oder auch mal 'ne Runde Schach spielen. Am Wochenende ist der "Warme Otto" zu, die Sozialarbeiter müssen schließlich auch mal frei haben. "Was soll's", sagt Frank. "Ich lauf' dann halt rum. Oder ich geh' ins Wettbüro." Eines hat er gefunden, wo sie ihn umsonst Fußball gucken lassen, die Spiele von Union Berlin, seinem Verein. Wo er nicht wetten muss und auch nichts bestellen. "Das Bier kostet da drei Euro, das könnte ich mir niemals leisten."

Frank hat buschige Haare und tiefe Furchen im Gesicht, sie laufen von den Augen hinunter bis zu den Mundwinkeln. An einem Mittwoch im September sitzt er an einem Tisch in eben jenem "Warmen Otto", einer Tagesstätte für Wohnungslose in Berlin-Moabit. Es ist ein guter Tag, denn immer mittwochs gibt es hier nicht nur Frühstück, sondern auch noch ein Mittagessen. Der Geruch von Nudeln und Gulasch hängt noch in der Luft, dazu der von ungewaschenen Körpern. Etwa 50 Leute sind da, kein Stuhl ist frei. Ein paar spielen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht, andere stieren einfach ins Leere. "Es wird immer voller in letzter Zeit", sagt eine Mitarbeiterin.

Wenn es kalt wurde, schlief Frank in der S-Bahn

Am kommenden Sonntag ist Bundestagswahl, und Menschen wie Frank spielen dabei eher keine Rolle. Die Lage von Wohnungslosen war in diesem Bundestagswahlkampf kein Thema, wie auch schon in denen zuvor nicht. Dabei gibt es in Deutschland immer mehr Menschen, denen es ähnlich geht wie Frank.

Die Zahl der Wohnungslosen ist in den letzten Jahren stark angestiegen, von 223 000 im Jahr 2008 auf 335 000 im Jahr 2014. Für das Jahr 2018 prognostiziert die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sogar 536 000 Menschen ohne Wohnung - einen weiteren Anstieg also um etwa 60 Prozent. Unter ihnen sind ungefähr 40 000, die "Platte machen", also ohne jede Unterkunft auf der Straße leben. Die anderen schlafen in provisorischen Unterkünften oder kommen bei Freunden unter.

Lange hat auch Frank Platte gemacht. Er schlief in einem Zelt im Berliner Tiergarten, zwischen ein paar Büschen, damit die Leute ihn nicht gleich sahen. Wenn es zu kalt wurde, übernachtete er in einer Notunterkunft oder schlief in der S-Bahn - bis Schaffner oder Polizisten ihn verscheuchten. Wobei er auf die Polizisten in Berlin nichts kommen lassen will. "Die sind wirklich human hier, die gucken oft weg und sagen: 'Lass den doch schlafen, den armen Hund.'"

Frank ist kein Obdachloser, wie man sich ihn klischeehaft vorstellt. Seine Klamotten sind sauber: Jeans, schwarze Turnschuhe, weißes T-Shirt. Er ist nicht verwirrt, nicht psychisch krank, nicht alkoholabhängig. Er weiß, was das Schengener Abkommen ist und das Grundgesetz. Er hat eine Ausbildung als Elektriker gemacht und viele Jahre lang auf Baustellen gearbeitet.

Frank spricht gern über die Zeit nach der Wende, "damals, als ganz Ostberlin renoviert wurde. Da biste klingeln gegangen, wo ein Baukran stand, und hast am nächsten Tag angefangen zu arbeiten. Es gab immer genug zu tun."

Irgendwann stürzte Frank ab

Dann aber, erzählt Frank, wurden die Aufträge immer weniger, auch, weil immer mehr billige Arbeitskräfte aus Osteuropa über die Grenze nach Berlin gekommen seien. Anfang der 2000er ging es nicht mehr, er zog nach München, weil er sich dort mehr Arbeit und eine bessere Bezahlung erhoffte, eine bessere Zukunft.

Doch daraus wurde nichts. Wie genau er obdachlos wurde, darüber will Frank nicht sprechen. "Privates Unglück", brummt er, und wechselt schnell das Thema. Wenn man weiter nachfragt, schüttelt er den Kopf und sagt gar nichts mehr. Vor eineinhalb Jahren kam er zurück nach Berlin, weil er hier in der Nähe geboren ist und ein paar Leute kennt.

Politik ist Frank nicht egal. Anfang September war er bei einer Infoveranstaltung zur Bundestagswahl mit den Direktkandidaten aus dem Wahlkreis Berlin-Mitte. Aber zufrieden war er nicht mit dem, was sie gesagt haben. "Viel Rummgedruckse."

Es gibt einige Dinge, die er in der Politik nicht verstehen kann. Die ihm nicht "in den Kopp wollen", so sagt er es. Im letzten Winter hat er immer einen warmen Schlafplatz gefunden, wenn es sein musste. "Aber ich war auch immer früh dran oder hab' auch einfach mal Glück gehabt." Bei anderen hat er gesehen, wie sie in den Notunterkünften abgewiesen wurden. "Die Sozialarbeiter haben alles getan, was sie konnten. Aber es waren einfach zu viele." Drei seiner Bekannten seien letzten Winter draußen erfroren, erzählt er. "Einer von ihnen war Andreas. Mit dem hab' ich manchmal Skat gespielt."

Der Gang zum Sozialamt kostete Frank viel Überwindung

Nach Schätzungen gibt es in Berlin 20 000 Menschen ohne Wohnung, aber nur 8000 Plätze in den dafür vorgesehenen Heimen. Frank versteht nicht, warum der Staat sich nicht darum kümmert, dass jeder ein Bett bekommt, der eines braucht. Er macht eine Pause. "Das darfst Du jetzt nicht falsch verstehen." Er finde es gut, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen habe. "Das soll auch so bleiben, ich bin ja kein Ausländerfeind." Er fand es nur zermürbend, sagt er, mit anzusehen, dass für die vielen Flüchtlinge sofort Schlafplätze bereitgestellt werden konnten. "Warum gibt es dann nicht auch genug Betten für die Obdachlosen?"

Frank muss jetzt nicht mehr Platte machen. Vor einem halben Jahr hat ihn ein Sozialarbeiter überredet, zum Amt zu gehen. Warum er das nicht schon vorher gemacht hat? "Du musst denen deine Geschichte erzählen. Du schämst dich. Das war eine wahnsinnige Überwindung für mich." Doch er ging hin, beantragte Sozialhilfe und eine Wohnung. Seit ein paar Wochen ist er nun untergebracht, eine Aussicht auf eine eigene Wohnung aber hat er nicht. Er lebt in einem Heim für Wohnungslose, teilt sich dort ein Zimmer mit einem Mann, den er kaum kennt. "Wir reden nicht viel. Ich bin eigentlich nur zum Schlafen da." Lieber geht er in den "Warmen Otto" - und am Wochenende dann eben ins Wettbüro.

Frank findet, dass Bund, Land und Kommunen endlich mehr Sozialwohnungen schaffen müssten. "Sonst haben Leute wie ich keine Chance, jemals etwas zu kriegen." Er kennt Leute, erzählt er, die schon seit Jahren auf eine Wohnung warten und immer wieder vertröstet werden. Sozialwohnungen fehlen nicht nur in Berlin, sondern in nahezu allen Großstädten. Um den Bedarf zu decken, müssten jährlich 80 000 günstige Wohnungen gebaut werden, hat die Bundesregierung errechnet. 2016 aber wurden nur 25 000 von ihnen geschaffen, 2015 noch deutlich weniger.

Vielleicht, sagt Frank, hätte er in diesem Jahr eine der linken Parteien gewählt, die in ihren Programmen mehr Sozialwohnungen versprechen. Doch er wird nicht wählen gehen können. Weil er bis vor kurzem obdachlos war, steht er nicht im Wählerverzeichnis - und hätte seine Aufnahme deswegen schon Anfang September beantragen müssen. Diese Regelung gilt für alle Obdachlosen.

Frank zuckt die Achseln. "Gesagt hat mir das keiner."

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