Porträtserie "Sie sind das Volk":"Deutschland ist auch mein Land"

Porträtserie "Sie sind das Volk": Suleman Malik führt viele Gespräche über seine Religion und die Unzufriedenheit seiner Mitbürger.

Suleman Malik führt viele Gespräche über seine Religion und die Unzufriedenheit seiner Mitbürger.

(Foto: Antonie Rietzschel)

Suleman Malik steht regelmäßig auf dem Marktplatz, um seine Religion zu erklären und sich von Terror und Gewalt zu distanzieren. Das sei seine Pflicht, findet der 31-Jährige. Doch bei "Sie sind das Volk" fragt er sich, was die Bundesregierung für ihn und gegen den Hass auf Muslime tut.

Von Antonie Rietzschel, Erfurt

Wenn Suleman Malik Gott spürt, fühlt es sich an, als trinke er an einem heißen Tag ein Glas kaltes Wasser. Ihn durchfährt diese beruhigende Welle. Er hat Gott häufig gespürt, sagt er. Bei der Suche nach einer Ehefrau, der Geburt seiner drei Kinder, als er sich von einer schweren Krankheit erholte.

Gott beschert ihm nicht nur Wunder, er steht dem 31-Jährigen auch bei gegen Vorurteile, gegen Beleidigungen und Drohungen. Wenn er ganz ehrlich ist, könnte Suleman Malik sie ohne Gott gar nicht ertragen.

Verbände wie Ditib weisen schon länger auf eine zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland hin. Moscheen werden beschmiert, Gemeinden erhalten regelmäßig Drohbriefe. Genaue Zahlen der vergangenen Jahre gibt es nicht, da islamfeindliche Übergriffe erst seit diesem Jahr gesondert erfasst werden. Für 2017 lässt sich eine Tendenz ablesen: Im ersten Quartal 2017 gab es 200 Anzeigen wegen Übergriffen auf Muslime, zwei Menschen wurden verletzt. Zwischen April und Juni sank die Zahl der gemeldeten Vorfälle leicht auf 192 ab, gleichzeitig stieg die Zahl der Verletzten auf 16. Die Linkspartei spricht deswegen von einer zunehmenden Brutalität.

Es gab eine Zeit, da hat Suleman Maliks Glaube kaum eine Rolle gespielt. 2001 kam er mit seiner Mutter, dem Bruder und seiner Schwester von Pakistan nach Deutschland. Sie folgten Suleman Maliks Vater, der Anfang der neunziger Jahre aus seinem Heimatland geflohen war, weil er als Anhänger der Ahmadiyya-Gemeinschaft verfolgt wurde (mehr zu dieser Religionsgemeinschaft). In Erfurt hat er sich ein neues Leben aufgebaut, arbeitete als Händler auf dem Markt und gründete die Ahmadiyya-Gemeinde in Thüringen. Mitte der neunziger Jahre gehörten ihr 300 Gläubige an.

Das Volk ist arm, ist reich, ist Ossi, ist Wessi, ist Mutter, Vater, Kind, ist lesbisch und schwul, ist ganz für sich und mit allen zusammen, ist alt, ist jung, wohnt im Altbau, im Hochhaus, im Reihenhaus und in der schönsten Natur. Sie alle sind das Volk - und Politik verändert Ihr Leben. Davon soll diese Reportageserie erzählen, jede Woche bis zur Bundestagswahl. Sie haben ein Thema, das Sie besonders beschäftigt? Schreiben Sie uns: dasvolk@sz.de.

Plötzlich kommen Fragen

Suleman Malik ist 14 Jahre alt, als er nach Deutschland kommt. In Pakistan hatte er Freunde, spielte in einer Kricket-Mannschaft. In Erfurt ist ihm alles fremd. Sein Vater, den er zuletzt als Kleinkind gesehen hat. Die Sprache, die neuen Mitschüler. Nach drei Monaten geht er in die Schule und starrt dort auf die Sätze im Schulbuch, die er nicht versteht. Eine Klassenkameradin hilft ihm. Sie verständigen sich mit Händen und Füßen. Irgendwie geht es. Nach vier Monaten kann Suleman Malik Klassenarbeiten mitschreiben. Er findet erste Freunde. Nach seiner Religion fragt keiner. Bis zum 11. September 2001, als zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Center krachen.

Seine Schulkameraden bestürmen ihn plötzlich mit Fragen: Ob der Islam Terror rechtfertige, ob er ein Islamist sei, warum seine Religion Frauen unterdrücke. Und überhaupt, warum isst er keine Bratwürste oder trinkt keinen Alkohol? Suleman Malik fühlt sich allein, nicht immer findet er die richtigen Antworten. Der Jugendliche beginnt, sich stärker mit dem Glauben zu beschäftigen.

Regelmäßig trifft er sich nun mit dem Imam der Gemeinde, konfrontiert ihn mit den Fragen und Vorwürfen aus der Schule. Sie schlagen gemeinsam im Koran nach und diskutieren religiöse Fragen. Suleman Malik macht aus den regelmäßigen Gesprächen eine Interviewreihe, die ein freier Radiosender ausstrahlt. Aus der Not heraus, sich ständig selbst erklären zu müssen, wird der Jugendliche zum Vertreter seiner Religion. Seine Botschaft: Der Islam ist friedlich.

Suleman Malik engagiert sich immer stärker in seiner Gemeinde, 2005 wird er schließlich zum Vorsitzenden der Jugendorganisation gewählt. Doch die Zahl der Mitstreiter in Thüringen schrumpft. Von den einst 300 Gläubigen sind heute nur noch 70 übrig. Viele zogen weg, nach Westdeutschland, wo mehr Muslime leben und es mehr Moscheen und Gemeindezentren gibt.

In Erfurt dient bis heute die frühere Wohnung der Maliks als Treffpunkt. Freitags beten die Anhänger der Ahmadiyya-Gemeinschaft, auch Ahmadis genannt, vor der braunen Schrankwand im Wohnzimmer. An den Wänden hängen alte Fotos, die Suleman Malik im braunen Anzug gemeinsam mit den Großeltern zeigen. Erinnerungen an sein früheres Leben.

Kampf um eine Moschee

Malik will einen Ort, an dem er und seine Kinder endlich in Würde beten können. Er findet auch, dass ihm das als Deutscher zusteht. Deswegen hat sich der Ahmadi auf einen zermürbenden Kampf um den Bau einer Moschee in Erfurt eingelassen. Das passende Grundstück fand die Gemeinde im Erfurter Stadtteil Marbach. Dort sollen zwei Gebetsräume von jeweils 60 Quadratmeter entstehen. Das Minarett soll acht Meter hoch werden.

Als die Pläne bekannt wurden, organisierte die Alternative für Deutschland (AfD) den Gegenprotest. 700 Menschen versammelten sich im Mai 2016, um zu demonstrieren. Bei einem Bürgerdialog wurden Vertreter der Ahmadiyya-Gemeinde ausgebuht und angebrüllt. Auf dem Grundstück rammten Unbekannte Holzspieße in den Boden, auf denen ein halber Schweinekopf, Schweinepfoten und Innereien steckten. Anfang des Jahres standen Holzkreuze auf dem Nachbargrundstück.

Wenn Suleman Malik nach Angriffen auf seine Person gefragt wird, sagt er nur: "Das Übliche." Das Übliche sind Kommentare bei Facebook, in denen dazu aufgerufen wird, den jungen Mann ans Kreuz zu hängen. Seine Moschee könne er im KZ Buchenwald bauen. Als seine Gemeinde eine Ausstellung im Landtag eröffnete, hört Malik, wie eine AfD-Politikerin Besucher warnte, es seien bekannte Terroristen im Haus. In solchen Momenten braucht Malik seinen Gott. Doch nicht nur durch ihn hat der Muslim Unterstützung erfahren. Auch ein Erfurter Pfarrer, die Linkspartei sowie Teile der Bevölkerung haben sich mit der Gemeinde solidarisiert.

Malik führt das direkt auf die Aufklärungsarbeit seiner Gemeinde zurück. Er selbst steht jeden Samstag auf dem Marktplatz in Erfurt, beantwortet geduldig die immer selben Fragen, versucht zu erklären, dass die Terrorangriffe ihn gerade wegen seines Glaubens hart treffen.

Aus den vielen Gesprächen glaubt Suleman Malik herauszuhören, dass es gar nicht unbedingt um den Islam geht. Für ihn sind die Ängste Ausdruck einer großen Unzufriedenheit: "Da geht es auch um die wirtschaftliche Diskrepanz zwischen Ost und West. Die Menschen hier fühlen sich ungerecht behandelt. Dann kommen Flüchtlinge, die aus deren Sicht einfach so etwas bekommen", sagt Malik. Dass er sich nun auch als Anwalt gebeutelter Ostdeutscher zeigt, folgt einer einfachen Logik: Mehr Zufriedenheit führt zu weniger Neid, führt zu weniger Ängsten, führt zu mehr Akzeptanz. Deswegen fordert Malik von der Politik, sich stärker um die Perspektivlosigkeit in den neuen Bundesländern zu kümmern.

Malik hat eine Frage an Merkel

Erst an zweiter Stelle bemängelt Malik den Umgang mit dem Islam in der Politik. Burka-Verbot, die Diskussion darüber, dass man Frauen nicht die Hand geben mag - für ihn alles Rand-Debatten. "Politiker sagen 'wir sind nicht Burka' statt: Wir sind alle Deutschland." Malik war enttäuscht vom TV-Duell. Fast eine Stunde ging es um Flüchtlinge, Integration und Islam - allerdings drehte sich die Diskussion um Gefährder, Terror und Hassprediger.

Malik macht das traurig. Denn er fühlt sich ständig in die Pflicht genommen, sich zu positionieren. Einer Pflicht, der er und seine Gemeinde nachkommen. Anfang September trafen sich in Karlsruhe 40 000 Ahmadi-Muslime. Ihr geistiges Oberhaupt, der Kalif Hadhrat Mirza Masroor Ahmad hat alle Muslime wiederholt dazu aufgefordert, religiösen Extremismus zu verurteilen.

Nun würde Suleman Malik interessieren, was die nächste Bundesregierung gegen rechten Extremismus tun möchte. Malik hat sich diese Frage notiert, nachdem er zu der Fernsehsendung "Klartext" eingeladen wurde, bei der Bürger der Kanzlerin Fragen stellen konnten. Der Ahmadi hatte sich vorher Notizen gemacht. "Deutschland ist auch mein Land", das wollte er Angela Merkel sagen und ihr von seiner ermüdenden Aufklärungsarbeit erzählen. Doch dann kam er nicht dran, seine Frage blieb unbeantwortet. Stattdessen ging es wieder um: Gefährder und islamistischen Terror.

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