Porträtband:Nachdenken in die Zukunft

Porträtband: Christian Krell (Hrsg.), Vordenkerinnen und Vordenker der Sozialen Demokratie. 49 Porträts. Verlag J.H.W. Dietz 2015. 368 Seiten. 22 Euro

Christian Krell (Hrsg.), Vordenkerinnen und Vordenker der Sozialen Demokratie. 49 Porträts. Verlag J.H.W. Dietz 2015. 368 Seiten. 22 Euro

  • Bulletpoint

Von Helmut Lölhöffel

Diese Sammlung von Porträts enthält manche Überraschung. Denn als "Vordenker" und "Vordenkerinnen" der Sozialen Demokratie werden nicht nur die üblichen Verdächtigen eingeordnet: Ferdinand Lassalle, Karl Kautsky und Carlo Schmid. Dabei sind auch welche, die nicht unbedingt in der klassischen Ahnenreihe auftauchen: Karl Marx und Rosa Luxemburg. Auch "Querdenker" sind dabei: Jochen Steffen, Richard "Rix" Löwenthal, Peter von Oertzen, Peter Glotz. Andere fehlen, so Helmut Schmidt und Egon Bahr. Und zwei waren gar keine Mitglieder der SPD: Jakob Kaiser und Oswald von Nell-Breuning.

Ein Vordenker, so sagen die einschlägigen Definitionen, ist ein Mensch, der Entwicklungstendenzen früh erkennt und sie durch eigene Ideen, Denkstile, Pläne, Vorhaben oder Taten zu beeinflussen und voranzubringen versucht. "Vordenken ist nichts weiter als eine auf die Zukunft ausgerichtete Form des Nachdenkens", hat Karsten Voigt zutreffend über diese nicht immer populären und selten bequemen, oft zu Lebzeiten verkannten Typen gesagt, die sich aus dem Mainstream lösen und das Gewohnte infrage stellen.

Konturen einer besseren Gesellschaft

Mit seinem 1879 erschienenen Buch "Die Frau und der Sozialismus" war August Bebel zweifellos einer der nicht intellektuellen Vordenker der Sozialdemokratie, der gelernte Drechsler umschrieb Konturen einer anderen, besseren Gesellschaft. Die in den 1970er-Jahren geführten Auseinandersetzungen um Frieden, Ökologie und Entwicklungszusammenarbeit hätten keine Wirkung innerhalb der SPD gehabt, wenn nicht der Vordenker Erhard Eppler Alternativkonzepte entworfen hätte. Und mit der politischen Förderung der Sonnenenergie stünde die SPD noch immer in der Energie-Vorzeit, wenn nicht einer wie Hermann Scheer seine Partei vorangetrieben hätte.

Nur sechs der 49 in diesem Band Porträtierten sind Frauen. Das lässt den Schluss zu, dass Geschichte und Politik der SPD immer männlich dominiert waren und Frauen nur Nebenrollen spielten. Wer kennt sie schon - außer Rosa Luxemburg: Herta Gotthelf, Renate Lepsius, Susanne Miller, Elisabeth Selbert und Anna Siemsen? Dass der damalige SPD-Chef und Reichstags-Fraktionsvorsitzende Otto Wels, der Hitlers "Ermächtigungsgesetz" mutig widerstand, unter die "Vordenker" eingereiht wird, ist historisch verstehbar, aber nicht ganz schlüssig.

Helmut Schmidt ist nicht dabei

Stattdessen sind zwei enthalten, die im engeren Sinn nicht dazugehören: Jakob Kaiser und Oswald von Nell-Breuning. Doch die beiden haben ihre Plätze als Vordenker im weiten Konzept der Sozialen Demokratie. Der Christdemokrat Kaiser stand in der Auseinandersetzung mit Konrad Adenauer um den Kurs der CDU nach 1945 bis in die 1950er-Jahre für einen "christlichen Sozialismus", der sich von der kapitalistischen Ordnung abgrenzte. Kernanliegen des parteilosen Nell-Breuning war, die sozialdemokratisch-gewerkschaftlich geprägte Arbeiterbewegung und die christlich-soziale Welt miteinander zu verknüpfen. Als Interpret der katholischen Soziallehre gab der Professor Denkanstöße und galt als "Linkskatholik".

Verwunderlich erscheint auf den ersten Blick, dass Helmut Schmidt gar nicht vorkommt. Aber nur tote Sozialdemokraten - bis auf eine Ausnahme: Erhard Eppler, 89, - sollten hier beschrieben sein. Schmidt lebte noch, als das Manuskript beendet wurde, nun fehlt er.

Falls in einiger Zeit wieder ein Porträtband sozialdemokratischer Vordenker/innen erscheint - ob Sigmar Gabriel, Manuela Schwesig oder Florian Pronold darin vorkommen werden? Wohl kaum.

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