Süddeutsche Zeitung

Porträt:Kleidung kaufen? Nein, Farbe!

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Zyad Anzo, 31, aus Syrien, seit 2015 in Deutschland.

Protokoll von Jasmin Siebert

Zyad Anzo, 31, aus Syrien, seit 2015 in Deutschland:

"Ich habe hier in Nürnberg ein neues Leben angefangen. Seit Februar 2017 wohne ich bei einer sehr netten Frau zur Untermiete. Sie hat viele Bücher. Das tröstet mich etwas darüber hinweg, dass ich meine 1000 Bücher und 3000 Filme in Damaskus zurücklassen musste. Gott sei Dank habe ich richtige Freunde gefunden. Sie sind alle Deutsche, ich habe kaum Kontakt zu anderen Syrern. Ich koche Arabisch für sie oder wir grillen zusammen. Fränkisch kann ich auch schon, "Bassd scho" und "Allmächd" sind meine Lieblingswörter.

Beim Café International der Kirche habe ich eine Künstlerin kennengelernt. Sie ließ mich in ihrem Atelier malen und hat mir auch geholfen, eine Wohnung zu finden. Ich hatte anfangs wenig Geld und überlegt: Kleidung oder Farbe? Ich entschied mich für Acrylfarbe. Kommenden Samstag eröffne ich meine dritte Ausstellung. Manchmal male ich wochenlang nicht, dann wieder jeden Tag, immer abstrakt. Weil es schwierig ist, von der Kunst zu leben, hatte ich Jura studiert. Mir fehlte noch ein Semester, als ich fliehen musste. Bis vor Kurzem bin ich jeden Morgen um 3.45 Uhr aufgestanden und habe Zeitungen ausgetragen, zwei Jahre lang. Nun mache ich eine Ausbildung zum Zahntechniker. Ich habe mich für den Beruf entschieden, weil Zähneformen auch Kunst ist.

In meinem Wohnzimmer habe ich überall Zettel aufgehängt, mit Sprichwörtern, aber auch, um mir Dativ und Akkusativ zu merken. Die Hose, die an dem Nagel neben der Tür hängt, trug ich von Damaskus bis nach Nürnberg. Wenn ich sie anschaue, hilft mir das weiterzumachen."

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Quelle:
SZ vom 13.11.2018
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