Porträt:Chen Shui-bian

Der taiwanische Präsident scheint von dem Attentat auf ihn wenig beeindruckt. Wenige Stunden, nachdem eine Kugel ihn am Bauch verletzt hatte, stieg er am Freitag vor dem Krankenhaus in einen Sportwagen und fuhr kommentarlos davon.

Auch in der Vergangenheit hat sich der 53-Jährige selten einschüchtern lassen.

Nicht einmal von der Atommacht China, die zur Demonstration von Stärke schon einmal eine Trägerrakete über die benachbarte Insel Taiwan hinweg in den Pazifik schießt.

Die Volksrepublik fühlt sich von Chen herausgefordert. Der lässt nämlich die Taiwaner parallel zur Präsidentenwahl am Samstag über eine Aufstockung des Verteidigungsetats abstimmen. China, das Taiwan als abtrünnige Provinz bezeichnet, sieht in dem Referendum eine gewollte Provokation.

Bevor Chen sich mit Peking anlegen konnte, musste er zunächst seine Gegner in Taipeh besiegen. Das gelang ihm im März 2000, als er als erster Oppositionskandidat in der jungen Geschichte Taiwans die Präsidentenwahl gewann.

Damit endete die über 50-jährige Herrschaft der von Chiang Kai Sheck gegründeten Nationalpartei. Seit der Abspaltung vom Festland im Jahr 1949 hatten die Nationalisten regiert, bis 1987 nach Kriegsrecht. Für den damals 49-Jährigen war der Wahlsieg ein persönlicher Triumph nach einer erstaunlichen Karriere.

Chen wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, sein Vater arbeitete in einer Zuckerfabrik, seine Mutter als Tagelöhnerin. Schule und Jura-Studium absolvierte er mit Bestnoten in Rekordzeit. Mit 22 Jahren avancierte er zu Taiwans jüngstem Anwalt.

Zunächst spezialisierte er sich auf Handels- und Seerecht, 1980 übernahm er jedoch die Verteidigung einer Gruppe von Dissidenten, die des Aufruhrs angeklagt waren. Nach diesem Prozess - der verloren ging - entschloss er sich zu aktivem politischen Engagement. 1981, im Alter von 30 Jahren, wurde er als unabhängiger Kandidat in den Stadtrat von Taipeh gewählt.

1985 wurde zu seinem Unglücksjahr. Erst verurteilte ihn ein Gericht für einen regierungskritischen Zeitungsartikel zu einer Haftstrafe, die er 1986 absaß. Nach dem Urteil gab er sein Stadtratsmandat auf. Im Dezember 1985 dann wurde seine Frau und politische Mitstreiterin Wu Shu Chen von einem LKW mehrmals überrollt.

Da der Fahrer drei Mal zurücksetzte, drängte sich der Verdacht eines Mordanschlages auf. Bis heute vermutet Chen die Strippenzieher, die nie entdeckt wurden, in der Nationalpartei. Wu überlebte, blieb aber von der Brust an abwärts gelähmt.

Schnell hochgearbeitet

Chens Aufstieg in die politische Elite des Landes begann mit der Aufhebung des Kriegsrechtes 1987. Rasch arbeitete er sich in die Führungsriege der im Jahr zuvor gegründeten Demokratischen Fortschrittspartei hoch.

Nach Jahren als Abgeordneter im taiwanischen Parlament wurde er 1994 Bürgermeister von Taipeh. Während seine Sanierung der chaotischen Metropole allgemeine Anerkennung fand, stieß sein bisweilen autokratischer Führungsstil auf Kritik.

Seine radikale Unabhängigkeitsrhetorik gegenüber China mäßigte Chen erst, als er 1999 zum Präsidentschaftskandidaten der Fortschrittspartei nominiert wurde. Zwar blieb er dabei, dass Taiwan kein Teil Chinas sei, versprach aber, keine formelle Unabhängigkeit anzustreben. Chen hat gelernt, wie weit er gehen kann.

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