Populismus:Zu viele Politiker haben die Grenze zum Populismus überschritten

Je komplexer die Welt wird, desto erfolgreicher sind Politiker, die einfache Wahrheiten anbieten. Wer sie aufhalten will, muss standhaft bleiben.

Kommentar von Stefan Kornelius

In Laos haben die Präsidenten bunte Hemdchen angezogen; hübsch harmonisch sollte es aussehen, klare Bilder gegen unklare Worte. In Hangzhou, China, bügelten die Weltenlenker die Sprache glatt und nutzten den eisernen Griff des Protokolls, um ein bisschen Konsens vorzugaukeln. Auch in Großbritannien gibt es jetzt ein Sätzchen, das trotzig Gewissheit in all dem Chaos vermitteln soll: "Brexit heißt Brexit."

Nun ringt Deutschland um eine Generalformel, mit der sich die Probleme des Landes lösen lassen sollen: "Deutschland wird Deutschland bleiben", oder "Deutschland muss Deutschland bleiben". Beruhigung oder zorniger Appell, Merkel oder Seehofer - die Lufthoheit wird von Hilfsverben entschieden.

Denn darum geht es: Von den Höhen der Weltgipfel bis in die Niederungen der Bierzelte will diese flirrende Ungewissheit, diese nervöse Erregung, dieses permanente Rauschen und Meinen und Deuten gebändigt werden. Es geht um die Projektion von Gewissheit in einer Welt voller Ungewissheiten. Es geht um einfache Formeln für schwierige Zeiten. Ausgebrochen ist ein Wettlauf um Schlichtheit und Knalligkeit. Komplexität war gestern. Jetzt darf es bitte etwas simpler sein.

Von Duterte über die AfD bis Trump dasselbe Schema: Die Populisten gaukeln eine einfache Welt vor

Simpel ist gut, simpel verschafft Zustimmung, simpel ist die Sprache der Populisten. Sie sind sich einig in ihrer Verweigerung einer verflochtenen und hoch entwickelten Welt. Sie bedienen das Bedürfnis nach Schlichtheit: keine Flüchtlinge in Europa, keine Mexikaner in den USA, keine Handelsverträge, kein Klimaproblem, kein Lissabon-Vertrag. Sie wissen, was sie nicht wollen. Sie versprechen Erlösung. Wie? Zum Beispiel mit einem Brexit. Am liebsten morgen. Dann aber endet die Weisheit.

Die Reduktionsmeister werden zur Geißel der Menschheit. Nach Ich-AG und Selfie kommt die Ich-Politik. Die Welt als Wille und Wahrnehmung durch die Egobrille. Einmal Entschlacken für Geist, Seele und Verstand. Und keine Zumutungen mit allzu komplizierten Erklärungen.

200 000 Flüchtlinge als Obergrenze? Bitte sehr. Aber was wird Seehofer bei Flüchtling 200 001 tun, was bei 300 000? Mit dem Wasserwerfer wegspülen? Nach Österreich treiben und weiter nach Mazedonien und Griechenland bis ins Meer? Was geschieht dann mit dem Binnenmarkt, mit der EU, mit Deutschland? Natürlich kann man nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen. Aber wie setzt man diese Erkenntnis um? Einfache Fragen sind das für schwierige Zusammenhänge. Horst Seehofer wird der Komplexität nicht gerecht.

Überall gilt: klare Kante statt weicher Kompromiss

Donald Trump baut eine "wunderschöne Mauer", er lobt Wladimir Putin, weil der so große Zustimmung genieße und Ordnung geschaffen habe in Russland. Er will keinen Handel mehr mit China. Aber: Mit wem will er dann Geschäfte treiben? Wer erledigt die Dienstleistungen in Amerika? Was ist noch great an Amerika, wenn das Land nicht mehr frei ist?

Auch die Briten, einst Imperiums-Lenker und damit vertraut mit Perspektivverschiebungen, wollen jetzt eine politische Insel sein. Der Ungar Viktor Orbán baut sich sein Eiland mithilfe von Stacheldraht. Überall dasselbe Schema: Entflechtung, Rückzug, klare Kante statt weicher Kompromiss. Auf den fernen Philippinen kapituliert der Rechtsstaat vor einem Demagogen, der für die Nöte des Landes ein paar Kugeln übrig hat. Die Welt steht im Bann der angeblich starken Männer und der einfachen Botschaften.

Die Basis für ihr Tun schaffen sich die neuen Demagogen flugs selbst. Es ist atemberaubend, mit welcher Geschwindigkeit die Vereinfachung funktioniert. Anders als die Konsensgesellschaft hat die Ich-Gesellschaft für jeden eine Wahrheit parat. Das Netz schafft eine Echokammer, in der jeder die Bestätigung für seine Weltsicht findet. In den USA hat inzwischen jede Glaubensrichtung ihren eigenen Vorbeter samt Kabelkanal und Nachrichtenportal. Konsens? Unmöglich. Kompromiss? Langweilig. Fakten? Jede Wahrheit hat ihren eigenen Zimmermann.

Der US-Senator Patrick Moynihan sagte einmal, "jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Aber keiner hat das Recht auf seine eigenen Fakten." Das ist hübsch gesprochen, geht aber an der Realität vorbei. Lüge und Wahrheit sind in der politischen Auseinandersetzung austauschbar geworden.

Donald Trump ist sein Geschwätz von gestern egal, und Fakten sind ihm gleichgültig. Die Realitätsverdrehung der Brexit-Befürworter hat die Urmutter der Demokratien, Großbritannien, in ihre größte Staatskrise geschickt. Warum? Weil die Lügen eindringlicher waren als die komplizierte Wahrheit.

Grenze zwischen Wahrheit und Unterstellung verschwimmt

Lügen dienen zur Tarnung von Kriegen oder zu deren Vorbereitung. Das Militär hat das Phänomen hybride Kriegsführung getauft. Russland beherrscht diesen Kampf tadellos. Hybrid meint: ein Zwitterwesen, ein Phänomen mit zwei Gesichtern. Inzwischen fährt auch der politische Betrieb in den USA oder in Deutschland mit Hybridantrieb.

Die Grenze zwischen richtig und falsch verschwimmt. Post-Truth-Politics nennen das die Amerikaner - eine Politik, die auf Unterstellungen beruht, auf Behauptungen. Für seine Anhänger mag Recep Tayyip Erdoğan der Verteidiger der türkischen Demokratie sein, für viele freie Geister im Land zerstört er sie. Nach Trumps Worten hat Putin sein Land im Griff und die russische Bevölkerung hinter sich. Die Zustimmungswerte belegten dies. Russlands Demokratiebewegung würde widersprechen.

Demokratie lebt vom Wettstreit der Ideen und Deutungen. Aber sie lebt auch vom Respekt vor dem rechten Maß. Verantwortungsbewusste Demokraten kennen die unendlichen Möglichkeiten im Spiel der Argumente, aber sie kennen auch diese unsichtbare Grenze, an der die populistische Versuchung, das Spiel mit der Meute beginnt. Diese Grenze haben viele, zu viele schon überschritten.

Wer sie aufhalten will, muss standhaft bleiben, hartnäckig und laut. "Mäßigt euch", hat die Kanzlerin Horst Seehofer zugerufen und all den Apokalyptikern, die gerade das Maß verloren haben. Mäßigt euch, denn eure Welt ist die Welt der Verweigerung, der Einfachheit und der Lüge. Eure Welt wird der Welt nicht gerecht.

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