Populismus-Studie:Zeichen nachhaltiger Vernunft

Populistische Ideen finden in Deutschland laut einer Studie viel weniger Anerkennung als noch vor zwei Jahren. Es ist gut zu wissen, dass die Kultur des Einerseits-andererseits noch lebt.

Von Ralf Wiegand

Die Nachricht kommt, mit den so frischen Bildern der Berliner Corona-Demonstrationen im Kopf, überraschend: Populistische Ideen, sagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, finden in Deutschland viel weniger Anerkennung als noch vor zwei Jahren. Das klingt beruhigend. Die einfachen Wahrheiten, die nach der Sehnsucht von Populisten das ganze Volk glauben soll, weil das ganze Volk betroffen sei, würden demnach nicht mehr ohne Weiteres verfangen. Politiker sind alle korrupt; Kompromisse sind nur Verrat von Idealen; Normalos wären die besseren Politiker; Politik weiß nicht mehr, was Bürgerinnen und Bürger bewegt: Solchen Sätzen und Stimmungen folgt laut Studie nicht mehr jeder Dritte wie 2018, sondern nur noch jeder Fünfte.

Grundsätzlich ist es immer eine gute Sache, wenn es Indizien dafür gibt, dass die Einerseits-andererseits-Kultur nicht ausgestorben ist. Denn das Abwägen von Argumenten, die anstrengende Suche nach dem zweiten Gedanken hinter dem naheliegenden ersten, die Bereitschaft, sich selbst hin und wieder zu hinterfragen - das ist das Gegenteil von Populismus. Wenn also nun das Bertelsmann-"Populismusbarometer" - so heißt das wirklich - ein Tief misst, darf man das gut finden wie ein Hochdruckgebiet in den Ferien. Zumal es fünf Jahre nach dem großen Flüchtlingsherbst, der hohen Zeit für Populisten, als Zeichen nachhaltiger Vernunft der Mehrheit gedeutet werden kann.

Die Frage ist allerdings: Was hilft es, wenn die Wahrnehmung doch eine ganz andere ist? Die AfD, der parlamentarische rechte Arm des Populismus, ist noch immer da und sitzt unverändert im Bundestag und in allen Landtagen. Der oft auf populistischer Vereinfachung basierende Hass im Netz, der erbarmungslose Kampf zwischen Idealisten und Ideologen, die scheinbar um sich greifende und unter dem Hashtag #2908 archivierte Vorstellung vom Staat, der seine Bürger als Feinde betrachtet: All das ist nicht eingebildet.

Folgt man der Bertelsmann-Studie, so steigt zwar die Bereitschaft der Menschen, sich wieder in die politische Mitte zu begeben, in der man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, ohne sich Feind zu sein. Gleichzeitig aber, das haben die Forscher ebenso ermittelt, radikalisieren sich diejenigen, die diese "Mitte" nach wie vor ablehnen. Ihnen mag sie vorkommen wie ein Ort treudummer Folgsamkeit und staatlich verordneter Manipulation, als Heimat des verachteten "Mainstreams". Ob man sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlt oder sich selbst ausschließt, weil man nicht so wie alle sein will, läuft im Ergebnis aufs selbe hinaus - man ist halt raus. Vom Rand aus aber muss man laut brüllen, um gehört zu werden, und je weiter der Rand vom Zentrum rückt, umso lauter das Gebrüll. Das könnte sein, was gerade passiert.

Populisten grasen Angst und Unsicherheit ab wie eine Weide. In der Corona-Krise hatte die Politik lange Zeit gute Antworten, indem sie mit entschlossenen Maßnahmen die Folgen des Virus nach Ansicht der meisten beherrschbar machte. Diese Erfahrung sollte sie sich merken, denn leider sind Angst und Verunsicherung nachwachsende Rohstoffe. Die Shell-Jugendstudie vom vergangenen Jahr will herausgefunden haben, dass eine Mehrheit der jüngeren Menschen zwischen zwölf und 27 Jahren sich von der Politik missverstanden, ignoriert und manipuliert fühlt - und populistische Sichtweisen teilt. Da liegt dann wohl die Aufgabe für die Zukunft.

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