Süddeutsche Zeitung

Polnische Reaktionen auf Erika Steinbach:Abschied von der bösen Deutschen

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Erika Steinbach war in Polen die unbeliebteste deutsche Politikerin. Dass sie als Präsidentin des Bunds der Vertriebenen zurücktritt, wird im Nachbarland gefeiert - wenn auch nur leise.

Von Klaus Brill, Warschau

Vor zehn Jahren hätte die Nachricht noch große Schlagzeilen gemacht, jetzt wirkt sie wie ein Nachhall aus einer längst vergangenen Zeit. Die Mitteilung der CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach, dass sie nach 16 Jahren ihr Amt als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) aufgeben will, ist von den Medien in Polen nur als Randnotiz behandelt worden. Bis Dienstag sah sich auch kein namhafter Politiker zu einer Äußerung veranlasst. Lediglich die Zeitung Rzeczpospolita kommentierte als führendes Organ des nationalkonservativen Lagers ausführlich die aus ihrer Sicht unheilvolle Rolle der Politikerin.

Dabei machte die Überschrift "Erikas siegreicher Abgang" schon klar, dass all das, was die deutsche Verbandsfunktionärin sich als Verdienst anrechnen mag, aus Sicht der polnischen Rechten negativ zu werten ist. Angefangen bei dem von ihr durchgesetzten Zentrum gegen Vertreibungen, das alle Zwangsaussiedlungen im 20. Jahrhundert gleichsetze, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Ursachen.

Steinbach wurde als Nazi karikiert

"Sie hinterlässt die überpuderte Version einer umredigierten Geschichte des Dritten Reiches, des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen", schreibt der Autor Jerzy Haszczyński. Er hatte im Jahr 2000 aufgedeckt, dass die 1943 in Rahmel (Rumia) bei Gdingen geborene Erika Steinbach nicht aus einer altansässigen Familie stammte. Vielmehr war ihr in Hessen geborener Vater erst als Angehöriger der deutschen Luftwaffe nach der Invasion der Wehrmacht 1941 ins besetzte Polen gekommen. Sie habe ihre politische Karriere "auf einer Lüge aufgebaut".

In diesem wie in den Beiträgen anderer Zeitungen wird ferner darauf hingewiesen, dass Erika Steinbach in Polen einmal die unbeliebteste deutsche Politikerin war. Unvergessen ist eine Titelseite der Zeitschrift Wprost, in der sie in SS-Uniform als Domina auf dem Rücken des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder dargestellt wurde.

In Polen war Steinbach bekannter als in Deutschland

2009 wurde sie bei einer Meinungsumfrage nach der Person, vor der die Polen am meisten Angst hätten, an zweiter Stelle nach dem russischen Präsidenten Wladimir Putin genannt. In den vergangenen Jahren ist der Streit um ihre Person und um die Vertriebenenpolitik jedoch stark abgeflaut, ebenso wie in Deutschland.

"In Polen war Steinbach das Symbol des bösen Deutschen geworden", schrieb die liberale Gazeta Wyborcza in ihrer Online-Ausgabe. "Es kam zu einer paradoxen Situation: in Deutschland war Steinbach eine Politikerin aus der zweiten Reihe, in Polen kannte sie jeder." Mit dem Ausruf "Endlich!" kommentierte das nationalkonservative Webportal Wpolityce.pl die Nachricht vom Rückzug Steinbachs. "Aus polnischer Perspektive ist das ein Grund zur Freude."

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