Süddeutsche Zeitung

Polizisten in NS-Zeit:Ordnung und Vernichtung

Weiße Flecken im Geschichtsbuch: Die zentrale Rolle der Polizei im Terrorsystem der Nationalsozialisten wurde jahrzehntelang nicht aufgearbeitet. Eine Berliner Ausstellung bringt die unangenehme Wahrheit ans Licht.

Ralf Wiegand

"Liebe Hanna", schrieb der Mann aus der Ukraine nach Hause, "wir sind hier in einem kleinen Städtchen. Alle Juden werden umgebracht. Aber Du musst Dir nichts dabei denken. Es muss sein."

Der Mann war deutscher Polizist.

Es hat sehr lange gedauert, bis sich die Polizei mit ihrer Rolle im NS-Regime befasst hat. Im Berliner Deutschen Historischen Museum öffnet an diesem Freitag die Ausstellung "Ordnung und Vernichtung". Unter Mitwirkung der Deutschen Hochschule der Polizei zeigt die Schau die Rolle der Polizei im Apparat der Nazis - und zwar nicht nur die der gefürchteten Gestapo, sondern auch die gewöhnlicher Polizisten. "Für mich", sagt der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), "hatte der Erkenntnisgewinn hier eine Dimension wie bei der Wehrmachtsausstellung." Die Dokumentation über die Verbrechen der Wehrmacht hatte Mitte der neunziger Jahre die Legende getilgt, nur SS-Sonderkommandos hätten Gräueltaten begangen.

Mäurer weilte am Donnerstag zur Eröffnung der Ausstellung in Berlin, am 29.April wird Bremen eine eigene Dokumentation zeigen: "Polizeigewalt 1933 bis 1945". Nur zufällig hatte der Jurist im Januar vergangenen Jahres erfahren, dass die Geschichte der Polizei an der Weser - anders als etwa die der Justiz - nie offiziell aufgearbeitet worden war: "Es gab nichts." 66 Jahre nach Kriegsende wird also Ulrich Mäurer als der Innensenator in die Annalen eingehen, der einen weißen Fleck im Geschichtsbuch der Hansestadt tilgte. Für seine Vorgänger ein Armutszeugnis, vor allem weil einige von ihnen lieber dafür gesorgt hatten, dass regimetreue Polizisten nach 1945 wieder in Dienst gestellt wurden.

Vor allem an den Bremer Polizeibataillonen 105 und 303 lässt sich nachweisen, was auch die Berliner Ausstellung belegt: Ohne die Beteiligung der Ordnungspolizei wäre die Vernichtung der europäischen Juden in diesem Ausmaß und Tempo wohl nicht möglich gewesen. Seit zehn Jahren erforscht der Bremer Professor und Ex-Polizist Karl Schneider, 73, die Geschichte dieser Einheiten. "Lange Zeit habe ich keine Unterstützung erhalten", sagt er, nun ist der Senator sein Verbündeter. Im Bataillon 303 übernahmen Bremer Polizisten in der Ukraine "Sicherheits- und Säuberungsaufgaben". Die Polizisten, die daheim teilweise noch Streifendienst per Fahrrad geschoben hatten, ermordeten Tausende und funkten abendliche Erfolgsmeldungen nach Hause: "Heute 300 Juden erschossen."

Eine besondere Rolle spielte auch das Bataillon 105. Die Aufgabe dieser Polizisten: Razzien durchführen, Juden in Ghettos verfrachten - und die Deportationen von Westerbork in die Vernichtungslager begleiten. "Die Kameraden haben sich gerne dazu gemeldet, gab es doch anschließend drei Tage Urlaub. Judentransporte zu begleiten hatte für uns doch Erholungswert", zitiert Schneider einen ehemaligen Bremer Zugwachtmeister. Das Interview mit ihm führte er 2004.

98 Transporte gingen zwischen Juli 1942 und September 1944 von Westerbork in verschiedene Lager, 67 davon mit insgesamt 60.085 Juden nach Auschwitz. Lange war sich Schneider sicher, dass auch die letzte Fahrt dorthin, am 3. September 1944, von Bremer Polizisten begleitet worden war - mit diesem Zug reiste Anne Frank in den Tod. Doch zum letzten Beweis, dass auch diese Zugbegleiter aus Bremen kamen, fehlen ihm entscheidende Dokumente, die nicht mehr zu finden sind. "Ich wollte das gerne klären", sagt Schneider, "aber das wird wohl nicht mehr gelingen."

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SZ vom 01.04.2011/mati
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