Dass sie eine dunkle Sonnenbrille trägt oder doch wenigstens eine Maske oder, viel sicherer noch, Brille und Maske, das hätte man erwartet bei einer Frau, die jede Minute erschossen werden kann. Denn so ist es. Jede Minute kann es vorbei sein, Schluss, Ende. Das hat sie schwarz auf weiß, in all den Mails und Nachrichten voller Hass. Sie aber steht da, mitten in Frankfurt, wo sie lebt, Idil Baydar, die Kabarettistin, eine kleine, rundliche Frau mit hochgestecktem Haar, und tut nichts, um nicht aufzufallen, im Gegenteil. Sie lacht laut, Menschen drehen sich um, und ihre Stimme springt einem mit Wärme und trockenem, tiefen Schnarren entgegen. Sie telefoniert gerade so viel mit Journalisten, dass von der Farbe auf ihren Lippen nur an der oberen Linie noch ein Restchen übrig ist. Sie sucht den Schutz durch die Öffentlichkeit. "Jemand, der nicht gehört wird", sagt sie im Gehen, "fängt an zu schreien." Man könnte auch sagen, Idil Baydar schreit um ihr Leben.
Polizeiskandal in Hessen:Hassmail für Dich
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Jeden Tag werden vor allem Frauen von Rechtsextremen mit dem Tod bedroht, und vieles deutet auf Täter oder Helfer in Hessens Polizei hin. Über das Versagen der Ermittler und der Politik.
Von Matthias Drobinski und Renate Meinhof
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