Polizeigewerkschafter über öffentliche Sicherheit:Wettkampf der Parolen

Wer sich um die öffentliche Sicherheit sorgt und Rat sucht bei den beiden deutschen Polizeigewerkschaften, verzweifelt: Wenn sich die eine äußert, weist die andere die Äußerung garantiert als Unsinn zurück. Die Organisationen liefern sich seit Jahren einen Wettbewerb um Mitglieder und um Aufmerksamkeit. Nun nimmt der Kampf bizarre Formen an.

Susanne Höll, Berlin

Wer sich um die öffentliche Sicherheit in Deutschland Gedanken macht und Rat sucht bei den beiden deutschen Polizeigewerkschaften, muss in diesen Wochen verzweifeln. Ob es um den Antiterrorkampf geht, um den Schutz vor fanatisierten Einzeltätern oder um die Angst vor Massenkrawallen - die öffentlichen Forderungen der beiden Arbeitnehmerorganisationen, genauer gesagt ihrer Vorsitzenden, widersprechen sich allzu oft. Damit nicht genug: Wenn sich der eine äußert, kann man darauf zählen, dass der andere die Äußerung als Unsinn zurückweist. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) liefert der deutlich größeren Gewerkschaft der Polizei (GdP) seit Jahren einen Wettbewerb um Mitglieder und um Aufmerksamkeit. Inzwischen nimmt dieser Konkurrenzkampf bizarre Formen an.

Riots break out in North London

Polizeigewerkschafter Rainer Wendt warnte vor Ausschreitungen wie in Großbritannien. Sein Konkurrent Bernhard Witthaut bezeichnete das "blanken Populismus und Panikmache".

(Foto: dpa)

Zuletzt war dies im Fall der britischen Ausschreitungen zu beobachten. DPolG-Chef Rainer Wendt, nach übereinstimmender Meinung aller maßgeblichen deutschen Sicherheitsfachleute ein Feuerkopf, sagte sinngemäß, solche Krawalle könne es auch hierzulande geben. Und wie in Großbritannien könne die Polizei ihrer nicht mehr Herr werden, schließlich würde der öffentliche Dienst und mithin die Polizei "kaputtgespart". Der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut, ein deutlich besonnenerer Mann, konterte prompt: "Krawallspekulationen heizen Gewalttäter erst an", rügte er den Konkurrenten, ohne ihn namentlich zu nennen und warf ihm "blanken Populismus und Panikmache" vor. Witthaut habe recht, urteilten daraufhin Sicherheitsexperten fast aller Bundestagsparteien.

Vor drei Wochen gab es schon einmal einen solchen Disput. Den Anlass lieferte damals Witthaut. Der schlug als Konsequenz aus dem Doppelanschlag in Norwegen vor, eine Datei für Menschen einzurichten, die im Internet oder sonst irgendwo krude Gedanken äußerten. Diese Idee war aus mehrfacher Sicht Unfug und auch deshalb überraschend, weil Witthaut im Ruf steht, ein vernünftiger Mann zu sein. Wendt geißelte den Vorstoß als "totale Überreaktion", was sicher nicht falsch war, wohl aber pikant - er selbst hatte kurz zuvor einen Internet-Pranger für entlassene Sexualstraftäter verlangt und war dafür von Fachleuten hart gescholten worden.

Die Sicherheitsfachleute der Bundestagsfraktionen sehen den Wettlauf der Polizeigewerkschaften mit Unbehagen. SPD-Innen-Experte Dieter Wiefelspütz sagt: "Von einem solchen Wettbewerb profitieren weder die Polizei noch die Sicherheit in Deutschland." Über alle Parteigrenzen hinweg wird Wendt für die manchmal groteske Auseinandersetzung verantwortlich gemacht. Der 54 Jahre alte Hauptkommissar aus Duisburg ist CDU-Mitglied, seit 2007 DPolG-Chef und ein gewiefter Werber für seine Organisation, die mit etwa 80 000 Mitgliedern nicht einmal halb so groß ist wie die DGB-Gewerkschaft GdP. Selbst Wendts Parteifreunde mahnen ihn ab und an zur Zurückhaltung und zu einem Ende dieses polizeiinternen Überbietungswettbewerbs - bislang allerdings ohne sichtbaren Erfolg.

Witthaut, der ebenfalls Hauptkommissar ist und der SPD angehört, genießt die größeren Sympathien selbst der Unions-Innenexperten. Ein Ende des Konflikts ist jedenfalls nicht in Sicht. Im Gegenteil. Sie könnten noch an Schärfe zunehmen, denn im Herbst will die DPolG mit einer kleinen Gewerkschaft der Bundespolizei fusionieren, Wendt wird dann für immerhin 85 000 Leute sprechen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: