Süddeutsche Zeitung

Polizeigewalt in Belgien:Ein Fall zur Tagesordnung

Die Themen Rassismus und Diskriminierung standen ohnehin auf der Tagesordnung des EU-Parlamentes. Doch schon bevor die Debatte begann, musste die Abgeordnete Pierette Herzberger-Fofana einen rassistischen Übergriff von Brüssler Polizisten beklagen.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Das Thema Rassismus stand sowieso auf der Tagesordnung, gleich als erste Debatte am Mittwochnachmittag. Aber noch bevor dieser Punkt aufgerufen wurde, erteilte der Präsident des EU-Parlaments der grünen Abgeordneten Pierrette Herzberger-Fofana das Wort. "Ich möchte Sie darüber informieren, dass ich ein Opfer von Polizeigewalt geworden bin, durch die belgische Polizei", sagte die frühere Erlanger Stadträtin. Am Abend zuvor habe sie am Brüsseler Nordbahnhof beobachtet, wie neun Polizisten zwei schwarze Jugendliche belästigt hätten. Als sie die Situation mit dem Smartphone habe fotografieren wollen, sei sie selbst das Ziel von Polizeigewalt geworden: Vier Polizisten hätten sie an die Wand gedrückt, ihr die Handtasche entrissen, und sich angeschickt, sie abzutasten. "Als ich den Polizisten gesagt habe, dass ich Europaabgeordnete bin, haben sie mir nicht geglaubt", berichtete Herzberger-Fofana. Nach dem Ende ihrer Rede erhoben sich die anderen Abgeordneten von ihren Stühlen, und Herzberger-Fofana war anzusehen, wie traumatisierend das Erlebnis am Abend zuvor gewesen sein muss.

Die Rede der 71-Jährigen war sozusagen das praktische Beispiel für viele der Punkte, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Anschluss in ihrer Ansprache aufgriff. Die Menschen, die in den vergangenen Tagen und Wochen auf die Straße gegangen seien, wollten gehört werden. Es sei aber Zeit, "dass wir mehr tun, als nur zuhören", sagte sie.

Man müsse sich der Frage stellen, warum es in der Gesellschaft weiterhin Rassismus und Diskriminierungen gebe, und was man in "Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsversorgung oder Wohnungswesen" besser machen könne, "damit unsere Gesellschaften offener, gerechter und bewusster werden", sagte von der Leyen. "Ich möchte das in aller Klarheit betonen: In unserer Union ist kein Platz für Rassismus oder jegliche Form von Diskriminierung."

Auch über die mangelnde Diversität in der Politik sprach sie. "Schauen wir doch nur hier ins Rund des Parlaments", sagte die Präsidentin der EU-Kommission in ihrer Rede. "Die ganze Vielfalt unserer Gesellschaft findet sich hier nicht wieder." In ihrer eigenen Kommission sehe das Bild nicht besser aus. In der kommenden Woche wolle sie mit der EU-Kommission darüber sprechen, was die EU und ihre Institutionen gegen Rassismus tun können, und wie es gelingen könne, in den EU-Institutionen die Vielfalt der Gesellschaft besser abzubilden.

Auch Herzberger-Fofana hatte erst vor einer Woche in einem Gastbeitrag in der Online-Zeitung EU Observer auf mangelnde Diversität in EU-Kommission und Parlament hingewiesen. Sie sei schon mehrmals vom Sicherheitspersonal angesprochen worden, was sie im Parlament zu suchen habe. "Keiner unserer weißen Kollegen hat über so etwas schon einmal berichtet."

Parlamentspräsident Sassoli nimmt sich der Angelegenheit an

Den Vorfall von Dienstagabend will die Abgeordnete jedenfalls nicht auf sich sitzen lassen. Sie habe sich bereits bei den belgischen Behörden beschwert. Parlamentspräsident David Sassoli kündigte an, der Sache seinerseits ebenfalls nachgehen zu wollen. Herzberger-Fofana hofft aber auf mehr als das: auch auf konkrete Maßnahmen gegen Rassismus für alle jene, die nicht wie sie selbst im Europaparlament über ihre Erfahrungen sprechen können, sagte sie.

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SZ vom 18.06.2020/pak
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