Sicherheitspolitik:Bayern als Vorbild

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Durch den neuen Begriff der "drohenden Gefahr" kann die bayerische Polizei in Zukunft früher eingreifen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • Neben Bayern planen auch die anderen Bundesländer neue Polizeigesetze.
  • Nicht alle gehen dabei so weit wie der Freistaat.

Von SZ-Autoren

Mehr als 30 000 Menschen gingen in München an nur einem Tag auf die Straße. Ein einfaches Landesgesetz trieb sie zum Protest. Ein Gesetz, das die CSU-Mehrheit im Landtag trotz des großen Widerstands beschloss und mit dem sich die Staatsregierung an die Spitze eines Trends stellt, der in ganz Deutschland zu spüren ist: die Verschärfung der Polizeigesetze.

Prägend für das bayerische Polizeiaufgabengesetz ist die Absenkung der Eingriffsschwelle für die Polizei durch den Begriff der "drohenden Gefahr". Schon seit August 2017 steht er im Gesetz, neu ist, dass er jetzt auf eine Vielzahl polizeilicher Maßnahmen angewendet werden kann. Die Staatsregierung argumentiert, das Bundesverfassungsgericht selbst habe die "drohende Gefahr" eingeführt. Kritiker verweisen darauf, dass die hohen Richter dies nur für den Bereich des Terrorismus getan haben. Es geht darum, durch präventives Handeln eine Straftat zu verhindern. Bis jetzt musste die Polizei dazu eine "konkrete Gefahr" nachweisen.

Mehrere Parteien haben Verfassungsklagen angekündigt

Jetzt kann die Polizei noch früher tätig werden, wenn besondere Rechtsgüter bedroht sind. Das sind etwa Gefahren für Leib und Leben oder den Bestand des Landes, aber auch erhebliche Sachbeschädigung. Um eingreifen zu können, braucht es etwa eine "konkrete Wahrscheinlichkeit". Ein neuer Rechtsbegriff, den Kritiker für zu vage halten, um weitreichend in Grundrechte einzugreifen. Eine "drohende Gefahr" ermächtigt die Polizei, Telefone abzuhören, E-Mails zu lesen oder Pakete zu öffnen, falls ein Richter dem zustimmt. Für andere Maßnahmen wie das Verbot, die Stadt zu verlassen, ist kein Richtervorbehalt vorgesehen.

Darüber hinaus soll schon zur Feststellung der Identität ein DNA-Abstrich gemacht werden können. Die sogenannte erweiterte DNA, bei der Haar- und Augenfarbe sowie die Herkunft festgestellt wird, kann jetzt zur Fahndung eingesetzt werden, auch wenn nur eine Gefahr droht. Polizisten werden Bodycams tragen, die ununterbrochen laufen, deren Daten aber erst gespeichert werden, wenn der Polizist einen Knopf drückt. Mehrere Parteien haben Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.

Kritiker sprechen von einer Totalüberwachung, die jetzt möglich sein soll. CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer aber kündigte an, das bayerische Gesetz als Vorlage für ein Musterpolizeigesetz zu machen, das für alle Länder als Vorbild gelten soll. Wie weit sind die Pläne gediehen? Ein Blick in die Bundesländer, in denen darüber gestritten wird.

Nordrhein-Westfalen

In Düsseldorf will die schwarz-gelbe Koalition ein deutlich verschärftes Polizeigesetz vor der Sommerpause durch den Landtag bringen - gegen heftige Kritik aus der Opposition, die bayerische Verhältnisse an Rhein und Ruhr befürchtet. Innenminister Herbert Reul (CDU) allerdings wiegelt ab: "Wir machen deutlich mehr als bisher in NRW. Aber wir machen bewusst weniger als Bayern", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Tatsächlich haben sich Christdemokraten und Liberale auf eine Art Light-Version des bayerischen Vorbilds geeinigt. Zwar sollen auch NRW-Polizisten mehr Zugriffsmöglichkeiten bei nurmehr "drohender Gefahr" statt wie bisher konkreter Gefahr bekommen. Aber die schärfsten Eingriffe in Grundrechte sind nur dann erlaubt, wenn es sich um eine laut Gesetz "drohende terroristische Gefahr" handelt. Dann aber darf die Polizei Gefährder bis zu einem Monat statt bisher nur 48 Stunden in Gewahrsam nehmen.

Gefährdern darf die Polizei elektronische Fußfesseln anlegen - aber nur, wenn es um Terrorismus geht oder darum, bei Sexualstraftätern und Stalkern Kontaktverbote zu überwachen. Auch dürfen Polizisten heimlich auf Handy und Computer mithören und mitlesen - diese Erlaubnis gilt ebenfalls nur, wenn Leib und Leben in Gefahr sind oder "individuelles Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet", dass die Zielperson eine terroristische Straftat begehen wird.

Zudem erlaubt der Entwurf der Polizei, im Rahmen einer "strategischen Fahndung" Personen und Autos ohne konkreten Verdacht zu kontrollieren. Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) nennt Teile des Gesetzes "verfassungswidrig". Ob die SPD vor das Landesverfassungsgericht zieht, will sie nach einer Expertenanhörung im Juni entscheiden.

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(Foto: Felix Hörhager/dpa)

Ein Gesetz und seine Folgen: Auf dem Marienplatz in München demonstrierten im Mai Tausende gegen das neue Polizeiaufgabengesetz der Staatsregierung.

Diskutiert wird auch in vielen anderen Bundesländern über Fußfesseln für Gefährder.

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(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Polizisten in Bayern sollen in Zukunft Bodycams tragen, die ununterbrochen laufen.

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(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Zusätzlich sollen auch die Spezialeinheiten aufgerüstet werden.

Niedersachsen

Im Norden gingen zwar bisher keine Demonstranten auf die Straße, aber auch im Landtag von Hannover wird über ein neues, schärferes Polizeigesetz eifrig debattiert. Umstritten ist vor allem der Plan der rot-schwarzen Regierung, mutmaßliche Gefährder bis zu 74 Tage lang in Präventivhaft nehmen zu können. Der Entwurf sei ein Kompromiss zwischen stark veränderten Sicherheitsinteressen und dem Schutz der bürgerlichen Grundrechte, erklärte Innenminister Boris Pistorius (SPD) kürzlich: "Niemand hat Interesse daran, die niedersächsischen Gefängnisse mit Gefährdern zu füllen, die keine sind."

Weiterhin brauche die Polizei eine begründete Gefahrenprognose, argumentiert der Minister. Außerdem sei der Gewahrsam zunächst auf 30 Tage beschränkt und könne dann nur nach einem Beschluss eines Richters verlängert werden. Die Gesetzesänderungen dienten der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, so Pistorius. "Angesichts der Bedrohungslage wäre es mehr als fahrlässig, nicht alle verfassungsmäßig zulässigen Maßnahmen und Befugnisse auszuschöpfen." Die Bürgerrechte würden verramscht, findet dagegen der innenpolitische Sprecher von Niedersachsens Grünen, Belit Onay. Auch die FDP hält die verlängerte Präventivhaft und geplante Online-Untersuchungen für bedenklich.

Bremen

In Bremen geht der Riss sogar mitten durch das rot-grüne Bündnis. Die SPD der Hansestadt ist ebenfalls der Meinung, dass das Polizeigesetz der Hansestadt angepasst werden müsse, gezankt wird um Themen wie Video- und Telekommunikationsüberwachung sowie den möglichen Einsatz elektronischer Fußfesseln. Die Grünen haben schwere Bedenken, weshalb es fürs Erste damit nichts werden dürfte.

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Mecklenburg-Vorpommern

Im rot-schwarz regierten Mecklenburg-Vorpommern wurden unter anderem der Einsatz elektronischer Fußfesseln für Gefährder und Bodycams für Polizisten bereits beschlossen.

Sachsen

Sachsens schwarz-rote Regierung geht in ihrem Entwurf für ein neues Polizeigesetz ähnlich weit wie Bayern. So soll die Polizei Gefährdern elektronische Fußfesseln anlegen und Kontaktverbote oder den Verbleib an bestimmten Orten auferlegen können. Zugleich sollen Spezialeinheiten der Polizei aufgerüstet werden, etwa mit Maschinengewehren oder Handgranaten. Im Falle schwerer Straftaten soll die Polizei mit richterlicher Anordnung Telefongespräche abhören sowie Standorte und Verbindungsdaten abfragen dürfen.

Polizeibehörden können künftig zudem den öffentlichen Raum per Video überwachen und geheime Kontrollbereiche einrichten, in denen die Grundrechte eingeschränkt sind. In bestimmten Fällen soll die Polizei auch Journalisten überwachen dürfen, die als Geheimnisträger von solchen Maßnahmen eigentlich ausgeschlossen sind. Die Opposition spricht von der "Aushöhlung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" und einem "Frontalangriff auf die Bürgerrechte". Die Regierung will den Entwurf bis August verabschieden. Danach kommt er ins Parlament.

Sachsen-Anhalt und Thüringen

In Magdeburg hat eine Änderung des "Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung" Ende Januar den Landtag passiert. Neuerungen betreffen auch hier Aufenthaltsge- und -verbote und den zeitlich begrenzten Einsatz elektronischer Fußfesseln. Bereits im vergangenen Jahr stimmte der Landtag für den Einsatz von Körperkameras und eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen plant keine Verschärfungen bestehender Regelungen.

Rheinland-Pfalz

Die Ampel-Regierung aus SPD, FDP und Grünen will voraussichtlich nach der Sommerpause eine Novelle zum Polizeigesetz vorlegen, die neben dem Datenschutz und den Anpassungen zum BKA-Gesetz auch eine neue Zuverlässigkeitsprüfung für Mitarbeiter bei staatlichen und privaten Veranstaltungen vorsieht. Anlass dafür war ein Zwischenfall beim Musikfestival Rock am Ring 2017, wo zwei den Behörden nicht gemeldete Syrer als Helfer eingesetzt waren und das Festival deshalb wegen Terrorverdachts unterbrochen wurde.

Saarland

An der Saar steht frühestens in der zweiten Jahreshälfte eine umfangreichere Reform an. Polizisten sollen Veranstaltungen und Versammlungen mehr als bisher per Video überwachen und Einsätze mit Bodycams aufzeichnen dürfen. Die große Koalition in Saarbrücken hatte sich zudem auf die Einführung einer Quellen-TKÜ, also das Hacken und Mitlesen laufender elektronischer Kommunikation, verständigt. Gefährder sollen künftig mit Fußfesseln elektronisch überwacht und Autokennzeichen automatisch erfasst werden.

© SZ vom 24.05.2018/jbb/pb/höl/nell/uz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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