Polizei und Justiz:Halbherzig gegen Extremisten

Rechtsterrorismus Sachsen

Spur der Neonazi-Gewalt: Ein beschädigtes Büro der Linkspartei im sächsischen Freital nach einem Anschlag 2015.

(Foto: Arno Burgi/dpa)

Die sächsischen Behörden produzieren im Umgang mit Neonazis immer wieder Skandale und Blamagen. Das hat seit den 90er Jahren fast schon Tradition.

Von Annette Ramelsberger

Am vergangenen Wochenende gab es mal wieder haarsträubende Nachrichten aus Sachsen: Zwei Elite-Polizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) des sächsischen Landeskriminalamtes, die zum Schutz des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach Berlin fahren sollten, hatten sich etwas Besonderes ausgedacht. Sie mussten für sich und einen Kollegen Tarnnamen in die Einsatzliste schreiben. Und sie hatten nichts Besseres im Sinn, als ihrem Kollegen den Tarnnamen Uwe Böhnhardt zu verpassen - den Namen des Terroristen also, der gemeinsam mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe die rechtsradikale Terrorbande NSU gegründet hatte, den Nationalsozialistischen Untergrund. Den Namen eines Mannes, der seit der Selbstenttarnung der Gruppe im November 2011 bundesweit bekannt und berüchtigt ist. Ein Name, der für Terror, Menschenfeindlichkeit, Morde, Raubüberfälle und Bombenanschläge steht und - für Polizisten möglicherweise besonders eindrücklich - auch für den kaltblütigen Mord an einer Polizistin. Dieser Name also sollte für den Kollegen als Tarnnamen gerade richtig sein. Erst in Berlin fiel diese sehr spezielle Variante sächsischen Humors auf.

Kollegen im sächsischen LKA waren entsetzt. Die beiden Betroffenen dürfen vorerst nicht arbeiten, ein Disziplinarverfahren ist eingeleitet worden. Ziel sei die "Entfernung der Beamten aus dem Dienst", hieß es. "Das ist so ungeheuerlich, dass man über die härtesten möglichen Konsequenzen zumindest nachdenken muss", sagte LKA-Sprecher Tom Bernhardt.

Der Tarnname Uwe Böhnhardt ist nur der jüngste Punkt in einer Reihe von Fehlleistungen, Blamagen und Skandalen, die umso gravierender wirken, als die Gefahren, gegen die das Landeskriminalamt vorgehen soll, ständig wachsen. Das hat sich am Montag gezeigt. Da gingen Beamte des LKA im Auftrag des Generalbundesanwalts gegen mutmaßliche Rechtsterroristen aus Chemnitz vor. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hatte gegen die Verdächtigen bereits wegen besonders schweren Landfriedensbruchs ermittelt. Einige der Terrorverdächtigen sollen kürzlich Feiernde auf der Schlossteichinsel überfallen haben.

Angesichts all der Skandale, die sich in den vergangenen Wochen aneinanderreihten, gerät fast aus dem Blick, dass die Polizei in Sachsen auch noch arbeitet. Denn als Bild im Gedächtnis geblieben ist der Mann mit dem Deutschlandhut, der im August Journalisten von der Berichterstattung über eine Anti-Merkel-Demo abhalten wollte und von dem sich später herausstellte, dass er Mitarbeiter des LKA war. Hinzu kommt der Skandal über die Innenausstattung von Polizeifahrzeugen. Auf den Sitzen prangten da Lorbeerkränze, die an die Ausstattung der Wehrmacht erinnerten. Die Verantwortlichen versuchten das als Dummheit und Versehen zu entschuldigen. Aber allmählich zweifeln selbst Gutmütige daran, dass dies nur Dummheit ist.

Denn es gibt seit Jahren eine Tradition in Sachsen, rechte Gewalt zu verharmlosen. Schon der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) attestierte seinen Bürgern, sie seien "immun gegen Rechtsextremismus". Eine sehr praktische Feststellung, denn dann musste man ja auch nicht viel gegen solche Umtriebe tun. In den 1990er-Jahren zogen einsame Sozialarbeiterinnen durch die Clubs der harten Rechten, mutige Frauen, die schon froh waren, wenn sie nicht sofort vor die Tür gesetzt wurden. Ausrichten konnten sie kaum etwas. Die rechte Szene wuchs.

Der Untergrund, in dem die NSU agierte, war an der Oberfläche

Vor allem in Chemnitz, wohin sich bereits Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe flüchteten, als sie in Jena aufflogen und in ihrer Garage der Sprengstoff TNT gefunden worden war. In der Chemnitzer Szene lebten sie dann wie Fische im Wasser. Ihre Kameraden besorgten ihnen immer wieder Wohnungen, sie sammelten Geld für sie, man besuchte sich gegenseitig. Der Untergrund, in dem Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe angeblich waren, er war an der Oberfläche. Aber niemand interessierte sich für sie.

Auch die Justiz nahm rechtsradikale Umtriebe oft nicht wirklich ernst. Als fünf Mitglieder der rechtsradikalen Kameradschaft "Sturm 34" im Jahr 2007 vor dem Landgericht Dresden standen, sprachen die Richter nur sehr überschaubare Strafen aus. Obwohl die Angeklagten für zahlreiche brutale Überfälle auf Nazi-Gegner, linke Jugendliche und Migranten rund um die sächsische Kleinstadt Mittweida verantwortlich waren, verurteilten die Richter sie großteils nur zu Bewährungs- und Geldstrafen. Den Angeklagten habe es "überwiegend am intellektuellen Inventar" gefehlt, erklärten die Richter. Der Bundesgerichtshof kassierte zwar das Urteil, die Akten blieben aber so lange in Sachsens Justiz liegen, dass der Oberbürgermeister von Mittweida von einem "Justizskandal" sprach.

Auch als später die Gruppe Freital rund um Dresden linke Wohnprojekte, einen Linken-Politiker und ein Büro der Partei angriff, ging die sächsische Justiz zunächst von lauter Einzeltaten aus. Erst die Bundesanwaltschaft führte die Taten zusammen und erkannte eine terroristische Vereinigung. Die acht Angeklagten wurden 2017 wegen versuchten Mordes und rechten Terrors zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Mit dem Urteil hat das Oberlandesgericht Dresden deutlich Stellung bezogen.

Diese härtere Gangart der Gerichte jedoch scheint nicht alle zu beeindrucken. André Eminger, der im NSU-Prozess zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist, zeigt sich nach Informationen des MDR schon wieder ausgiebig in der rechten Szene. Er sei im August bei einem Konzert im rechtsextremen Milieu bei Erfurt gesichtet worden, berichtete der MDR am Montag. Bei der Veranstaltung handelte es sich demnach um ein "Abschiedskonzert" für zwei Neonazimusiker, die demnächst wegen eines Angriffs auf eine Kirmesfeier in Thüringen im Jahr 2014 mehrjährige Haftstrafen antreten müssten.

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