Rechtsextremismus bei der Polizei:Die Mauer des Schweigens zeigt zunehmend Risse

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Eine Kundgebung in Mülheim-Ruhr gegen rechte Netzwerke und strukturellen Rassismus in der Polizei. (Foto: imago images/Udo Gottschalk)

Immer mehr rassistische Parolen und Nazi-Witze aus Polizisten-Chats kommen ans Licht. Das ist erschreckend. Doch die Empörung über die Vorfälle zeigt auch eine Wirkung.

Von Ronen Steinke, Berlin

Mal eine gute Nachricht gefällig? Es ist ja nicht leicht, sie in diesen Tagen zu sehen zwischen all den Meldungen über neue Polizisten-Chatgruppen voller rassistischer Gehässigkeiten. Zwischen all den immer wieder üblen Enthüllungen, so wie zuletzt aus dem Düsseldorfer Landesamt für Verfassungsschutz, wo drei Beamte einer Observationseinheit mit einem Mitarbeiter des Landesinnenministeriums rechtsextreme Chatnachrichten ausgetauscht haben sollen. Oder aus der Polizei in Berlin, wo am Donnerstag praktisch das Gleiche vermeldet wurde. 25 Beamten sollen dort verwickelt sein.

Dass es Menschen mit rassistischen Einstellungen auch unter Polizisten gibt, ist nicht das Neue an solchen Meldungen. Das gab es schon früher, und wahrscheinlich war es in den 1990er-Jahren, als die Polizei noch wesentlich weniger divers und fast ausschließlich männlich war, sogar verbreiteter als heute. Nur bekam es in der Öffentlichkeit kaum jemand mit. Das Neue ist: Seitdem üble Sprüche nicht mehr nur mündlich unter Kollegen geäußert werden, sondern, befördert durch die neue Technik, immer öfter auch schriftlich in Chats, ist dies viel leichter nachweisbar.

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Die Aufklärung hat Fortschritte gemacht, selbst wenn sie vielerorts noch am Anfang steht. Die moderne Technik hilft, weil von manchem Nazispruch in der geschlossenen Gesellschaft der Beamten am nächsten Morgen nicht nur Bierdunst bleibt, sondern forensische Spuren in Handyspeichern. Die Dinge werden besser sichtbar. Damit werden sie auch besser kritisierbar. Die 25 Teilnehmer der Berliner Chatgruppe etwa sollen in Bezug auf Muslime von "fanatischer Primatenkultur" gesprochen und Flüchtlinge mit Ratten gleichgesetzt haben.

Bei der Polizei gibt es blinde Solidarität unter Kollegen

Auf den Polizeiwachen, das sollte man nicht übersehen, tut sich ebenfalls etwas. Sowohl bei den nordrhein-westfälischen Verfassungsschützern als auch in Berlin sind es die eigenen Kollegen gewesen, die rechte Umtriebe meldeten. In Berlin wendeten sich Polizeibeamte anonym an die Rechercheure der ARD-Sendung "Monitor", angeblich weil sie auf dem normalen Dienstweg den Zorn ihrer Vorgesetzten fürchteten, die sie als Nestbeschmutzer hinstellen könnten. In Düsseldorf waren es Verfassungsschutzkollegen, die rassistische "Witze" per Chat erhielten. Und die mal nicht mitlachen wollten. Und auch nicht schweigen.

So etwas geschieht zu selten. Aber immerhin: Solche positiven Beispiele gab bis vor Kurzem noch viel seltener. Wie viel Mut es dafür braucht, davon kann Simon Neumeyer erzählen, der als sächsischer Polizeischüler vor zwei Jahren rassistische Chats an die Öffentlichkeit brachte und seither von Polizisten im Netz attackiert wird: "Wie erbärmlich kann ein Mensch sein, der seine Kollegen verpfeift." Nicht nur die Polizei kennt die blinde Kollegensolidarität, aber in ihren Reihen ist der Zusammenhalt oft noch fester, weil man sich im Zweifel in lebensbedrohlichen Situationen aufeinander verlassen können muss.

Bei der hohen Schlagzahl, mit der rechtsextreme Vorfälle aus ihren Reihen nun ans Licht kommen, kann es einem schwindelig und natürlich auch aus anderen Gründen schlecht werden. Vielleicht ist es verfrüht, das zu sagen, vielleicht muss man zwei Jahre nach dem ersten Bekanntwerden einer rechtsextremen Chatgruppe in einem Polizeirevier in Frankfurt am Main aber auch einmal diesen Zwischenerfolg festhalten: Die Debatte beginnt, Wirkung zu zeigen. Die Mauer des Schweigens, sie zeigt zumindest mancherorts zunehmend Risse.

Es ist eine große Kraftprobe, die derzeit im Inneren der Polizei und der Sicherheitsbehörden ausgetragen wird, in vielen Bundesländern kann man das beobachten, auch im Bund, wo Innenminister Horst Seehofer (CSU) eine wissenschaftliche Studie zu Rassismus in der Polizei blockiert. Da sind auf der einen Seite jene, die eine Chance darin erkennen, jetzt endlich die Dinge offen aufzuarbeiten, mehr Licht hineinzulassen in den hermetisch verschlossenen Apparat - um sich dann rasch und sauber zu trennen von Polizisten, die ihre Macht missbrauchen und den guten Namen der Truppe in den Schmutz ziehen.

Auf der anderen Seite sind da Beharrungskräfte. Erst langsam verlieren sie an Stärke. Wie viel Mühe schon kleinste Fortschritte kosten, das hat just an diesem Donnerstag die Chefs der 17 Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern beschäftigt, die per Videoleitung konferierten. Thomas Haldenwang (CDU), der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, hatte vor knapp einem Jahr ein Lagebild zum Thema Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst angekündigt. Seither hatte er große Not gehabt, von den Landespolizeien tatsächlich Auskünfte zu bekommen.

Haldenwangs Bericht ist nun beinahe fertig. Horst Seehofer will ihn dem Vernehmen nach in Kürze öffentlich vorstellen. Aber wer vor dem Donnerstag in den Entwurf hineinsehen konnte, der fand dort wenig mehr als das, was ohnehin in Zeitungen zu lesen war. Lauter bekannte Fälle, bei denen zwischen dem 1. Januar 2017 und dem 31. März 2020 Disziplinar- oder Strafverfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet wurden. An der Spitze steht Hessen mit 59 solchen sogenannten Verdachtsfällen. Dahinter kommt Berlin mit 53. Bayern meldete 31 Fälle, Sachsen lediglich neun.

Der gute Polizist? So war es jedenfalls im Spiel "Der gute Schupo", wo ein Verkehrspolizist zwei Kinder sicher über den Potsdamer Platz in Berlin geleitet. (Foto: TV-Yesterday/INTERFOTO)

Die Zahlen dürften nur die Spitze des Eisbergs darstellen, sagen Verfassungsschützer selbst, und zwischendurch argwöhnten manche, ob einige Länder zögern würden, ganz offen ihre unschönen Erkenntnisse herauszugeben. Bremen meldete null Fälle. "Das kann schon mal nicht sein", sagt ein Verfassungsschützer. Auch die ostdeutschen Bundesländer meldeten auffallend wenig. Nirgends hat der Verfassungsschutz die Reihen der Polizei selbständig durchleuchten dürfen, überall sind es freiwillige Meldungen der Polizei gewesen. "Ich glaube nicht, dass das ein realistisches Abbild ist", sagt deshalb ein Verfassungsschützer aus einem CDU-regierten Land, "die Frage ist nur, ob wir es mit einem kleinen Dunkelfeld zu tun haben oder mit einem großen."

So zögerlich dieser erste Lagebericht erstellt worden ist, und so dürr der Bericht dann womöglich ausfällt, er ist andererseits ein Anfang. Es ist im Grunde verblüffend, dass es so etwas bislang noch nie gegeben hat in Deutschland. Das ist die eigentliche Neuigkeit, die man 2020 nicht übersehen sollte: Das Schweigen bricht auf, wenn auch nur langsam. Bald schon soll es um die Frage gehen, wie tief man weiterbohrt, denn klar ist: Dieser Lagebericht des Verfassungsschutzes ist nur der erste. So etwas kann und soll wiederholt werden, womöglich dann auch mit einem strengeren, gründlicheren Blick. Je nachdem, wie viel die Politik zulässt. Ein Landesverfassungsschützer zeigt sich optimistisch, "wir hätten eigentlich mehr Gegenwehr von der Polizei erwartet", jetzt habe man Hoffnung.

"Da ist ein geschlossenes Bild entstanden, was Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien betrifft"

Gewiss ist auch, Horst Seehofer blockiert weiter die Studie zu rassistischen Einstellungen, welche die Hochschule der Polizei in Münster-Hiltrup bereits begonnen hatte. Aber er befindet sich jetzt in der Defensive und sieht sich mit Forderungen nach Aufklärung konfrontiert, die es noch vor zehn Jahren überhaupt nicht gab in dieser Breite.

Aus den SPD-regierten Ländern kommt gerade die Initiative, wenigstens zu untersuchen, wie rassistische Stereotype im Polizeialltag entstehen - sogar mit Unterstützung der Gewerkschaft der Polizei. Ihm sei so etwas schon im persönlichen Umfeld begegnet, sagt Boris Pistorius, der Innenminister von Niedersachsen. Es war ein Bekannter, der sich als Polizist viele Jahre mit kaum etwas anderem als Einbrecherbanden vom Balkan beschäftigt habe. "Dem brauchte man irgendwann mit Differenzierung gar nicht zu kommen", sagt Pistorius, "da ist ein geschlossenes Bild entstanden, was Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien betrifft."

Hier müsse man gegensteuern. Polizisten sollten nicht immer nur dasselbe tun. Sondern es könne sinnvoll sein, Routinen aufzubrechen und Beamte unterschiedlich einzusetzen, um der Bildung von Vorurteilen vorzubeugen. In Niedersachsen habe man erste, gute Erfahrungen. "Was schadet? Was hilft?", das müsse der konstruktive Ansatz einer solchen Studie zum Polizeialltag sein. Ende Oktober wollen sich die SPD-Innenminister in Braunschweig treffen, um zumindest und zunächst für ihre Bundesländer einen entsprechenden Plan zu beschließen.

Das sind alles zaghafte Versuche. Es ist noch weit davon entfernt, dass die Polizei sich wirklich öffnen würde für einen scharfen Blick von außen - für Wissenschaftler zum Beispiel, die einfach das untersuchen, was sie selbst für interessant halten. Aber der Druck von außen macht sich bemerkbar, das ist deutlich. Und es ist wahrscheinlich erst der Anfang.

© SZ vom 02.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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