Die Bremer Polizei hat in der Nacht zum Dienstag versucht, ein Kirchenasyl zu räumen. Um kurz nach drei Uhr seien drei Mannschaftswagen der Polizei am evangelischen Gemeindezentrum Zion in Bremen-Neustadt vorgefahren, erzählt Pastor Thomas Lieberum. Doch rund 100 Menschen stellten sich den Polizisten entgegen. Es war das erste Mal, dass in Bremen ein Kirchenasyl geräumt werden sollte.
Die Beamten wollten einen 25-jährigen Somalier mitnehmen, der seit September in dem Gemeindezentrum im Kirchenasyl lebt. Der junge Mann ist ein sogenannter Dublin-Fall, das heißt, er ist über einen Drittstaat – in diesem Fall Finnland – nach Deutschland eingereist. Eigentlich wäre dieser Staat für sein Asylverfahren zuständig.
Flüchtlingshelfer registrieren eine schärfere Gangart gegen das Kirchenasyl
Der Somalier habe angegeben, in Finnland Gewalt erfahren zu haben und wiederholt nach Russland zurückgeschickt worden zu sein, so Lieberum. Deshalb sei er nach Deutschland weitergereist. Die Bremer Gemeinde erklärte sich bereit, den jungen Mann als Härtefall im Kirchenasyl aufzunehmen.
Kirchenasyl folgt festen Regeln, seit 2015 besteht eine Vereinbarung zwischen den beiden großen Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Sie besagt, dass Kirchenasyl in „begründeten Ausnahmefällen“ und „zur Vermeidung von besonderen humanitären Härten“ von den Behörden akzeptiert wird. Zu Beginn des Asyls müssen Ansprechpersonen der Kirchen Dossiers zu den Geflüchteten beim Bamf einreichen und darlegen, warum eine Abschiebung gemäß des Dublin-Abkommens in den zuständigen Staat eine unzumutbare Härte wäre. Im Kirchenasyl können Geflüchtete dann die Frist überdauern, bis Deutschland für das Asylverfahren zuständig wird.
Nachdem viele Jahre lang Ruhe herrschte, registrieren Flüchtlingshelfer aber seit einigen Monaten eine deutlich schärfere Gangart gegen das Kirchenasyl. Seit Juli 2023 wurden laut der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche acht Kirchenasyle geräumt – so viele wie in zehn Jahren zuvor nicht. Zuletzt hatte die Polizei Anfang Oktober ein Kirchenasyl in Hamburg geräumt, zum ersten Mal seit 40 Jahren.
Der Berliner Bischof Christian Stäblein appelliert an die Menschlichkeit
In der Kirche ist man alarmiert. Im November hatte das oberste evangelische Kirchenparlament den Rat der EKD mit neuen Gesprächen mit Bundesinnenministerium und Bamf beauftragt: „Ich erwarte, ich erhoffe und ich fordere, dass wir zu dieser Kooperation zurückkehren – auch im Sinne der Menschlichkeit dieser Gesellschaft“, sagte der EKD-Flüchtlingsbeauftragte, der Berliner Bischof Christian Stäblein im November.

Der oberste Geistliche der Bremischen Evangelischen Kirche, Bernd Kuschnerus, kritisiert die versuchte Räumung: „Wir sehen, dass die Behörde und der Innensenator politisch unter Druck stehen“, sagt er. „Die politische Stimmungslage mag schwierig sein, als Kirche fühlen wir uns verpflichtet, die einzelnen Menschen im Blick zu haben.“ Die über 100 Menschen in Bremen-Neustadt hätten „zivilen Widerstand“ geleistet. Dies sei ein wichtiges Zeichen, „dass es in Bremen keine Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal geflüchteter Menschen gibt“, so Kuschnerus. Er fordert Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) auf, zum bisherigen „verlässlichen Dialog“ zurückzukehren.
„Ich habe dazu ordentlich die Glocken läuten lassen“, sagt Pastor Lieberum
Ulrich Mäurer übt indes scharfe Kritik an der Kirche, sie halte sich nicht mehr an die 2015 getroffene Vereinbarung. Wenn das BamF den Härtefall nicht anerkenne „muss der Betroffene das Kirchenasyl verlassen“, so Mäurer. „Geschieht das nicht, stellt die Kirche unseren Rechtsstaat grundsätzlich infrage.“ Bundesweit sei die Zahl der Kirchenasyle deutlich gestiegen, sagt Mäurer. Die Innenministerkonferenz werde sich deshalb am Mittwoch mit dem Thema beschäftigen.
Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ erkennt das Bamf inzwischen nur noch unter ein Prozent der Härtefall-Dossiers an. 2015 seien es noch 80 Prozent gewesen. Auch bei dem Somalier in Bremen hatte das Bamf den Härtefall abgelehnt und die Abschiebung angeordnet. Als sich dies abzeichnete, hätten sich zahlreiche Gemeindemitglieder, Flüchtlingshelfer und Anwohner im Gemeindezentrum eingefunden, berichtet Pastor Lieberum. „Es waren um die 100 Menschen, wir haben die Kirchenbänke weggeräumt und auf Isomatten und Schlafsäcken übernachtet.“
Als dann die Polizei vorfuhr, versammelten sich die Menschen auf der Treppe und vorm Eingang und hinderten die Beamten daran, die Kirchenräume zu betreten. „Und ich habe dazu ordentlich die Glocken läuten lassen“, sagt Lieberum. „Bis die Polizei abgezogen ist.“