Religion:Der Rabbi im Revier

Polizeirabbiner Shneur Trebnik

Aufklären hilft: Polizeirabbiner Shneur Trebnik.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

In Baden-Württemberg sind die bundesweit ersten Polizeirabbiner tätig. Shneur Trebnik ist einer von ihnen. Er will den Beamten vermitteln, was jüdisches Leben in Deutschland bedeutet - und antisemitischen Tendenzen entgegenwirken.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Als Shneur Trebnik als Ortsrabbiner nach Ulm kam, zwanzig Jahre ist das her, war die jüdische Gemeinschaft dort in provisorischen Räumen untergebracht. Ende 2012 aber konnte sie eine neue Synagoge beziehen: Mitten im Stadtzentrum, unweit der Stelle, wo die alte Synagoge bei der Reichspogromnacht 1938 zerstört wurde. Das Haus ist ein Zeichen dafür, dass jüdisches Leben in Ulm wieder lebendiger Teil der Stadt ist. Seit einem Brandanschlag Anfang Juni erinnert die Synagoge allerdings auch daran, dass Antisemitismus in Deutschland weiterhin verbreitet ist.

Um judenfeindlichen Tendenzen entgegenzuwirken, schuf die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg 2018 die hauptamtliche Stelle eines Antisemitismusbeauftragten. Anfang 2021 berief sie dann auf dessen Initiative hin zwei Polizeirabbiner - als bislang einziges Bundesland in Deutschland. Zunächst für zwei Jahre sind Shneur Trebnik und Moshe Flomenmann, der Landesrabbiner von Baden, für die Polizei tätig. Grundlage ist eine Vereinbarung mit den israelitischen Religionsgemeinschaften von Baden und Württemberg.

Polizeirabbiner gibt es sonst nur in Israel und den USA. Anders als dort steht in Baden-Württemberg nicht die Seelsorge im Vordergrund. Trebniks und Flomenmanns Aufgabe ist es in erster Linie, den etwa 35 000 Bediensteten der Polizei jüdisches Leben näherzubringen. "Das gegenseitige Kennenlernen ist wichtig, damit Vertrauen entstehen kann", sagt Innenminister Thomas Strobl (CDU). Und Rami Suliman, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, ist überzeugt: "Der Antisemitismus lässt sich nur durch Aufklärung schwächen."

Coronabedingt haben die Rabbiner bisher Online-Schulungen angeboten. Diese richten sich vor allem an Polizeischüler, werden aber auch von Polizeipräsidien nachgefragt. "Wir beide bekommen sehr viele Anfragen", fasst Trebnik die Resonanz der ersten Monate zusammen.

Am Schabbat kein Ausweis dabei

Ein Ziel des Unterrichts ist, antisemitischen Einstellungen in den Reihen der Polizei entgegenzuwirken. Wenn jemand nach den Gesprächen mit Trebnik und Flomenmann verstanden hat, dass man abfällige Bemerkungen in einer Chatgruppe nicht kommentarlos hinnehmen sollte, werten die beiden das als Erfolg.

Es geht den Rabbinern aber auch darum, die Beamten generell für antisemitische Vorfälle zu sensibilisieren, die ihnen im Alltag begegnen könnten. Darüber hinaus erläutern sie Grundlagen, die für die Polizeiarbeit wichtig sein könnten. Trebnik nennt ein Beispiel: "Ein gläubiger Jude wird am Schabbat auf der Straße nichts bei sich tragen - keinen Hausschlüssel oder Geldbeutel. Er wird also auch keinen Ausweis dabeihaben."

Oft wissen Beamte auch nicht genau, was sie schützen, wenn sie vor einer Synagoge für Sicherheit sorgen. Rabbiner Trebnik zeigt den Polizeischülern deshalb im Videostream, wie es in der Synagoge aussieht. Er präsentiert den Thoraschrein, erklärt die religiöse Praxis, beantwortet Fragen. Sein Ziel ist, dass Menschen andere Überzeugungen respektieren. Das klingt selbstverständlich, ist aber nicht immer leicht, wie er einmal bei der persönlichen Begegnung mit einem älteren Beamten erfahren hat. Der habe gar nicht nachvollziehen können, warum man sich christlichen Feiertagen verweigert, erinnert sich Trebnik. Also hat ihm der Rabbiner die Thorarollen gezeigt und versucht zu vermitteln, dass eine Religion mit solch einer langen Tradition ihre Berechtigung hat: "Wir haben immer noch die identischen Texte der fünf Bücher Mose, die vor 3300 Jahren geschrieben wurden."

Wissen über den jüdischen Glauben könnte vielleicht sogar Leben retten. "Vielen Beamten ist nicht klar, an welchen Feiertagen man in den Synagogen mehr Besucher erwarten sollte", sagt Trebnik. Der Anschlag auf die Synagoge von Halle fand am 9. Oktober 2019 statt, an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag.

Die Gemeinden sind keine Museen

Wichtig ist dem 45-Jährigen auch, dass sich die Wahrnehmung jüdischen Lebens nicht auf Anschläge oder den Holocaust beschränkt. "Jüdische Gemeinden sollten nicht als Schutzbefohlene und Sorgenkinder behandelt werden", findet Trebnik. "Das sind lebendige Gemeinden." Wenn Polizisten für den Schutz jüdischer Einrichtungen zuständig sind, sollte ihnen das bewusst sein. "Da schützt man nicht ein Museum oder Mahnmal."

Generell sei die Zusammenarbeit mit der Polizei sehr gut, findet der Rabbiner. Trotzdem war er beeindruckt, wie groß die Solidarität nach dem Brandanschlag auf die Ulmer Synagoge war. An jenem Samstag seien mehrere Beamte der Kriminalpolizei weit weg auf einem Ausflug gewesen, erzählt er. "Die haben alles liegen gelassen und sind nach Ulm zurückgefahren."

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