Polizei-Gewerkschaft:"Es gibt keine Politik der inneren Sicherheit mehr"

Er ist von Schwarz-Gelb enttäuscht: Gewerkschaftschef Freiberg spricht über Gewalt gegen Beamte, wirkungslose Fußfesseln und erklärt, warum der Staat Geld verliert, wenn er bei Fahndern spart.

Joachim Käppner

SZ: Herr Freiberg, die schwarz-gelbe Koalition streitet heftig über die Sicherungsverwahrung. Wer hat recht: die FDP oder die Union?

Konrad Freiberg

"Wir haben seit dem Jahr 2000 fast 10.000 Stellen verloren" - der Polizei-Gewerkschaftschef Konrad Freiberg kritisiert die Sparpolitik.

(Foto: dpa)

Freiberg: Zunächst: Dieser Konflikt ist typisch für diese Regierung und ihren Umgang mit der inneren Sicherheit. Viele Polizisten hatten mehr von einer konservativ dominierten Bundesregierung erwartet - weit mehr. Stattdessen herrscht Enttäuschung bei der Polizei. Ich will das ganz deutlich sagen: Stillstand und Rückschritte kennzeichnen die Politik der inneren Sicherheit in dieser Regierung. Das haben wir nicht erwartet.

SZ: Bleiben wir bei der Sicherungsverwahrung: Hier muss die Politik doch auf ein einschränkendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte reagieren, ob sie nun will oder nicht.

Freiberg: Dieses Urteil ist juristisch nachzuvollziehen. Es untersagt ja nicht generell die Sicherungsverwahrung. Es geht nur darum, dass man die Dauer der Verwahrung nicht nachträglich einfach verlängern durfte, wie das bei uns geschehen ist. Und zweitens darum, dass es rechtswidrig ist, wie in Deutschland Sicherungsverwahrte faktisch einfach im Gefängnis zu belassen, statt eigene Einrichtungen für sie zu schaffen. Ich kritisiere nicht in erster Linie das Urteil, sondern die deutsche Debatte...

SZ: ...bei der die Union Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aufs Korn genommen hat, weil sie nun auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung abschaffen will.

Freiberg: Dieser Streit ist typisch für diese Koalition: Profilierungsstreitigkeiten statt stimmiger Politik. Natürlich muss ein Regierungsbündnis Kompromisse finden. Aber erst stimmt das gesamte Kabinett der Vorlage der Ministerin zur Sicherungsverwahrung zu, dann meutert die Union nur Tage später dagegen, und der Innenminister schließt sich an. In der Sache meine ich: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung muss bleiben.

SZ: Die ist ja nur möglich, wenn sich während der Haft neue Tatsachen ergeben, dass der Häftling nach seiner Entlassung brandgefährlich sein könnte. Praktiker monieren, das sei fast nie der Fall.

Freiberg: Stimmt sogar. Fast nie bedeutet aber eben nicht nie: Es sind über die Jahre nur eine Handvoll Fälle. Aber wenn einer dieser Männer dann ein kleines Mädchen ermordet, war der Preis für die Abschaffung der Maßnahme schon zu hoch - und alle würden fordern, sie sofort wieder einzuführen. Jedenfalls ist die Politik der Bundesregierung hier bestenfalls verwirrend. Es findet keine Politik der inneren Sicherheit mehr statt, sondern nur eine Kommentierung der Vorschläge des anderen Koalitionspartners. Ein besonderes Problem ist für mich, dass sich die FDP nach dem Scheitern ihrer Pläne zur Steuerentlastung besonders lebhaft als Bürgerrechtspartei geriert, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass die Bürgerrechte leiden, wenn gefährliche Täter im Gefängnis bleiben.

SZ: Nun wird über die elektronische Fußfessel zur Überwachung freigelassener Sexualstraftäter diskutiert.

Freiberg: Die Fußfessel ist ein effizientes Mittel, um festzustellen, wo sich der Überwachte aufhält. Sie kann einen psychisch kranken Sexualstraftäter nur leider nicht daran hindern, eine neue Tat zu begehen. Wir könnten dann vielleicht nachweisen, dass er zur Tatzeit am Tatort war. Aber das nützt dem Opfer gar nichts mehr. Deshalb sage ich: Die Fußfessel ist kein brauchbarer Ersatz für die Sicherungsverwahrung, sondern eine wirkungslose Beruhigungspille für die Bevölkerung.

Die Personalnot ist der beste Freund der Steuerbetrüger

SZ: Ihre Kritik zielt aber doch nicht nur auf das Reizthema Sicherungsverwahrung.

Freiberg: Nein, keineswegs. Es bewegt sich nichts beim Thema Gewalt gegen Polizeibeamte. Wir wollen sie gesetzlich schützen, Abgeordnete aus allen Parteien wollen das - was passiert? Nichts. Wir brauchen dringend eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung bei Telefonverbindungen. Wer tut nichts? Die Regierung.

SZ: Die Kontrolle von Internetdaten berührt freilich Grundfragen der informationellen Selbstbestimmung.

Freiberg: Ich will nur ein Beispiel nennen, warum wir diese Daten brauchen: die Kinderpornographie und die fürchterlichen Schicksale, die damit verbunden sind. Wenn es nicht möglich ist, eine den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes gemäße Nutzung der Datenspeicherung zu schaffen, werden uns in vielen Fällen Beweise fehlen gegen pädophile Täter, und die Aufklärung wird zurückgehen. Das gilt aber für alle Felder der Kriminalität. Das Internet bietet Verbrechern völlig neue Möglichkeiten, und die Polizei sollte nicht künstlich beschränkt werden.

SZ: Was bemängeln Sie noch an der Sicherheitspolitik?

Freiberg: Meine besondere Sorge gilt der organisierten Kriminalität. Vor dem 11. September 2001 konnte es gar nicht genug neue Gesetze gegen das organisierte Verbrechen geben, danach wurden Ressourcen und Personal zum Kampf gegen den islamistischen Terrorismus abgezogen. Seither ist das Thema so gut wie verschwunden. Mafiöse Gruppen haben sich längst ins ganz legale Wirtschaftsleben des Landes vorgearbeitet, sie profitieren von den großen Kapitalflüssen. Der Bürger bekommt das naturgemäß wenig mit oder nur bei spektakulären Verbrechen wie den sechs Morden in Duisburg. Aber der Aufwand, solche Gruppierungen, etwa aus Italien und Russland, zu überwachen, ist enorm. Die Polizei stößt hier an ihre Grenzen, schon rein personell. Zum Beispiel gibt es bei der Steuerhinterziehung auch großen Stils ein riesiges Dunkelfeld, das einen schwindelig werden lässt. Denken wir nur an die angekaufte Steuer-CD. Hier ist die Personalnot der beste Freund der Steuerbetrüger. Mehr Steuerfahnder könnten dem Staat gewaltige Summen retten, aber er spart lieber kurzsichtig ein paar hundert Stellen.

SZ: Wie hoch beziffern Sie das Defizit an Personal?

Freiberg: Wir haben seit dem Jahr 2000 etwa 10.000 Stellen verloren, und ich befürchte, dass die neuen Sparmaßnahmen in Bund und Ländern diese Zahl noch einmal übertreffen werden. Manche neuen Bundesländer wollen bis zu 20 Prozent des Personals abbauen, immer als Reform getarnt.

SZ: Soll die Polizei von den Sparzwängen ausgenommen werden?

Freiberg: Das sage ich ja gar nicht. Aber die Größenordnung ist demoralisierend. Dabei klagen schon heute zum Beispiel 25 Prozent der Bundespolizisten über Burn-out und Überlastung. Man kann nicht auf der einen Seite Tausende Stellen einsparen und den Bürgern auf der anderen mehr Sicherheit versprechen. Die Polizei muss jetzt die freikommenden Häftlinge aus der Sicherungsverwahrung rund um die Uhr bewachen, dafür braucht sie Hunderte Beamte. Sie soll, fordert die Justizministerin, stärker gegen Telefonbetrüger vorgehen. Das ist ja auch alles nötig. Es lässt sich nur nicht effektiv machen, wenn man die Polizei gleichzeitig kaputtspart.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: