Süddeutsche Zeitung

Geheimdienste:Die Polizeiarbeit wandert ins Dunkle ab

Polizei und Verfassungsschutz gehören strikt getrennt. Doch längst ist aus der Mauer zwischen den Diensten ein niedlicher Gartenzaun geworden.

Kommentar von Ronen Steinke

Kurz vor der Verkündung des Grundgesetzes nahmen die Westalliierten den Deutschen noch ein Versprechen ab, einen Schwur der Selbstbescheidung. Es war eine der Bedingungen, bevor man den vormaligen Meistern der Polizeistaaterei gestattete, sich wieder Uniformen anzuziehen, Pistolengürtel umzuschnallen und Menschen zu verhaften.

Die Alliierten teilten dem Parlamentarischen Rat mit: Es sei in Ordnung, wenn sie "eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische Tätigkeiten" einrichten, also einen Geheimdienst. Aber: Niemals dürfe dieser wieder "polizeiliche Befugnisse" haben. Die strikte Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten, die den Deutschen da von außen verschrieben wurde, hat ihren guten Grund. Geheimdienst und geheimdienstliche Methoden - das bedeutet immer: Der Betroffene erfährt nicht, ob und wie der Staat gegen ihn vorgeht, er kann sich nicht wehren.

Aber kaum ein Versprechen ist dann so gründlich missachtet worden wie dieses. Von dem einstigen Trennungsgebot ist heute, kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag am 14. April, nicht viel übrig. Es ist schon seit Jahren aufgeweicht, verschiedene Regierungen haben es kleingeredet. Aus einer verfassungsrechtlichen Firewall ist ein putziger Gartenzaun geworden, über den die Sicherheitsbehörden jederzeit locker hinübersteigen oder Dinge hinüberreichen können. So wie im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum von Polizisten und Geheimen, wo sie seit 2004 zusammensitzen, an denselben Fällen derselben gefährlichen Extremisten arbeiten und sich eng abstimmen.

Wenn nun der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) seinen Plan für eine "Harmonisierung" der deutschen Sicherheitsarchitektur bewirbt, mit neuen Befugnissen vor allem für den Inlandsgeheimdienst, den Verfassungsschutz, dann treibt er dies weiter voran. Der Verfassungsschutz soll, so Seehofers Plan, selber konkrete Straftaten aufspüren und verhindern. Das ist bislang die Kernaufgabe der Polizei. Sogar die Auslandsspione vom Bundesnachrichtendienst sollen stärker ins Spiel kommen. Sie sollen der Polizei beim Hacken der Handys von deutschen Straftatverdächtigen assistieren.

Beide Seiten, Polizei wie Geheimdienste, haben sich bereits in einer Weise angenähert, die sich vor siebzig Jahren niemand hätte träumen lassen. Auf der einen Seite haben die Verfassungsschützer sich der Polizei anverwandelt, obwohl sie eigentlich nur für die Ideologien der Demokratieverächter zuständig sind, nicht für deren Delikte. Schon 1994 ging das los, mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz. Die Idee: Die Polizei kann im Extremistenmilieu jede Hilfe gebrauchen, und wenn die Verfassungsschützer mit anpacken, ist das sinnvoller, als wenn sie nur still ihre Analysen schreiben. Das ist inzwischen die Daseinsberechtigung für die allermeisten von ihnen. Viele leisten da wichtige, oft gute Arbeit, aber man sollte so ehrlich sein: Es bleibt ein Hilfsdienst für die Strafverfolgungsbehörde; die Dienste haben sich verpolizeilicht.

Die Polizei hat sich vergeheimdienstlicht

Auf der anderen Seite hat sich die Polizei weit ins Fach der Geheimdienste vorgewagt. Seit den 1990er-Jahren hat sie sich deren Kompetenzen angeeignet, nun hat auch die Polizei V-Leute, nutzt Lauschangriffe und GPS-Ortung. Der davon betroffene Bürger erfährt nichts: Dieser Satz gilt immer häufiger, erst recht, seit Polizisten nicht mehr an der Tür klingeln, einen Durchsuchungsbeschluss vorzeigen, Festplatten abtransportieren und den Betroffenen über seine Rechte aufklären müssen. Heute können sie einfach einen Trojaner durch die Leitung schicken. Da gelten zwar juristische Hürden; das Bundesverfassungsgericht hat ein paar Dinge angemahnt. Aber wenn diese Hürden missachtet werden, wird es der Betroffene womöglich nie erfahren: Die Polizei hat sich vergeheimdienstlicht.

Zusammengenommen ist das eine üble Entwicklung. Denn beide Stränge führen letztlich zum selben Ergebnis. Egal ob die Polizei sich zunehmend klandestine Methoden zu eigen macht, oder ob sie ihre Ermittlungsaufgaben an heimliche Hilfssheriffs delegiert, die seit jeher klandestin vorgehen: In beiden Fällen wandert die klassische Polizeiarbeit ins Dunkle ab, in eine Nische, die der Rechtsstaat nicht ernsthaft kontrolliert und deren Existenz man noch vor einer Generation in nur sehr begrenztem Ausmaß duldete.

Unumkehrbar ist diese Entwicklung nicht, auch nach 70 Jahren. Es lohnt sich, die Grenze wieder klarer zu ziehen, ganz im Gegensatz zu dem, was Seehofer jetzt skizziert. Das, was faktisch Gefahrenabwehr ist, müsste klar und ehrlich auf die eine Seite dieser Grenze sortiert werden: zur Polizei, also ins Helle, unter die Augen der Justiz, mit fairen Chancen auch für eine juristische Gegenwehr der Betroffenen.

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SZ vom 05.04.2019/saul
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