Süddeutsche Zeitung

Polizei:Ein Kommissar verunsichert

Ein Beamter beriet eine jüdische Gemeinde und bekam sensible Informationen zu deren Sicherheit. Dann hielt er eine Rede bei einer Corona-Demo.

Von Ronen Steinke, Berlin

Es sind Momente großer Vertraulichkeit gewesen, "Momente, in denen man sich absolut aufeinander verlassen können muss", so erinnert sich Rebecca Seidler. Es war im Januar, da empfing Seidler, 40, Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, einen Spezialisten der Polizei. Sie zeigte dem Mann ihre Räume. Die Synagoge, die Kindertagesstätte. Und Brisantes: mögliche Sicherheitslücken. Angriffsflächen für Terroristen. Es war wenige Wochen nach dem Terroranschlag auf die Synagoge in Halle.

"Ich habe so offen mit ihm gesprochen, wie ich sonst mit niemandem von außerhalb sprechen würde", sagt Seidler. Denn Kriminalhauptkommissar Michael F. sollte im Auftrag der Polizeidirektion ein Gutachten erstellen, er sollte für jeden Sicherheitsmangel eine Empfehlung abgeben. Nicht auszudenken, wenn solches Wissen in die falschen Händen gerät.

Am vergangenen Sonntag nun hat Rebecca Seidler den Kommissar wiedergesehen. Ein Video, das bei Youtube die Runde macht, zeigt ihn in kurzer Hose und T-Shirt als Redner auf einer Kundgebung der Gruppe "Querdenken" in Dortmund. "Liebe Weggefährten und die, die es noch werden wollen", hebt er dort an, neben ihm Transparente mit der Aufschrift "Deutschland erhebt sich". Es ist eine jener Corona-Demos, über die der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, erst tags zuvor gesagt hat: "Die Masse der Leute dort sind Verschwörungstheoretiker."

Als Michael F. auf der Bühne sagt, dass er Polizist sei, 57 Jahre alt, und zum ersten Mal im Leben als Teilnehmer auf Demonstrationen gehe, brandet Applaus auf. Dann erklärt er, es gebe keine Gewaltenteilung mehr. Noch mehr Applaus. Die Einschränkungen in der Corona-Krise seien verfassungswidrig, da die rechtliche Grundlage fehle. Er erinnert an das "dunkelste Kapitel unserer deutschen Geschichte" - und meint: "Mein Bauch sagt mir, dass sich gerade alles wieder in dieselbe Richtung entwickelt."

Das Publikum jubelt. Am Dienstag hat die Polizeidirektion Hannover reagiert, Michael F. ist für zunächst drei Monate vom Dienst suspendiert, das Erschrecken bis hinauf ins niedersächsische Innenministerium ist groß. Man sei völlig überrascht, wird jetzt auf allen Ebenen beteuert. Seit vielen Jahren ist Michael F. bei der Zentralstelle technische Prävention der Polizei Hannover tätig. Viele Sicherheitsgutachten hat er erstattet. Viele sind durch seine Hände gegangen. Doch sein Auftritt erweckt Zweifel, ob sie in guten Händen waren. Hannovers Polizeipräsident Volker Kluwe hat angekündigt, das für die jüdische Gemeinde erstellte Gutachten von einer "unabhängigen Stelle" prüfen zu lassen - auch wenn zumindest Rebecca Seidler inhaltlich nichts aussetzt. Der etwa 15 Seiten lange Text von Michael F. sei schlüssig und decke sich mit der Einschätzung der Gemeinde. Nur habe man jetzt die Sorge, dass solche sensiblen Daten und Detailwissen bei einem Mann lägen, "der sich in Kreisen von Verschwörungstheoretikern bewegt, bei denen auch antisemitische Erzählungen verbreitet sind".

Rebecca Seidler hat jetzt viele Anrufe bekommen in ihrem Büro in der Gemeinde. Der Leiter des Staatsschutzes bei der Polizeidirektion habe versucht, sie auch zu beruhigen, erzählt sie. Es sei doch so: Immerhin habe der Kollege Michael F. in seiner Demo-Rede betont, dass er sich als "Schutzmann" für die Bürgerinnen und Bürger verstehe.

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SZ vom 14.08.2020
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