Süddeutsche Zeitung

Polizei und Bundeswehr:Deutschland braucht mehr Linke in Uniform

Liberale und Linke beklagen die rechten Umtriebe bei den Sicherheitskräften. Sie könnten selbst zur Bundeswehr oder Polizei gehen und dort etwas verändern. Doch dafür fehlt oft das Interesse oder der Mut.

Von Ronen Steinke

Was könnte eigentlich ein edlerer Beruf sein in einer Zeit, in der die Demokratie von so vielen Seiten angezweifelt wird? Polizist oder Polizistin zu sein, das bedeutet in vielen Fällen, die Schwachen zu verteidigen gegen das Recht der Stärkeren. Es bedeutet, die zu schützen, die sich nicht selbst schützen können. Es bedeutet, diejenigen in die Schranken zu weisen, die sich aufschwingen, auf eigene Faust eine eigene Flüchtlingspolitik zu betreiben mit Molotowcocktails und Rufen wie "Gute Heimreise". Und auch diejenigen, die entgegen der Pandemiepolitik der demokratisch legitimierten Politiker lieber auf den Schutz von alten und besonders verletzlichen Menschen pfeifen.

Auch für Soldaten und Soldatinnen gibt es eine wichtige Rolle in einer Demokratie. Es macht einen großen Unterschied aus, welcher Mensch in einer Uniform steckt. Soldat zu sein in einer Parlamentsarmee, wie sie das Grundgesetz vorsieht, das kann und sollte bedeuten: den gewaltsamsten Rechtsverächtern dieser Zeit nicht bloß gut zuzureden, sondern sich ihnen, wo nötig und möglich, auch in den Weg zu stellen. Völkermörder stoppen, Kriegsverbrecher fassen, Flüchtlingslager beschützen. Es sollte, kurz, den Unterschied ausmachen zwischen einem internationalen Recht, das nur auf Papier steht - und einem, das tatsächlich etwas gilt.

88, der rechte Szenecode für Heil Hitler, war Rufzeichen der KSK-Kommandozentrale

Man vergisst das leicht, wenn in diesen Tagen viel vom KSK die Rede ist, dem Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr. Und offensichtlich haben das auch etliche im KSK selbst vergessen, oder sie haben es von vornherein nie verinnerlicht. Dort hat es Partys gegeben, bei denen der Hitlergruß gezeigt wurde, und selbst die Vorgesetzten haben sich offenbar nicht daran gestört, dass viele ihrer Leute sich ganz demonstrativ nicht als Team Grundgesetz begriffen, sondern als Team 88 feierten und inszenierten. 88, der rechtsradikale Szenecode für Heil Hitler, weil H der achte Buchstabe des Alphabets ist - das war das Rufzeichen der Kommandozentrale beim KSK. Ganz offiziell.

Es geht um mehr als jenen einzelnen KSKler, der inzwischen rechtskräftig bestraft ist, weil er den Arm zum Hitlergruß hob. Es ist eine ganze Partygesellschaft von angeblich 70 jahrelang ausgebildeten Soldaten gewesen - und niemand von ihnen ist offenbar auf die Idee gekommen, die NS-Verherrlichung anzuzeigen, und kaum jemand von ihnen ist auch seither dazu zu bewegen gewesen, die Loyalität gegenüber dem Grundgesetz und den Strafgesetzen - also ihren eigentlichen Auftrag - über die Loyalität zu ihren persönlichen Kameraden zu stellen und mit den Ermittlern zu sprechen.

Polizei oder Militär, das sind Berufsgruppen, die prinzipienfeste Demokratinnen und Demokraten brauchen, durchaus auch mal Idealisten - diese aber zu oft nicht bekommen. Ein Verhalten, wie es im KSK seit Jahren auffällt bis hin jetzt zu dem Oberstabsfeldwebel, bei dem zu Hause nicht nur Sprengstoff, sondern auch ein SS-Liederbuch und Aufkleber mit NS-Motiven gefunden worden sind, disqualifiziert die betreffenden Soldaten für diesen Beruf. So, wie es auch Polizisten disqualifiziert, wenn sie wie in Hessen in geschlossenen Chat-Gruppen Hitlerbilder und Holocaustwitze gepostet oder auch nur mitgelesen und zustimmend geschwiegen haben.

Viel zu lange ist viel zu wenig hingesehen worden, daraus ziehen allerdings einige Bundesländer derzeit Konsequenzen, Nordrhein-Westfalen vorneweg. Hier wirkt ein Fall aus dem Februar nach, als herauskam, dass bei der Gruppe S., einer möglichen rechten Terrorzelle, eines der zwölf mutmaßlichen Mitglieder ein Verwaltungsmitarbeiter eines Polizeipräsidiums in diesem Bundesland war. Seitdem ging es schnell, in allen 47 Polizeibehörden sind eigene Extremismusbeauftragte eingesetzt worden. Ein Extremist in einer Behörde ist stets ein Problem, sagt der Düsseldorfer Verfassungsschutzchef Burkhard Freier. "Wenn ich die aber in einer Sicherheitsbehörde habe, ist es ein großes Problem." Neue Bewerber für die Polizei werden hier bereits seit 2018 vorsorglich durchleuchtet, und jedes Jahr wird auch eine Handvoll ausgesiebt.

Wie präzis bei solchen Prüfungen hingesehen wird, ist allerdings die Frage. Die Bundeswehr wirbt mit einem betont liberalen Slogan um Rekruten: "Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst." Sie lässt ihre Rekruten bereits seit 2017 routinemäßig vom Militärischen Abschirmdienst überprüfen auf rassistische oder antidemokratische Weltbilder. Doch dieser Test schlägt bei gerade mal einer Handvoll Personen pro Jahr Alarm - eine Anzahl, die auch viele in der Politik und einige in der Regierung für unrealistisch niedrig halten.

Das Phänomen, dass Armee und Polizei überproportional oft Rechte anziehen, hat es schon immer gegeben, man kann darüber mit Polizeiführern, Gefängnisdirektoren oder auch mit Generälen sprechen. Es macht sich kaum jemand Illusionen, "das ist doch klar", sagt ein hoher sächsischer Sicherheitsbeamter, der offen, aber nur anonym darüber reden will. "Wer geht denn zur Justiz, zur Polizei? Leute, die für Recht und Ordnung sind. Eher konservativ." Das sei in jedem Bundesland so, ganz gleich ob West oder Ost. "Phasenverschoben" seien die politischen Einstellungen in der Welt des Sicherheitsapparats; der politische Mainstream in Kasernen, auf Polizeiwachen und in Gerichtsgebäuden liege im Schnitt immer spürbar rechts des Mainstreams in der Gesamtbevölkerung.

Vor Jahren hat das in Deutschland ein Soziologieprofessor empirisch erhärtet, Roland Eckert von der Universität Trier. Er zeigte, dass Polizisten im damaligen Westdeutschland weit überwiegend konservativ tickten und dass fremdenfeindliche Einstellungen zwar nicht vorherrschten, aber doch stärker vertreten waren als anderswo. Seit ein paar Jahren führt die Polizeihochschule in Hiltrup bei Münster wieder eine ähnliche Studie durch, vor allem auch mit Blick auf rassistische oder rechtsextreme Tendenzen. Ergebnis noch offen.

Wer jahrzehntelang bei der Polizei gedient hat, der nennt oft noch einen weiteren Grund. Im Streifendienst würden die Kollegen von einem Negativerlebnis zum nächsten fahren, so sagt es der Bremer Polizeihauptkommissar Thomas Müller. Die Belastungen des Berufs könnten dazu führen, dass Kollegen sich in Stereotype flüchteten, die dann teils rassistisch seien. "Sozialarbeiter bekommen deshalb regelmäßig Supervision. Polizisten bekommen nichts." Der Bremer kann erst seit Kurzem wieder offen sprechen, bis zu seiner Pensionierung im vergangenen Jahr hatte er ein Interviewverbot. Die Polizei hatte ihn, der sich einer Gruppe von Amnesty International angeschlossen und intern vieles kritisiert hatte, tief in die Personalabteilung versetzt. Heute sagt er: Im Grunde wünsche er sich, dass viel mehr Leute mit einer weltoffenen Einstellung in die Sicherheitsbehörden kämen. Es gebe viel zu tun. Und schöne Aufgaben.

Das ist die andere Seite der Medaille, die zweite Hälfte des Problems. Und das anzuerkennen, ist für Kritiker der jüngst aufgedeckten rechten Umtriebe in Polizei und Bundeswehr schon nicht mehr so angenehm und bequem. Junge Leute, die ein linksliberales Weltbild haben, zeigen viel zu selten ein Interesse daran, selbst in diese Berufe zu gehen, es besser zu machen, etwas zu verändern. Die wenigen, die es doch tun, erleben teils, wie in einem progressiven oder linken Milieu die Nase gerümpft wird über diese Berufswahl, so erzählt es zum Beispiel Behnam Said in Hamburg, 37 Jahre alt. Er hat Karriere gemacht in sensiblen Bereichen des Sicherheitsapparats, war lange beim Verfassungsschutz, jetzt arbeitet er in der Gefängnisaufsicht. Und: Er gehört zur Gruppe PolizeiGrün. Neben den großen Polizeigewerkschaften ist das eine kleine, aber wachsende liberale Stimme.

"Wenn Sie erklären, Sie sind Soldat, dann ist das so etwas Ähnliches wie Kinderschänder."

Von anderen Grünen oder auch von Linken werde einem da mitunter vorgehalten, rassistische Strukturen könne man als Einzelner im "System" ohnehin nicht verändern, erzählt er. Neulich kam eine Nachricht über Twitter. Es sei ja schön, dass idealistische Leute wie er es zumindest versuchen würden, den Apparat von innen heraus besser zu gestalten, hieß es darin gönnerhaft. "Aber wenn der Befehl kommt, heißt es auch bei euch: Knüppel raus."

Natürlich, entgegnet Behnam Said, sei man zu einem gewissen Grad eingebunden in Hierarchien. Manchmal gebe es "dicke Bretter" zu bohren in den Sicherheitsbehörden. Man dürfe sich aber nicht zu fein dafür sein. Und es wäre ein Fehler, wenn gerade Menschen mit einem liberalen Weltbild diese wichtigen Institutionen anderen überlassen, seien es doch Institutionen, in denen man viel bewirken könne, zum Schlechten wie zum Guten.

Begabte junge Leute, die sich mit Idealismus für so einen Beruf entscheiden, machten oft eine Entdeckung, so erzählt es ein hoher Polizeiführer in einer westdeutschen Großstadt. Da schwitze man ein Wochenende hindurch in der Uniform, um zu verhindern, dass im Ausgehviertel der Stadt die Corona-Abstandsregeln im Partydunst verpuffen. Dafür gebe es aber kaum Anerkennung. Eher erlebe man eine "strukturelle Verachtung in der vermeintlichen Bildungselite". Der Polizist, der Trottel: Wer auf einer Party unter Linken erzähle, dass er von Beruf Polizeibeamter sei, werde schief angesehen. "Wenn Sie erklären, Sie sind Soldat, dann ist das so etwas Ähnliches wie Kinderschänder." Verachtung für diejenigen, die sich den Rechtsverächtern entgegenstellen? Auch das müsste sich ändern, wenn Polizei und Bundeswehr sich ändern sollen.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2020
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